Über Lemminge und das Gegenteil von Vielfalt

Welche Marmelade kauf' ich jetzt? Vielfalt ist attraktiv und produziert Lemminge.

Das Gegenteil von Vielfalt ist Einfalt.

Mit diesem Satz könnte dieser Artikel auch schon wieder enden, denn es ist doch alles erklärt. Wäre da nicht die sehr persönliche Tatsache, dass mir Vielfalt inzwischen immer öfter auf den Zeiger geht. Und welcher Moderator kennt nicht diesen Moment, indem die Entscheidung getroffen wurde und dann, scheinbar aus dem Nichts, ein weiterer Vorschlag auf den Tisch kommt. „Zum Teufel mit der Meinungsvielfalt! Wann ist es eigentlich genug?“ Vielfalt fördert ambivalentes Verhalten.

Die Überforderung vor dem Supermarktregal

Ich brauche Marmelade. Erdbeer mag ich gerne, Himbeer auch. Die hier oder doch die? Oder die? Und was ist denn das? Himbeer-Mirabelle. Hatte ich noch nie. Oh, gibt es auch als Fruchtaufstrich, dann ist noch Aprikose drin. Ja, welche nun? Was meinen die Kinder? Oder Erdbeer-Himbeer-Maracuja-Mirabelle? Ach, ich kaufe Nutella. Das mag fast jeder.

Vielfalt ist für mich ein (grundsätzlich) sehr positiv belegter Begriff. Er geht einher mit dem Gedanken an individuelle, exakt für mich passende Möglichkeiten. Viele Unternehmen streben danach. Man muss sich nur die Produktpaletten der Anbieter anschauen. Früher gab es von VW den Käfer zu kaufen, heute kann ich die Modellpalette von VW nicht mehr vollständig aufzählen. Ganz abgesehen von den verschiedenen Ausstattungsvarianten. Ich bin überfordert und greife im Zweifel zu Altbewährtem, um wenigstens keinen Fehler zu machen. Oder ich frage einen Experten meines Vertrauens, um zu einer Entscheidung zu kommen.

Diesen Effekt finde ich insofern interessant, da in beiden Fällen mein Handlungsspielraum eingeschränkt wurde. Von mir selbst. Von Vielfalt würde ich das Gegenteil erwarten, oder etwa nicht? Ich würde erwarten, dass durch ein vielfältiges Angebot die von mir gewählten Varianten größer und unterschiedlicher werden. Doch weit gefehlt.

Entscheidungsverhalten wie Lemminge

Weit weniger sicht- und greifbar als die Modellpalette von Autoherstellern ist die Vielfalt der unternehmerischen Optionen, etwa bei der Wahl der Strategie oder einer Entscheidung für eine Lösungsvariante im Projekt. Obwohl jeder Entscheider die schiere Menge der Möglichkeiten spürt. Je größer die Vielfalt, desto schwieriger ist es, das „Richtige“ zu wählen. Womit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass gewählt wird, was bisher immer gewählt wurde, was im Harvard Business Review als Top-Methode gilt oder von Experten empfohlen wird. Damit können Entscheider zumindest nicht „fälscher“ liegen, als andere.

Der Weetbewerbsvorteil, der ist dann jedoch – leider, leider – futsch. Es lag wohl am Markt, erlärt es der Projektleiter dem CEO und der wiederum dem Aufsichtsrat. Ist ja alles komplexer geworden. „Das stand da auch, im Harvard Business Review und sogar in der Tageszeitung!“

Mein Freund, Herr Idepap, der würde dagegen weise dazu raten, mit Vieltfalt sehr sorgsam und bewusst umzugehen. Sein Mandant, Vorstandsvorsitzender einer bekannten Unternehmung, war ihm für diesen Rat in vielen Situationen schon sehr, sehr dankbar. Es gilt Vielfalt sichtbar zu machen, um ihr bewusst zu werden. Das hilft dem Verstehen, auch wenn man es gedanklich gar nicht voll durchdringen kann. Und wenn man spürt, dass sich die Vielfalt nicht greifen lässt, gilt es zu entscheiden, obwohl man nicht alle Optionen kennt. Dafür braucht es dann „Entscheider“.

Ja und darüber hinaus: Vielfalt ist wunderbar. Sie macht das Leben reicher, mindestens an Abwechslung, Überraschungen und Spannung. Da kann man schon mal nach streben. Das ist mein Beitrag zur Blogparade des PM Camp Berlin 2017 zur Überschrift „Vielfalt“. Was meinen Sie?

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

P.S: Ich habe nichts gegen den Harvard Business Review – ich wollte lediglich einen bekannten Titel verwenden 🙂

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