Der Aufsichtsrat im Projekt, oder: Die dunkelrot-grüne Berichtspyramide.

Kulturprägend: Wer mit der Axt in der Hand auf "in time" drängt, erhält dunkelgrüne Berichte. Jedoch keine grünen Projekte.

Der Aufsichtsrat hat nichts mit Projektmanagement zu tun? Ein großer Irrtum. Der Aufsichtsrat bestimmt maßgeblich über die Art und Weise, wie Projektmanagement in einem Unternehmen funktioniert. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit Aufsichtsräte sich bewusst sind, was der Satz „Am Ende des Monats ist Aufsichtsratssitzung!“ in Unternehmen an Aktivität und Blockade auslöst. Und das gleichzeitig. Da ist noch richtig Potenzial für diejenigen, die den EBIT steigern wollen. Ein Essay mit Zusammenfassung und einer gereimten Moral am Ende des Artikels.

Alle wollen dem Aufsichtsrat gefallen

In den Wochen vor der Aufsichtsratssitzung wird ein Phänomen sehr deutlich: ausnahmslos alle wollen nun dafür sorgen, dass der Aufsichtsrat gut von ihnen denkt. Also wird alle Energie darauf verwendet. Kommt in dieser Zeit jemand mit einem nicht-sitzungsrelevanten Thema um die Ecke, hört er oft: „Da machen wir einen Termin nach der Aufsichtsratssitzung!“ Sein Thema ist blockiert. Da geht nichts mehr. „Dann kann es ja nicht so wichtig sein.“

Allein ob ein Projekt auf der Agenda der Sitzung ist, bestimmt in dieser Zeit darüber, wie es mit Energie versorgt wird. Da kann es durchaus sein, dass eine Entscheidung für ein sehr bedeutsames Thema hinausgezögert und stattdessen an der Optik von Berichtsfolien gefeilt und noch ein hübsches Schmuckbild recherchiert wird.

Spätestens dann kommen mir Zweifel, ob ‚das’ so sinnvoll sein kann. Letztlich sind es die Projektergebnisse, die wir wollen und brauchen. Die Berichte sind ein Mittel zum Zweck, etwa um der Aufsichtspflicht, die das oberste Gremium hat, gerecht zu werden. Und auch, um bei unterschiedlichen Mistreitern von Aufsichtsrat über Vorstand und Bereichsleitung bis hin zu Projektteam samt -leitung für eine gemeinsame Einschätzung der Lage und der sich daraus ergebenden Notwendigkeiten zu erreichen. Das reduziert bereits Doppelarbeit und Aktionismus.

Kosmetische Arbeiten inbegriffen

In der Zeit vor der Aufsichtsratssitzung wird leider auch ein zweites Thema sichtbar: so mancher Projektbericht wird intensiv kosmetisch bearbeitet. Anstatt ehrlicherweise zu melden, dass es nichts zu melden gibt, werden gestartete Arbeitspakete in strahlenden Farben in Projektberichte gepackt. (Was wiederum dazu führt, dass, da scheinbar alle Vorhaben gut laufen, weitere Projekte angestoßen werden, über die sich diejenigen dann beklagen, die Projektberichte auf grün getrimmt haben. Aber das ist a) ein ziemlicher Schachtelsatz und b) nur ein Nebenaspekt der Diskussion.)

Wenn alle dem Aufsichtsrat gefallen wollen, dann fällt es schwer, sich als Einzelner aus diesem Muster auszuklinken. Selbst dort, wo einzelne Kollegen nur zu gerne Nicht-Fortschritt offen legen wollen würden, wirken andere so darauf ein, dass am Ende doch die dunkelrot-grüne Berichtspyramide entsteht. Die hat nichts mit der politischen Gesinnung zu tun. Die Bezeichnung beschreibt lediglich den Effekt, dass die Berichte oben stets grün sind, obwohl auf der untersten Berichtsebene durchaus mehrfach dunkelrot gemeldet wird.

So ist es dem Anschein nach in Berlin gelaufen. Eine Folie aus dem Vortrag "10 Tipps, wie Sie Ihr Projekt sicher ruinieren"
So ist es dem Anschein nach in Berlin gelaufen. Eine Folie aus dem Vortrag „10 Tipps, wie Sie Ihr Projekt sicher ruinieren“

Die Öffentlichkeit kennt dieses Phänomen aus Berichten zum Berliner Flughafen (Den kann man retten!), dessen Eröffnungstermin ganz kurzfristig und scheinbar plötzlich verschoben werden musste. Zumindest mit dem Blick des Profis von außen sah das ganz und gar nach kosmetischer Berichterstattung in Extremform aus. Am Ende waren die Aufsichtsräte dann vermutlich ebenso überrascht, wie die Bevölkerung, und sahen sich mit unangenehmen Fragen konfrontiert. Eines ist sicher: das geht besser und Aufsichtsräte haben große Stellhebel in der Hand, wie die Zeremonie vonstattengeht. Liege ich mit meiner Einschätzung richtig, hätten die Aufsichtsräte in Berlin ihren Job besser machen können. Da Aufsichtsräte im Normalfall über die strategisch bedeutendsten Projekte eines Unternehmens auf dem Laufenden bleiben wollen, haben ihr Verhalten und ihre Vorgehensweise Auswirkung in alle Unternehmensbereiche.

Was man von guten Projektleitern erwarten darf

Ein guter Projektleiter ist jederzeit auskunftsfähig über den Status und Fortschritt seines Projekts. Das ist keine exakte Wissenschaft und keine mathematische Formel steckt dahinter, es ist ein schlichtes Gegenüberstellen von Annahmen und Planung zur tatsächlichen Entwicklung (siehe dazu auch „Bitte hört auf, Termine einzuhalten!„). Diese Informationen braucht ein Projektteam, um sich die Arbeit aufteilen und Zeit dafür bereitstellen zu können. Der Projektleiter ist die Person, die dafür sorgt, dass die Informationen sinnhaft aufbereitet werden. Einen ordentlichen Projektbericht kann ein guter Projektleiter auf dieses Basis innerhalb kurzer Zeit zusammenstellen.

Dieser Bericht beinhaltet dann jedoch keine inhaltlichen Details zum Produkt, das erstellt werden soll, sondern beschreibt, wie es um die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung steht. Wobei es erst einmal unerheblich ist, mit welchem methodischen Ansatz gearbeitet wird. Ein Burndown-Chart leistet ebenso gute Dienste, wie ein Gantt-Diagramm, wenn die Anwender verstehen, was sie wie tun.

Damit diese Auskunftsfähigkeit hergestellt werden kann (und da ich hier kein Projektleiter-Bashing betreiben will), müssen zwei Dinge erledigt sein: 1. muss der Projektleiter dafür gesorgt haben, dass sein Projekt über ein entsprechendes Steuerungssystem samt der Steuerungssystematik verfügt und 2. muss der Projektleiter von seiner beauftragenden Instanz genug Kapazität eingeräumt bekommen haben, damit er dies tun kann.

Ersterer Punkt hängt von den Fähigkeiten des Projektleiters und der IT-Infrastruktur des Unternehmens ab, das zweite Thema kann der Aufsichtsrat direkt beeinflussen.

„Wie wird die Kapazität (der Projektleitung) für dieses Projekt gesichert?“

ist eine wirkungsvolle Frage, sobald ein Projektstart ansteht. Warum sie scheinbar so selten diskutiert wird oder so oberflächlich, erschließt sich mir nicht. Zu viele Projekte werden losgetreten, ohne dass Kapazitäten gesichert sind. Dann entsteht schädliches Multitasking und das ganze Projekt-Portfolio wird ausgebremst. Das kostet so richtig Geld für zusätzlich notwendige Koordination und das Berichten von Nicht-Berichtenswertem.

Für ein Kontrollgremium ist es aus meiner Sicht Pflicht und Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Projekte, die gestartet werden, mit ausreichend Kapazität ausgestattet sind. Wo Kapazitäten nicht sofort vorhanden sind, was der Normalfall sein dürfte, sollten Aufsichtsrat, Geschäftsleitung und Projektleiter eine Rangfolge der Projektbearbeitung vereinbaren. Sonst drohen die Vorhaben in der Versenkung zu verschwinden oder nicht die vereinbarten Ergebnisse zu liefern. Und um die geht es: um Ergebnisse! Das vergessen wir leider allzu oft.

Was mich zu einer zweiten Frage führt, die dem Aufsichtsrat gut ansteht:

„Was wollen wir genau mit diesem Projekt erreichen?“

Bei der Diskussion dieser Frage würde ich unbedingt auf stille Post verzichten wollen. Jetzt geht es um das Mandat und das Grundverständnis dafür, was am Ende des Vorhabens herauskommen soll. Wofür wird Zeit und Geld investiert? Bei den strategischen Themen müssen die Projektleiter zur Diskussion mit an den Tisch kommen, denn es geht darum, dass Aufsichtsrat, Geschäftsführung und Projektleitung dasselbe Verständnis dessen haben, was am Ende als Nutzen geliefert werden soll. Sonst drohen aufwändige Korrektureingriffe und Schleifen in der Bearbeitung, die sowohl Geld wie auch Nerven kosten. Unnötigerweise.

Ich schreibe bewusst von „Projektleitern“, auch deshalb, weil häufig Bereichs- oder Abteilungsleiter zu Projektleitern ernannt werden. Aus meiner Sicht ein Fehler, denn damit wird die oft schon knappe Kapazität für Führung in den Fachbereichen zusätzlich reduziert.

Wer Projekte erfolgreich umsetzen will, benötigt Projektleiter, die Kapazität und Know-how haben, Projekte zu leiten.

So banal das klingt, so schwer tun sich Unternehmen damit. Im Zweifel gilt es einen Pool an Projektleitern aufzubauen, die Expertise in Projektführung haben. Richtig gelesen: Expertise in Projektführung. Wer die vermeintlich beste Fachfrau zur Projektleiterin ernennt, entzieht seinem Projekt von Beginn an eine wichtige Expertin (siehe dazu auch den Vortrag „Zehn Tipps, wie Sie Ihr Projekt sicher ruinieren“). Denn dieser Ex-Experte darf sich nun auf einmal um Koordination kümmern, anstatt sein Know-how als Experte einzubringen.

„Wen sollten wir dafür als Projektleiter benennen – und warum?“

ist eine Frage, die ich deshalb, wäre ich Aufsichtsrat, ebenfalls standardmäßig stellen würde, wenn es etwa um die Vorbereitung der Strategieumsetzung geht, aus der die strategischen Programme und Projekte hervorgehen. Das zwingt im Zweifel auch eine in Projektorganisation weniger versierte Geschäftsführung, diesen Punkt gut zu durchdenken.

Finger weg von Planeinhaltung!

„Fähige Projektleiter halten Pläne ein!“ Diese Aussage ist blanker Nonsens. Fähige Projektleiter erreichen vereinbarte Projektziele.

Kein Plan der Welt lässt sich eins zu eins abarbeiten. Das ist auch gar nicht der Sinn von Plänen. Jeder Planer übersieht Dinge, jedes Projektteam muss auf das Unvorhersehbare eingestellt sein, je komplexer das Vorhaben, desto mehr Überraschungen sind zu erwarten.

Projektpläne bestehen aus Annahmen und Schätzungen, die sich an der Realität zwar messen lassen jedoch diese nicht abbilden können. Änderungen sind im Projekt der Normalzustand, ganz im Gegensatz zu einem tayloristischen Routineprozess (siehe dazu „Wer in Abteilungen denkt, denkt nicht in Projekt„).

Deshalb sollten bei einem Aufsichtsrat stets sämtliche Alarmglocken klingeln, wenn ausschließlich ein „Wir sind im Plan!“ gemeldet wird.

Von Ampelstatus ganz abgesehen, die bei Beratungshäusern so unglaublich beliebt sind, jedoch so gar nichts über den Projektstand verraten.

Wenn über Projekte berichtet wird, werde ich als Aufsichtsrat zur Schlüsselperson dafür, wie in meiner Organisation mit Projekten umgegangen wird. Wie gehe ich mit positiven und wie mit negativen Projektberichten um? Will ich die Abweichungen sehen? Will ich wissen, wie das Projektteam mit Störungen und Unwägbarkeiten umgehen will? Will ich eventuell sogar wissen, was wir als Gremium dazu beitragen können, damit das Projekt trotz der Unwägbarkeiten ein Erfolg wird? Dann präge ich als Aufsichtsrat eine Kultur des „Lasst uns die Probleme anschauen und gemeinsam lösen“ und des „Es geht um das angestrebte Ergebnis“. Ich sorge dafür, dass ich den ehrlichen Stand der Dinge sehen darf. Das erst versetzt mich in die Lage, meinem Auftrag als Aufsichtsrat gerecht zu werden.

Schöne, grüne Berichte sagen gelegentlich mehr über den Berichtsempfänger aus, als über den Projektstatus. Als Aufsichtsrat hat man wenig Zeit und viel Druck. Da gilt es sorgsam auf Worte und die eigene Reaktion zu achten.
Schöne, grüne Berichte sagen gelegentlich mehr über den Berichtsempfänger aus, als über den Projektstatus. Als Aufsichtsrat hat man wenig Zeit und viel Druck. Da gilt es sorgsam auf Worte und die eigene Reaktion zu achten.

Wenn ich ständig darauf schaue, wo welcher Teil des Plans nicht eingehalten wurde und darum bitte, die Abweichung zu erklären, dann wird das keine Zukunftsorientierung liefern. Dann entsteht kein Vertrauen. Im Gegenteil: dieses Verhalten wird dafür sorgen, dass stets alle Projekte „im Plan“ sind und als grün gemeldet werden, egal in welchem Schlamassel das Projektteam steckt. Als Aufsichtsrat merke ich das nicht. Ich bin viel zu weit weg, um den tatsächlichen Projektverlauf beurteilen zu können.

Dies schreibe ich im Wissen, dass ich über 20 Jahre lang nichts Anderes gemacht habe, als Projekte zu analysieren, zu planen, umzusetzen, zu retten, zu organisieren, und es mir niemals anmaßen würde, aus einem einzelnen schönen Projektbericht den tatsächlichen Verlauf des Projekts verstehen zu können. Wenn ein Projektteam nicht will, dass ich die schwierigen Stellen sehe, muss ich sehr lange graben, um diese zu Gesicht zu bekommen. Deshalb ist der Weg über das gegenseitige Vertrauen der verlässlichere und effizientere.

Pläne sind lediglich ein (visuelles) Hilfsmittel, um gesteckte Ziele zu erreichen. Aus dem Unterschied zwischen Plan und Realität, wenn man diese geschickt gegenüberstellt, kann man Schlüsse für den weiteren Projektverlauf ziehen.

Ein guter Projektbericht liefert diese Gegenüberstellung samt der Konsequenzen und Kompensationsmaßnahmen. Pläne sind Visualisierung gemeinsamer Gedanken und Vereinbarungen bezüglich des weiteren Vorgehens. Auf Basis von Plänen kann man in Szenarien denken, um Ziele zu erreichen. Die Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft bleibt, man begreift allerdings besser, wo Zusammenhänge sind und worauf man besonders Acht geben muss.

Als Projektleiter komme ich gerne in eine Aufsichtsratssitzung, die zum Ziel hat, die Projekte voran zu bringen, in der ich nicht um den heißen Brei herumdiskutieren muss und in der ich gegebenenfalls sogar Unterstützung bekommen kann, wenn ich meine Mittel ausgeschöpft habe. Das hat nichts mit Ausbüchsen oder Abgabe von Verantwortung zu tun. Es ist schlicht Fakt, dass ein Aufsichtsrat andere Dinge entscheiden kann (allein schon rein rechtlich) und meist auch weitreichendere Kontakte hat, als ein Projektleiter.

Wobei ich anmerken möchte, dass ich ein Fan davon bin, dass möglichst viele Entscheidungen im Projektteam getroffen werden, denn das macht Projekte so richtig schnell. (Eine Vorgehensweise, auf die vom Aufsichtsrat hingewirkt werden kann: Schnelle Entscheidungen für frühe Projektergebnisse.) Auf diesem Weg des Vertrauens kann der Aufsichtsrat seiner Aufsichts- und Kontrollpflicht weit besser gerecht werden, auch wenn das für den ein oder anderen rechtlich bewanderten Aufsichtsrat über das Maß hinausgehen sollte. Diese Gremien und die damit verbundenen Pflichten wurden letztlich eingerichtet, um den Unternehmenserfolg und damit die Investitionen der Inhaber wie auch die Arbeitsplätze abzusichern.

Kurze Projektberichte, bitte!

Als Aufsichtsrat darf ich von den Projektleitern kurze Projektberichte erwarten.

  • Ein guter Projektbericht holt mich erst einmal ab, da ich bei der Vielzahl der Vorhaben nicht alle Themen auswendig parat haben kann: die Projektziele sollten darin enthalten sein wie auch die Übersicht der Arbeitspakete, etwa in Form eines Projektstrukturplans, damit ich den ‚Scope’ des Projekts, den Umfang und Verantwortungsbereich, erkennen kann.
  • Dann sollte ich die Chance haben, die bisher erreichten Ergebnisse zu verstehen. Ich will als Aufsichtsrat in diesem Punkt nicht wissen, welche Aufgaben das Projektteam erledigt hat. Das sagt nichts über den Projektfortschritt aus. Ein Team kann viel Arbeit erledigt haben und gleichzeitig ohne Ergebnis dastehen. Lediglich die erreichten Ergebnisse sind jedoch für das weitere Projekt von Bedeutung, da auf diesen aufgebaut wird.
  • Wenn ich nun verstehe, welche Ergebnisse das Projektteam mit welchen Mitteln und in welcher Qualität bis heute erreichen wollte und welche tatsächlich erreicht wurden, werde ich schnell begreifen, inwiefern in diesem Projekt Handlungsbedarf besteht. Optional hilft mir eine Risikoanalyse und Übersicht der wesentlichen Projektrisiken samt Gegenmaßnahmen, das weitere Vorgehen besser einschätzen zu können.
  • Den Handlungsbedarf wiederum wird ein erfahrener Projektleiter mir mit seinen Kompensationsmaßnahmen und den nächsten Schritten erläutern, wie er mir auch deutlich machen wird, welche Entscheidungen von uns als Aufsichtsgremium gegebenenfalls erforderlich sind. Entsprechende Entscheidungsvorschläge gehören zwingend dazu.

Und ja, ich habe bewusst vom Projektleiter geschrieben. Wenn ich als Aufsichtsrat ein Projekt bewerten will, frage ich den Projektleiter. Alles andere ist wieder nur stille Post.

Und ja, ich kann als Aufsichtsrat an dieser Stelle auch über den Projektinhalt diskutieren, etwa wie eine bestimmte juristische Lösung aussieht oder ein technisches Problem gelöst werden soll, wenn dies für das Erfüllen meiner Kontrollfunktion notwendig und sinnvoll ist. Ich muss aber nicht, denn so sehr dies konkret und greifbar sein mag und Spaß macht: die Lösung des Problems ist in erster Näherung Sache der Projektleitung und des Projektteams. Dafür habe ich diese Menschen engagiert.

Zu oft erlebe ich, dass dadurch, dass zu stark über Projektinhalte diskutiert wird, ein Klima des Erratenwollens entsteht.

Die Projektteams versuchen vorweg zu nehmen, was dem Aufsichtsrat als Lösung gefallen könnte. Exakt diese wird dann in der Hoffnung präsentiert, sich gut zu verkaufen. Es wurde bisher jedoch in solchen Fällen nur selten die Lösung auserkoren, die die Experten gewählt hätten, die viel näher am Problem sind, als es ein Aufsichtsrat in den meisten Fällen sein kann.

Auf den organisatorischen Anteil achten

Viel wichtiger ist es, neben inhaltlichen Ergebnissen auch organisatorische Eckpunkte in den Fokus zu stellen. Jedes Projekt durchläuft organisatorisch ähnliche Stufen, die von der ersten Idee zu einem nützlichen Projektergebnis führen. Als Aufsichtsrat kann ich damit wie in einer Art Checkliste prüfen, ob ein Projekt organisatorisch gut aufgestellt ist:

  • Zuerst müssen das Mandat geklärt und der Projektleiter ausgewählt,
  • dann das Projekt aus Sicht des gesamten Projektportfolios einsortiert werden. Das geht mit einer ersten Klärung einher, ob grundsätzlich überhaupt Kapazität zu Umsetzung vorhanden ist und welchen Rang der Bearbeitung das Vorhaben gegebenenfalls erhält.
  • Mittels vorläufigem Projektteam, Projektstartworkshop und Abstimmung mit einzelnen Experten wird nun die Projektskizze erstellt, die klare Ziele sowie eine erste Schätzung von Aufwand, Kapazitätsbedarf und Umsetzungsdauer zur Freigabe durch Auftraggeber und Projektteam liefert.
  • Dann entwickeln die Mitstreiter das, was man früher pauschal als Projektplan bezeichnet hätte. Je nach methodischem Ansatz kann es sich dabei alternativ etwa um eine Product Roadmap samt Backlog handeln. Egal welche Methode man wählt, es entsteht nun eine ‚Version 1’, die sich im weiteren Projektverlauf ändern wird.
  • Auf dieser Basis gilt es spätestens jetzt die erforderliche Kapazität und damit auch das Budget für das Projekt zu sichern.
  • Womit das Vorhaben in die Umsetzung geht, die meist mit einer Art Auftaktworkshop gestartet (bspw. Kick-off, Planning-Workshop) und mittels Regelkommunikation vorangetrieben wird, die auf Basis der Projektpläne bzw. des Backlog und der Roadmap Fortschritt sicherstellen, Abweichungen kompensieren und passende Reaktionen auf all die Überraschungen, die da kommen, gewährleisten.
  • Jetzt muss das organisatorische System – und das ist nicht nur technisch gemeint – so aufgebaut sein, dass es mit Änderungen und Unerwartetem möglichst elegant umgehen kann und notwendige Entscheidungen leicht fallen und zügig getroffen werden.
  • Ebenso ist es wichtig, dass in sichtbaren, getesteten Teilergebnissen gedacht wird. Das macht nicht zuletzt die aktuelle Debatte um Agilität erneut deutlich (siehe dazu auch „The Roots Of Agility„). Erst lange auf dem Papier zu entwerfen und ganz am Ende das Gesamtsystem zu testen, kann sehr teuer werden. Deshalb macht es Sinn, Meilensteine der Umsetzung als greifbare, verwendbare Teilergebnisse zu verstehen. Das reduziert Risiko sowie Korrekturarbeiten und Testaufwand.
  • In dieser Phase ist es wichtig, ein zukunftsorientiertes Arbeitsklima zu schaffen, das auf Anpassungen im laufenden Projekt achtet und dafür sorgt, dass alle Mitstreiter bereits während der Laufzeit für die restliche Dauer lernen. Dafür benötigt es visuelle Darstellungsformen für Arbeitsorganisation und Sichtbarkeit des Vorankommens.
  • Irgendwann ist dann das Produkt verfügbar, das mit dem Projekt in Auftrag gegeben wurde. Das kann ein physisches Produkt ebenso sein, wie das Release einer Software oder eine organisatorische Änderung. Jetzt ist inhaltliche Einmischung insofern gefragt, dass dieses Ergebnis der Projektskizze gegenübergestellt und kritisch beurteilt wird, um für die letzte organisatorische Phase gut aufgestellt zu sein.
  • Nach der Bereitstellung des Produkts kommt eine Phase, die allzu häufig ausgeblendet wird, wohl auch weil sie oft sehr anstrengend und anspruchsvoll ist: die „Übergabe“ des Produkts an die Nutzer. Gerade bei Organisationsprojekten wird ein Projekt gerne bereits als fertig gemeldet, obwohl jetzt erst die tatsächliche Anpassung der Organisation an die neuen Prinzipien und Abläufe stattfindet. Als Aufsichtsrat sollte ich ganz bewusst klären, ob die Organisationsänderung – um bei Beispiel zu bleiben – wirklich Realität geworden ist oder im schlechtesten Fall nur auf dem Papier existiert. Dasselbe gilt, um ein zweiten Beispiel zu nennen, für die Markteinführung von Produkten. Die Bereitstellung alleine genügt nicht, um Nutzen für das Unternehmen zu schaffen. Das Produkt ist erst im Markt eingeführt, wenn es erste Umsätze generiert und sichtbar wird, dass der Business Case erreicht werden kann.

Das Projekt ist erst abgeschlossen, wenn der vereinbarte Nutzen erreicht ist.

Dann dient es nicht nur der Imagepflege der Aufsichtsräte, wenn der Erfolg gefeiert wird. Projekte sind risikobehaftet, der Erfolg niemals sicher. Allein deshalb ist die gemeinsame Feier des Erfolgs ein weiteres Element, das zu einer Projektkultur des offenen Umgangs mit Risiken und Unwägbarkeiten beiträgt.

In fünf Punkten und einer Moral zusammengefasst

Was nach vielen Punkten ausschaut, lässt sich – wenn auch nur grob – doch kompakt zusammenfassen:

  1. Ohne Kapazität kann man keine Projekte machen, wo Kapazität fehlt, hilft es, die Rangfolge der Bearbeitung zu vereinbaren.
  2. Projekt-Profis und nicht Experten zu Projektleitern machen, damit der Experte Expertenarbeit machen kann und die Zusammenarbeit gut koordiniert abläuft.
  3. Den erwarteten Nutzen durch ein Projekt gemeinsam mit den Projektleitern klären, um stille Post und damit unnötige Schleifen zu vermeiden.
  4. Kurze Projektberichte nach immer demselben Schema einfordern, die auf Ergebnisse und zukünftige Kompensation von Abweichungen gegenüber der Planung fokussieren, nicht auf erledigte Aufgaben.
  5. Darauf achten, dass die Organisation der Zusammenarbeit geklärt ist und zwar bis zum sichtbaren Nutzen, nicht nur bis zum Konzept.

Und die Moral der Geschicht’? Köpfe Deine Projektleiter nicht. Niemals. Sonst erhältst Du bloß einen dunkelrot-grünen Projektbericht.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

P.S: Falls Sie Aufsichtsrat sind und das gelesen haben, würde ich mich über einen kurzen Hinweis sehr freuen. Bisher bin ich der Meinung, dass dieser Blog nicht von Aufsichtsräten gelesen wird. Würde ich eines Besseren belehrt, wäre meine Freude groß.

Weitere Artikel, deren Gedanken in diesen Beitrag eingeflossen sind und diese in mehr Tiefe aufgreifen:

(Visited 1.744 times, 1 visits today)

Kommentar verfassen