Mit Projekten Wachstum schaffen

Kann einem schon den Blick vernebeln: einfach Routine als Projekt bezeichnen, das Projekt-Portfolio füllen und schöne Präsentationen basteln. Dann vielleicht doch lieber Projekte ehrlich betrachten und damit Wachstum schaffen? Schaut halt nicht immer so cool aus.

Bei diesem Text geht es um eine Sache, die mich schon lange beschäftigt, einem grundlegenden unternehmerischen Anliegen: Wachstum. Wie kann ein Unternehmen Wachstum schaffen? Wie gelingen Wachstumsprojekte? Projekte sind ein Schlüssel für Wachstum, etwa wenn man die Chance hat, den größten Auftrag der Unternehmensgeschichte umzusetzen, oder wenn man neue Technologien nutzen und neue Geschäftsmodelle etablieren will, wie derzeit in Sachen Digitalisierung. Dann sind Projekte dazu da, das Neue zu erschließen. Um Projekte dafür systematisch nutzen zu können, braucht ein Unternehmen die Fähigkeit, bewusst unterschiedliche Organisationsformen für unterschiedliche Aufgabenstellungen nutzen zu können. Das klingt langweilig und macht doch einen riesigen Unterschied. Wer als Projekt umsetzt, was Routine sein sollte, ist ineffizient. Wer auf Routineprozesse baut, um das Neue zu entwickeln, scheitert. 

Wachstumsaufgaben

Wer in einem wachsenden Markt aktiv ist, in dem sich die Wettbewerber dusslig anstellen, nicht um Kunden kämpfen, der muss nicht weiterlesen. Für alle anderen, die wachsen wollen, ist dieser Artikel gedacht. Denn die haben immer mit demselben Faktor zu tun: dem Neuen. Wer Wachstum schaffen will, der braucht das Neue, das Unbekannte, das bisher nicht Genutzte. Eine neue Technologie, die „Digitalisierung“ lässt grüßen, neue Geschäftsmodelle, ein neues Preismodell, neue Kunden, neue Marktsegmente, neue Technologien, eine neue Firma, die aufgekauft wird. Denn daraus entsteht Wachstum. Wessen Unternehmen in der Lage ist, sich das Neue systematisch zu erschließen, der hat einen nur schwer zu kopierenden Wettbewerbsvorteil.

Dieses Neue wiederum bringt mit absoluter Gewissheit Ungewissheit mit sich.

Nicht-Wissen und Überraschungen sind erwartbar, wo wir uns aufmachen, Neuland zu erschließen. Dann gilt es zu lernen, sich Wissen anzueignen, Know-how aufzubauen und es gilt zu kooperieren, denn in solchen Momenten hat man nicht immer gleich die Kapazität, um alle Aufgaben selbst stemmen zu können. Plötzlich sitzen Hochschule, Maschinenbau-Unternehmen, IT-Dienstleister und Software-Start-Up an einem Tisch und sollen zusammenarbeiten. Das wirft Fragen auf.

Wachstum braucht Kooperation über Bereichs- und Unternehmensgrenzen hinweg

Für mich ist es in solchen Momenten offensichtlich, was es dann braucht: „irgendein“ Modell der Zusammenarbeit. Wie wollen wir miteinander arbeiten, damit wir am Ende das Neue haben? Wer kümmert sich um was? Wie kommen wir zu Entscheidungen? Wie stellen wir sicher, dass wir die Informationen haben, die wir brauchen? Und worauf arbeiten wir denn gemeinsam hin? Wer von uns hat was davon am Ende?


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So banal das hier klingen mag, so banal sind die Fehler die dann gemacht werden: man arbeitet mal drauflos. Das Ganze wird schnell „Projekt Wachstum 2021“ getauft und ein Projektleiter ernannt. Doch die Arbeitsaufträge landen immer noch in den Abteilungen, die so gar nichts mit Projekt zu tun haben. Denn „Projekt“ ist in erster Linie eine andere Art, Zusammenarbeit zu organisieren. Anders als die tayloristische Organisationsform, in der Routine und Sicherheit der Massstab aller Dinge sind. „Wer in Abteilungen denkt, der denkt nicht in Projekt“ (oder so ähnlich), hatte ich einen Artikel im Blog mal getauft. Und genau da fängt das Problem an.

Wer wachsen will, muss Projekte als Projekte organisieren und Routine als Routine

Wer ernsthaft wachsen will (ohne sich später als heldenhafter Projekt-Retter zu stilisieren), der muss verstehen, was Projekte sind: eine Organisationsform, die gemacht ist, das Neue zu schaffen oder zu erschließen.

Projekte sind dazu da, Wachstum zu schaffen.

Das hat nichts mit dem zu tun, was im Alltag der Unternehmen als „Projekt“ bezeichnet wird. Das hat auch nichts mit Formularen zu tun und Projektplänen. Die können hilfreich sein, ja, aber nicht, wenn damit Abteilungsbedürfnisse befriedigt werden. Arbeitsaufträge an Abteilungen sind ein todsicheres Zeichen dafür, dass in einer Situation, in der Neuland erschlossen werden soll, etwas schief läuft. Auf diese gelingt es nur schwerlich, Neues zu etablieren. Abteilungen sind dazu da, das bestehende Geschäft solide und profitabel zu erledigen. Sie bedienen den Routineprozess, mit Aufgaben außerhalb der Routine tun sie sich schwer. Wer einen der großen Automobilhersteller bittet, ein Einfamilienhaus zu liefern, merkt, wovon ich spreche.

Wo „Projekt“ ernst gemeint ist, werden Menschen aus den Abteilungen herausgelöst und an das Projekt ausgeliehen. Das „interdisziplinäre Team“ ist da ernst gemeint: alle Menschen, die wir brauchen, um den angestrebten Coup zu landen, müssen an einen Tisch und möglichst reibungsfrei miteinander arbeiten. Da spielt die ursprüngliche Stellenbeschreibung keine Rolle mehr. Es geht jetzt darum, die eigenen Talente einzubringen und gemeinsame Sache zu machen. Das kann man als „agil“ bezeichnen, ja, am Ende ist es doch nur gesunder Menschenverstand. Wie sollte das Neue gelingen, wenn die Menschen sich nicht einbringen können?

Die richtigen Projekte und die Projekte richtig

Wenn ich mir Projekt-Portfolios in Unternehmen anschaue, dann macht mich das sehr nachdenklich, etwa, wenn das Maschinenbauunternehmen die 214. Lieferung einer Serienmaschine als Projekt betitelt und einen Projektleiter dafür abstellt. Wer bei dieser Stückzahl noch tatsächlich als Projekt organisiert, der hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Diesen Fall sollte der Routineprozess abbilden. Der Vertrieb verkauft aber immer Sonderlösungen? Ja, dann greift der Prozess wohl zu kurz. 

Ein guter Prozess startet stets dort, wo der erste Impuls zur Wertschöpfung entsteht. In diesem Fall also bei der Anfrage des Kunden. Dazu noch ist ein guter Prozess so aufgebaut, dass er sowohl für den Standardfall („Maschine verkauft, wie im Katalog beschrieben“) wie auch die Abweichungen davon  („Maschine Typ XY verkauft mit Sonderanbau OPQ“) handhaben kann. Was nicht ausschließt, dass ab einem bestimmten Neuigkeitsgrad aus einem Auftrag ein Projekt werden kann. Ein guter Prozess wirkt allerdings über alle Schritte darauf hin, die Ausnahmen entweder zu vermeiden (deshalb kann man die Serienmaschine günstiger anbieten als eine Sonderausgabe) oder im richtigen Moment zu erkennen und dann auf ein anderes Organisationsschema zu wechseln. Dann geben sich Projekt und Prozess die Hand.

Warum ich das schreibe? Weil die falschen Themen als Projekte in den Projekt-Portfolios stehen. Wo ein echtes Projekt ansteht, ist das gerade zu Beginn meist sehr abstrakt, nicht greifbar. Dann wird mit dieser Sonderaufgabe mal ein Mitarbeiter  betraut, meist aus dem Management, der sich kümmern soll. Analysen und Konzepte entstehen, irgendwie, es wird präsentiert, doch vorwärts kommt man nicht. Dann ändert man das Ganze nochmal, gibt ihm einen neuen Namen, vielleicht auch eine andere Zuordnung der Abteilung. Irgendwann verläuft es sich im Sand, das Thema. Manchmal mit Wissen des Managements, manchmal in guter Gläubigkeit, dass das Ganze erfolgreich war. Nichts ist leichter als ein abstraktes Vorhaben als erfolgreich zu deklarieren und das völlig unabhängig vom tatsächlichen Stand der Dinge.

Genau diese abstrakten Vorhaben sind es jedoch, die die Bezeichnung „Projekt“ verdient haben. Dann, wenn es mehr Frage- als Ausrufezeichen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein echtes Projekt vor einem liegt. Genau diese Themen gilt es dann systematisch anzugehen, um sich nicht in Schleifen und Präsentationen zu verlieren, sondern wirklich etwas auf die Beine zu stellen. Doch genau diese Wachstumsvorhaben, die fehlen in den Portfolios, werden nebenbei bearbeitet oder sind mit Worthülsen in den Listen platziert, die alles sagen und doch auch nichts.

Aus abstrakten Themen greifbare Projekte und diese sichtbar machen

Wer sein Unternehmen ernsthaft in die Lage versetzen will, systematisch Wachstum zu erschließen, der muss lernen, genau diese abstrakten Vorhaben greifbar zu bekommen. Sonst fehlen sie in den Portfolios und bekommen damit zu wenig Aufmerksamkeit und zu wenig Ressourcen. Die brauchen sie, damit ihr Erfolg bei allem Risiko wahrscheinlicher wird. 

Wäre ich Aufsichtsrat, dann würde ich genau darauf achten: sind die für den Wachstumskurs „richtigen“ Projekte im Portfolio zu sehen? Sind sie klar genug benannt, greifbar definiert und dabei die Unsicherheit offen benannt? Was sind die konkreten Ergebnisse, die zum Thema bereits erreicht wurden? Und ich würde darauf achten, dass die Routineaufgaben nicht im Portfolio zu sehen sind. Da ist der Anspruch, dass die Prozess gut genug sind, um diese zu einem guten Ergebnis zu führen. So wird Kapazität frei für die strategischen Anliegen und den damit verbundenen Wachstumskurs.

Damit das gelingt, muss ein Unternehmen in der Lage sein, die Projekte „richtig“ zu machen, systematisch aufzusetzen, zu durchdenken, mit allen Überraschungen, die da lauern, zum Erfolg zu machen. Dazu braucht es gute Projektleiter, die die Projekte auch wirklich leiten: leiten können und leiten dürfen. Projektleiter, die Alarm schlagen, wenn sie Abteilungen mit bisher unbekannten Aufgaben betrauen sollen, die klares Signal geben, wenn Kapazität fehlt, und die glasklare Entscheidungen herbeiführen, bei allen Schmerzen, die das mit sich bringen kann. Denn sonst geht das in die Hose. Gute Projektleiter wissen das. 

Grundvoraussetzung: Die Unternehmensleitung versteht, wozu Projekte da sind und wozu nicht

Damit sind wir wieder bei dem Punkt, der mich nachdenklich macht, oder ehrlicher: der mir Sorgen macht. Wir kleben das Etikett „Projekt“ viel zu schnell auf die vielen Vorhaben des Alltags, unreflektiert. Das führt dazu, dass wir volle Projekt-Portfolios haben und viele Projektleiter. Die wirklich wichtigen Themen, um unsere Unternehmen fit für die Zukunft zu machen, die werden irgendwo abseits betrieben. Diese sollten allerdings ins Rampenlicht, um die Energieversorgung zu bekommen, die sie brauchen, um erfolgreich zu werden. 

Gleichzeitig sind derzeit so einige Projektleiter eher Auftragskoordinatoren. Eine klarere Verwendung von Begriffen und Titeln würde helfen, die Unterschiedlichkeit der Anforderungen greifbar zu bekommen. Wer als Auftragskoordinator die Herstellung eines Gutes im Rahmen eines Prozesses koordiniert, der leitet kein Projekt. Wer ein Projekt leitet, der sorgt dafür, dass Experten verschiedener Disziplinen gemeinsame Sache machen und koordiniert darauf hinarbeiten, dass sie am Ende einen Coup landen. Wo der eine dafür sorgt, dass möglichst nahe am beschriebenen Prozess gearbeitet wird, sorgt der andere dafür, dass man Wege findet, mit Unsicherheit, Nicht-Wissen sowie Überraschungen umgehen zu können – und dabei Kurs zu halten.

Wer neue Geschäftsmodelle entwickelt, „digitalisiert“, neue Marktsegmente erschließt, der hat so viel mit Unsicherheit und Nicht-Wissen zu tun, dass es wichtig ist, aufmerksam zu sein. Entsprechend braucht es eine Unternehmensleitung, die bewusst damit umgeht, was sie zum Projekt macht und was nicht. Und die bewusst dafür sorgt, dass die Projekte, die später das Wachstum schaffen sollen, systematisch betrieben werden. Dazu gehört auch, Unsicherheit und Nicht-Wissen offen anzusprechen und nicht zu bestrafen. Wo einfach alles zum Projekt wird und Projektleiter keine Projekte leiten, da fällt das Wachstum sonst womöglich aus.

Doch genau dazu sind Projekte gedacht: das Neue für sich zu gewinnen, Wachstum zu schaffen. 

Mit Projekten ist mehr möglich, als man ahnt.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

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