Wie gut passt der Begriff „Projektmanagement“ zu dem, was in Unternehmen derzeit benötigt wird? Immer öfter kommt mir diese Frage in den Sinn, vor allem, wenn ich erlebe, welch hierarchisches Verständnis nicht selten hinter dem Begriff „Projektmanagement“ steckt. Müssten wir da nicht vielmehr von „Projektführung“ sprechen? Schließlich ist es derjenige, der den Hut auf hat, der die anderen zum Ziel führt. Allerdings will das klassische Bild von Führung, mit dem Chef ganz oben, auch nicht so recht passen. Gefragt ist eine ganz andere Art der Führung als wir sie traditionell kennen: Führen ohne Macht. Führen durch Verhandeln und Vereinbaren. Laterale Führung.
Worte bestimmen, was wir erwarten
Warum die Wortklauberei? Weil Worte unseren Erwartungshorizont bestimmen. Wir hören „Projektmanagement“ und haben sofort eine Vorstellung davon, um was es sich dreht. Leider häufig eine unpassende, eine die mit Kommando und Kontrolle verbunden wird, was nicht zuletzt teilweise in der Blogparade zu „Beyond Project Management“ aus dem Jahr 2014 deutlich wurde. Hinterfragt man die mit dem Begriff „Projektmanagement“ verbundene Vorstellung, ähnelt diese häufig eher den Ideen von Taylor und Ford. Die beiden Herren wollten jedoch dasselbe Produkt immer wieder und dazu noch günstig herstellen. Im Projekt geht es darum nicht, es geht vielmehr darum, etwas bisher Unbekanntes überhaupt irgendwie zu realisieren.
Außerdem wird der Begriff „Projektmanagement“ häufig mit einer Sammlung von Projektmanagement-Werkzeugen verbunden, die in Projekten zum Einsatz kommen. Die Anwendung der Werkzeuge steht im Fokus, manches Mal nahe am Zwanghaften. Was durchaus seine Berechtigung haben mag, jedoch nicht Sinn und Zweck ist. All diese Instrumente sind letztlich Hilfsmittel, um die von einem Projekt erwarteten Ergebnisse leichter und mit höherer Sicherheit zu erreichen. Ist von Projektmanagement die Rede, wird schnell vergessen, dass es sich dabei schlicht um eine Sammlung bewährter Instrumente handelt. Alternativen sind zulässig, Anpassungen und Weiterentwicklungen nicht ausgeschlossen.
Derselbe Effekt tritt ein, wenn wir von „Projektleitern“ sprechen. Nicht selten wird damit die Person gemeint, die das Vorhaben im Sinne eines Fachexperten vollständig verstehen kann, weshalb sie in der Lage ist, alle Beteiligten anzuweisen und Entscheidungen zu treffen. Genau diesen Typ Projektleiter benötigen wir nicht mehr, denn wenn wir von echten Projekten sprechen (1), dürfen wir davon ausgehen, dass wir etwas tun, was ein einzelner Mensch nicht mehr in seiner Gesamtheit verstehen kann. Er ist auf eine gute Zusammenarbeit von verschiedenen Experten angewiesen.
Womit der Begriff „Projektführung“ beginnt Sinn zu machen – wenn er so verstanden wird, dass die Führungskraft die Aufgabe hat, diese gute Zusammenarbeit zu organisieren. Es geht darum, gemeinsam ein (soziales) System zu schaffen, das in der Lage ist, die gesteckten Ziele zu erreichen. Die „Projektführung“ hat für diese durchaus kreative Gestaltungsaufgabe jedoch keine Machtmittel im klassischen Sinne zur Verfügung. Sie kann immer einwirken, jedoch nie bestimmen.
Projektführung ist vor allem Organisation von Zusammenarbeit
Genau diese Gestaltung des Systems, die Organisation von Zusammenarbeit, ist es, die über den Erfolg entscheidet von Vorhaben, die eine einzelne Person nicht mehr verstehen kann. Wenn es gelingt, dass die Experten Hand in Hand arbeiten, dass sie Informationen sinnvoll und schlüssig an die passende Person weitergeben, dass sie Ideen verwerfen oder anpassen, dass sie gemeinsam weiterentwickeln, dann kann Neues entstehen. Entsprechend gehört zur Aufgabe der Projektführung Vertrauen entstehen zu lassen, eine passende Projektkultur zu schaffen, ein Klima entwickeln zu lassen, das Eigenverantwortung fördert – und fordert.
Projektführung muss dabei zwangsläufig davon ausgehen, dass sie nichts weiß. Selbst die Experten wissen nur über Vergangenes und müssen nun die Haltung von Lernenden einnehmen, die sich gemeinsam auf den Weg machen, um neue Erfahrungen zu generieren und daraus Projektergebnisse zu entwickeln. Weshalb Projektführung auch als das Gestalten eines gemeinsamen Lernprozesses verstanden werden kann. Dieses gemeinsame Lernen und Wirken benötigt eine Instanz, die für die Spielregeln der Zusammenarbeit sorgt, die Hindernisse – wie etwa Konflikte – aus dem Weg schaffen hilft, die es den Experten ermöglicht, sich auf ihre Expertenrolle einlassen zu können.
Der Projektführer ist Dienstleister für alle Beteiligten
Mit dieser Verantwortung wird der Projektführer zum Dienstleister für gute Zusammenarbeit. Er versucht zwischen den verschiedenen Interessen der Beteiligten zu vermitteln, diese auszubalancieren. Seine Basisstrategie bedingt, dass er verhandelt und vereinbart. Das setzt wiederum voraus, dass er die Menschen sieht, die beteiligt sind, und deren Besonderheiten.
Wer nun im Kopf hat, dass über diesem Projektführer noch die Geschäftsleitung wacht, sollte mit sich selbst noch in Klausur gehen. Genau das ist hiermit nicht gemeint. Der Projektführer führt alle Beteiligten zum Ergebnis, indem er moderiert, koordiniert, visualisiert, sichtbar macht, Vereinbarungen trifft und Abweichungen gegenüber Vereinbarungen anspricht, für geeignete Reaktionen sorgt, ohne anzuweisen und ohne diese selbst entwickeln und durchführen zu können. Das gilt auch für die Geschäftsleitung, die letztlich als Auftraggeber fungiert. Das gilt ebenso für diejenigen, die einen Pool von Experten vorhalten und zu denen wir heute wohl Abteilungsleiter sagen würden. Und das gilt für alle Beteiligten, die keinen Arbeitsvertrag mit dem eigenen Unternehmen haben, weil sie freiberuflich mitwirken oder beim Lieferanten oder Kunden angestellt sind. Projektführung hört nicht an der Unternehmensgrenze auf.
Bleibt die Frage, ob Projektführung hierfür der geeignete Begriff ist – im Sinne, dass er hilfreich und nützlich ist, um sich von alten Vorstellungen zu lösen? Vielleicht wäre auch „project leadership“ geeignet? Oder etwas ganz anderes? Wie auch immer: Hauptsache es hilft uns, uns von dem Bild eines hierarchischen Organisationsansatzes zu lösen. Der passt im Moment eher dort, wo Taylor und Ford nach wie vor gute Dienste leisten: in der Serienproduktion. Weiterentwicklung nicht ausgeschlossen.
Was denken Sie dazu? Ich freue mich auf Kommentare.
Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch
zu (1) siehe auch:
- Projekt oder Projektitis? Versuch einer Definition.
- Wer von Abteilungen redet, denkt nicht in Projekt.
Danke für die Blumen. Was das ERP betrifft, habe ich allerdings andere Erfahrungen gemacht: ein ERP ist oft eher hinderlich, wenn es um die Projektarbeit geht. Mit dem ERP werden die (berechtigten) Anforderungen der Routineorganisation erfüllt, weniger die des Projekts. Es ist eher „notwendiges Übel“.
Um ein Projekt erfolgreich zu machen, muss sich ein Vorhaben möglichst von der Routineorganisation entkoppeln, etwa indem Mitarbeiter eine bestimmte Zeit pro Woche für ein Vorhaben freigestellt sind. Diese Zeit kann ich über ein ERP blockieren. Dann hilft das ERP, die Kapazität zu schützen. Wir ein Projekt über die Prozesse im ERP gesteuert, dann wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit anstrengend zu steuern.
Toller Artikel. Sicherlich brauch das Projektmanagement auch eine Führung. Wenn das Projektmanagement durch das ERP unterstützt werden kann, funktioniert es einwandfrei.
[…] https://blog.projektmensch.com/2015/07/09/projektfuehrung-anstatt-projektmanagement/ […]
[…] Kanban meine Mittel der Wahl. Wo etwas wirklich Neues entstehen soll, braucht es Könner in Sachen Projektführung, die unterschiedlichste organisatorische Ansätze integrieren […]
[…] https://blog.projektmensch.com/2015/07/09/projektfuehrung-anstatt-projektmanagement/ […]
Lieber Klaus Wagenhals,
ich bin mir gar nicht so sicher, inwieweit sich die Führungsrolle radikal verändern muss, wenn „agil“ auf der Agenda steht. Ist es eher ein Rückbesinnen? Ich frage mich schon lange, ob es nicht-agiles Projektmanagement überhaupt gegeben haben kann. Ist es nicht vielmehr ein Treppenwitz der Geschichte, dass mancher aus den Organisationswerkzeugen und Vorgehensweisen des Projektmanagement „command & control“ gemacht hat?
Für mich war und ist beispielsweise ein Gantt-Diagramm kein Festschreiben von Dingen, sondern ein Hilfsmittel, das mir eben hilft, meine Gedanken auszudrücken und Abstimmungsergebnisse festzuhalten. Die Haltung hinter dem Instrument ist es, die durch die Diskussion um „Agilität“ in den Vordergrund rückt. Das kann ich nur begrüßen.
Die Definition „Führung die Beeinflussung von Menschen über eine wertschätzende Kommunikation oder eine vorbildliche Tat/Handlung ist, um eine gemeinsames Ziel zu erreichen“ gefällt mir dazu gut. Auch, da sie sich nicht auf eine einzelne Person bezieht. In einem Projekt kann jeder in Führung gehen, ganz nach Situation, Bedarf und Eignung. Was für mich bei Scrum am deutlichsten in Rollen definiert wurde, die unterschiedliche Aspekte der Führungsaufgaben übernehmen. Sie sind mit der Aufteilung per Definition auf Kooperation angewiesen, wo in mancher Welt eine Schein-Hierarchie suggeriert (hat), es ging ohne kooperatives Verhalten. Aus „Beeinflussen“ wurde „Steuerung und Kontrollieren“.
Das ist vermutlich der Aspekt, der für manche Personen eine schmerzhafte Veränderung mit sich bringen wird. 🙂
Beste Grüße
Holger Zimmermann
Lieber Holger Zimmermann,
habe grade beim Surfen Ihren obigen Artikel gesehen und gelesen – finde ich sehr gut – kann ich nur unterschreiben. Leider ist die dort gezeigte Sorgfalt in der Umschreibung dessen, was mit Führung gemeint ist, nicht so weit verbreitet. Das hat natürlich auch den Hintergrund, dass der Management-Begriff als Teil unseres amerikanisierten Sprachgebrauchs mehr her macht als Führer (den man nicht so gerne verwendet, weil er durch die Nazis versaut wurde) – obowhl auch die Amis ja schon vor Jahren eine feine Unterscheidung zwischen management und leadership formuliert haben (z.B. Boyatzis).
diese Diskussion gabs auch schon mal im GPM-Blog – und dennoch hat die darin enthaltene Konsequenz noch nicht überall im Projektmanagement Fuß gefasst. Zum besonderen Charakter der Führung in Projekten habe ich schon in 2014 einen Artikel geschrieben in: Basiswissen PM – Führung im Projekt, herausgegeben von Wagner/Grau im Symposion-Verlag S.17ff.
ich halte mich bei der Definition von Führung immer noch an die alte – aus der Wirtschaftspsychologie stammende – Definition, wonach Führung die Beeinflussung von Menschen über eine wertschätzende Kommunikation oder eine vorbildliche Tat/Handlung ist, um eine gemeinsames Ziel zu erreichen. Hieraus ergibt sich, dass es nicht um „command and control“ geht, sondern um zuhören, beraten, verhandeln usw. und eben auch nicht nur um Reden, sondern auch um Handeln, was auf den Teil der Rollen eines Projekt-Führers verweist, in denen er zeigen muß, wie er´s macht und dass er als Vorbild in der Kooperation, aber auch in der weiteren Vernetzung und in der Repräsentanz des Projekts nach außen sowie in der Art, wie er Konflikte angeht und ggf löst dienen kann.
Unter agilen Bedingungen verändert sich nämlich dieses Rollenbild radikal, weil offensichtlich durch die drei zentralen Rollen, die dort eingeführt wurden, sich die Führungsaufgaben neu verteilen und damit den Projektführer neu definieren. Dieser Prozess ist noch längst nicht abgeschlossen – man kann gespannt sein, was daraus noch wird.
ich beteilige mich gerne an der weiteren Debatte – ich arbeite viel in diesem Bereich und kann daher Beispiele beisteuern. viele Grüße Klaus Wagenhals
[…] https://blog.projektmensch.com/2015/07/09/projektfuehrung-anstatt-projektmanagement/ […]
[…] denkt, dass das mit der Erfüllung von Plänen zu tun hat, dem tut vielleicht gut von Projektführung zu reden. Da danke ich Conny für die Erinnerung an diesen Artikel. „Das Delta ist das […]
Lieber Henning Zeumer,
in der Tat. Die Bezeichnung „intelligente Führung“ gefällt mir, da sie für mich einschließt, dass jemand nachdenkt, seine Intelligenz einsetzt, und nicht einem bereits definierten Weg oder Automatismus folgt.
Beste Grüße
Holger Zimmermann
Mir aus dem Herzen gesprochen! Da kann man auch nicht oft genug darauf hinweisen, dass Projektführer eben nicht wie andere Manager etwas im Grunde Bekanntes managen, sondern sich immer auf unbekanntem, neuem Terrain bewegen. Noch dazu meistens ohne disziplinarische Macht, angewiesen auf die intelligente „Führung“ ihrer „Kunden“, z.B. der Fachabteilungsleiter und Executives, und auf die Motivation zum teamhaften Zusammenarbeiten ihrer Projektmitarbeiter, auch oft über Unternehmensgrenzen (und -Interessen) hinaus.
Gute Projektführer, -manager oder -leiter zeichnen also neben solider Methodenkompetenz vor allem Sozial- und Führungskompetenz aus, um die Projektziele erreichen zu können. Das ist weit mehr als irgendein „Berater“ je aufbringen muss. Und da wir meist ein Team aus Fachspezialisten führen, darf die persönliche Fachkompetenz im Projektmanagement gern mal in den Hintergrund treten, damit wir auch genug Zeit für unseren Führungsjob haben.
Herzlichst
Henning Zeumer
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der Projekt-Sanierer
Was das „über die Lippen gehen“ des Begriffs „Projektführung“ betrifft, kann ich mich nur anschließen. Vielleicht ist es gerade diese Tatsache, die helfen kann, sich die Führungsaspekte der Projektleitungsaufgabe bewusster zu machen? Der Begriff hat noch keine Schublade.
Projekt“management“ ist tatsächlich eine Führungsaufgabe. Und eine besonders schwierige noch dazu: Denn ich muss Mitarbeiter aus vielen verschiedenen Bereichen führen, die mir selten disziplinarisch untergeordnet sind. Somit muss ich ein konkretes Ziel vor Augen haben, es allen kommunizieren, die verschiedenen Mitarbeiter orchestrieren, für Fortschritt sorgen, Probleme und Konflikte lösen, mit meinem Auftraggeber abstimmen… Das ist klassische Führung oder englisch Leadership. Der Begriff „Projektführung“ geht mir trotzdem nur schwer über die Lippen.