Digital verändert alles. Wirklich alles. Alles!

Schuhe produzieren ohne Schuhproduktion? Digitalisierung verändert alles. Wirklich alles. Alles! Mit zwei konkreten Kniffen entwickeln Sie Ansatzpunkte für Ihre Geschäftsmodelle von morgen.

Industrie 4.0, die digitale Fabrik? Kinderkram. Wer sagt denn, dass wir zukünftig überhaupt noch Produktionsstätten brauchen, wie wir sie heute kennen? Wenn von Digitalisierung die Rede ist, bewegen wir uns stets in gewohnten Bahnen. Wir müssen allerdings den uns innewohnenden Denkrahmen verlassen, um auch nur annähernd verstehen zu können, was Digitalisierung bedeuten kann. Nehmen wir einem bestehenden Unternehmen einfach mal die Produktionsstätte weg. Sie können dieses Gedankenexperiment für Ihr Unternehmen machen oder jedes andere Produkt. Ich nehme eine Schuhproduktion. Warum? Weil mir das gerade eingefallen ist. Es hätte jedes andere Beispiel sein können. Möbel, Kleidung, Lebensmittel, Medizinprodukte, Medien. Völlig egal. Also los.

Einen Schuh produzieren ohne Produktionsstätte

Wie könnten wir einen Schuh produzieren, wenn wir keine Produktionsstätte haben, wie wir sie kennen? Drucken wir ihn doch einfach zuhause aus. Geht nicht? Mag sein. Es fehlt aber nicht mehr so viel, damit das klappt. Zumindest der Designer Francis Bitonti macht immer wieder mit gedruckten Schuhen auf sich aufmerksam, etwa hier oder in seinem neuen Buch (1) „3D Printing Design: Additive Manufacturing and the Materials Revolution“. 

Merken Sie was? Industrie 4.0 und den ganzen Maschinenpark können Sie sich in die Haare schmieren. Nähmaschinen? Förderbänder? Montageroboter? Sind soeben überflüssig geworden. Ebenso die ganze Logistikkette, die Sie so mühevoll optimiert haben. Statt dessen hätten Sie besser mal in 3D-Drucker und das Ausgangsmaterial für Drucke investiert. Mal ehrlich: haben Sie? Naja. Sie sind vermutlich kein Schuhhersteller. 

Wären Sie einer, dann wäre nun auch ihr Ersatzteilgeschäft hinüber, denn Ersatzteile drucken wir uns nun selbst aus. Eine gute Investition wäre es wohl gewesen, wenn wir in Print@Home-Seminaranbieter investiert oder gar selbst solche Kurse angeboten hätten. Ladengeschäfte für Schuhe? Wozu? Vielleicht noch als Probierhäuser (siehe dazu „Die Zukunft des Einzelhandels“ hier im Blog), die mehr Treffpunkt sind als Einkaufsstätte. Den Schuh, den habe ich ja schon zuhause. Auf dem Rechner. Und in Form meines Ausgangsmaterials: einer Rolle Plastik, sehr vereinfacht ausgedrückt.


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Spannend wird das auch für Designer. Verstehen die sich weiter als diejenigen, die Schuhe für ein Unternehmen entwerfen, könnte es ebenso eng werden mit deren Geschäftsmodell. Ergreifen sie aber die Chance, denken um und verstehen sich als Softwarelieferanten, entwickeln einen Schuh-Design-Baukasten für Endanwender, dann entsteht plötzlich eine sehr gut skalierbare Einnahmequelle. Eine erste Stufe auf dem Weg dorthin könnte ein Online-Shop für druckfertige Schuhdesigns sein, in dem ich mir das passende Design gegen Entgelt herunterlade und ausdrucke.  

Geschäftsmodell radikal geändert

Unterm Strich habe ich gerade die Grundlagen eines neuen Geschäftsmodells entwickelt. Das ist bei weitem noch nicht ausgereift, erfüllt allerdings die Grundanforderungen der Disruption, wie sie Clayton M. Christensen in „The Innovator’s Solution“ (siehe Leseempfehlung auf projektmensch.com ) beschrieben hat. (Dazu mehr im Artikel „Disruption ist der Angriff von unten“, der demnächst hier erscheint.) Damit wird dieses neue Geschäftsmodell zur Gefahr für die etablierten Anbieter. Die Einnahmen brechen weg, da die Menschen ihr Geld an anderer Stelle, für andere Leistungen und für andere Produkte ausgeben. Wer an diesen neuen Stellen als Anbieter wahrgenommen wird, der profitiert. Etwa wenn ich als der Hersteller von 3D-Druckern für den „Schuh-Druck zuhause“ etabliert bin.

Mit dem Geschäfts- ändert sich gleichzeitig das Einnahmenmodell. Als Privatanwender werde ich womöglich zum Investor, der in 3D-Technologie investiert. Wer finanziert mir das? Finanzierung war beim Schuhkauf bisher kein relevantes Thema, nun könnte sich ein Finanzdienstleister als nützlich erweisen. Oder ich besuche einen Maker-Space und nutze deren Hardware. Außerdem kaufe ich als Endanwender Verbrauchsmaterial, vermutlich online. 

Die variablen Kosten pro Schuh sinken, die Gesamtinvestition wird gegebenenfalls größer. Für das Design des Schuhs habe ich ein Abonnement abgeschlossen für den Zugang zum „Schuhdesigner Online“, meinem Schuh-Design-Baukasten. 

Die etablierten Anbieter werden irrelevant

Dieser Design-Baukasten ist es dann auch, der die Qualität meiner Schuhe sicherstellt. Orthopäden würden zu viel Zulauf bekommen, würde ich als Anwender meine Schuhe selbst designen oder das dem technisch versierten Nachbarsmädchen überlassen. Im Schuh-Design-Baukasten errechnet eine „Künstliche Intelligenz“ (KI) aus meinen persönlichen Daten die passende Festigkeit der Sohlen und prüft vor dem Check-Out, ob das, was ich da zusammengestellt habe, funktionieren kann. Womit die letzte Bastion der etablierten Schuhhersteller genommen wäre: das Know-how eines guten Schuhs ist nun auch in mein 3D-gedrucktes Paar eingeflossen. Es stand mir online zur Verfügung. 

Der alte Vertriebskanal der Schuhhersteller ist als Alleinstellungsmerkmal nicht tauglich, denn Schuhhändler – auch Online-Anbieter – sind für die neuen Akteure im Markt mehr Hürde als nützlich. Der 3D-Druck von Schuhwerk wird sich andere Absatzkanäle abseits des Bekannten suchen. Auf diesen Fakt weißt Christensen ebenso hin: Die Etablierten haben schlicht kein Interesse daran, das Neue zu verkaufen, solange die aktuellen Produkte noch gut über den Tresen gehen. Sobald sie merken, dass Schuhe in der gewohnten Form nicht mehr so gut laufen, ist es vermutlich zu spät. Dann sind bereits andere Spieler im Markt angekommen und es wird schwer, diesen den Rang abzulaufen.

Die KI lernt übrigens auch, mindestens von meinen Schuhkäufen: Wie lange haben meine Schuhe im Vergleich zu anderen Schuhpaaren gehalten? Was ändere ich beim nächsten Paar? Die Daten fließen in einen Datenpool, der allen Nutzern des Schuh-Design-Baukastens hilft, bessere Schuhe zu drucken. Optional kann ich mir als Nutzer auch einen Sensor-Chip bestellen, den ich dann in die entsprechend eingedruckte Hohlstelle im Schuh einsetze und der Daten darüber liefert, wie ich die Schuhe nutze und wie diese reagieren. Das ist lukratives Zusatzgeschäft für die neuen Anbieter.

Was sich ändern wird? Wirklich alles. Alles!

Soll ich weiter machen? Digital verändert alles. Wirklich wirklich alles. Unser Denkrahmen ist jedoch oft zu beschränkt, verleitet uns beim Versuch, unsere Unternehmen zukunftstauglich zu machen, zu Optionen, die lediglich zu einer Verbesserung des Status quo führen. Die Probleme des Alltagsgeschäfts suggerieren uns dazu noch, dass die Prioritäten anders liegen. Damit entsteht vor allem für die etablierten Anbieter ein Problem, das durch deren Pfadabhängigkeit noch verstärkt wird: wer einmal in einen Maschinenpark investiert hat, der tut sich schwer, den nicht auszulasten und statt dessen andere Optionen zu nutzen.

„Industrie 4.0“ ist genau solch eine Sackgasse. Ja, die Optimierung der Produktion und das „Internet der Dinge“, die Vernetung von Maschinen sind sinnvolle Anliegen. Die Musik wird jedoch an anderer Stelle spielen. Die „Digitale Fabrik“ hilft uns nichts, wenn wir gar keine Fabrik mehr brauchen. 

Arbeiten Sie in einem solchen etablierten Unternehmen und wollen bei der Musik mitspielen? Dann müssen Sie dafür sorgen, dass der heutige Denkrahmen verlassen wird. Das gelingt nur am System vorbei. (Auch dazu demnächst mehr hier im Blog: „Zukünftige Geschäftsfelder: Echte Veränderung gelingt nur am System vorbei.“ )

Mit diesen zwei Kniffen schaffen Sie Ausgangspunkte für Geschäftsmodelle der Zukunft

Auf all das sind Sie bereits selbst gekommen? Dann gratuliere ich Ihnen! Sie sind einer von wenigen. Für alle anderen ein Blick in die Trickkiste. Was ich hier entwickelt habe, ist reproduzierbar für jede Branche, für jedes Produkt, für jeden Markt, für jede Zielgruppe. Damit schaffen Sie Ausgangspunkte für Ihre Geschäftsmodelle der Zukunft. Die lassen sich dann über Wachstumsprojekte Schritt für Schritt aufbauen. Agile Vorgehensmodelle helfen dabei.

Welche Kniffe habe ich in meinem Schuh-Beispiel verwendet, um aus einem beliebigen Produkt Ansätze für zukünftige Geschäftsmodelle zu entwickeln?

Kniff 1: Vom Endprodukt, oder noch besser: vom Problem des Endanwenders ausgehend denken

Zum einen habe ich vom Endprodukt her gedacht. Schuhe sind mein Endprodukt, die muss man bisher kleben oder nähen. Wenn ich Hersteller von Nähmaschinen bin, habe ich die Nähmaschine im Blick und damit den Markt für Nähmaschinen. Dass unter meinen Kunden auch Abnehmer sind, die Schuhe herstellen, ist nur ein Aspekt von vielen. Wenn ich nur an den Markt für Nähmaschinen denke, beschränkt das meine Sicht zu sehr. Ich muss an das denken, was mit meinem Produkt produziert wird, welche Probleme damit gelöst werden. Für den Endanwender.

Ich bin in meinem Beispiel davon ausgegangen, dass ich als eben solcher Endanwender gerade neue Schuhe brauche. Also will ich dieses Problem lösen. Es ist allerdings Sonntag. Es regnet. Meine Schuhe haben ein Loch. Online bestellen würde zu lange dauern. Ladengeschäfte haben geschlossen. Was also könnte ich tun, um an Schuhe zu kommen?

Ja, der Fall ist konstruiert, künstlich konstruiert. Aber genau solche Fälle braucht ein Projektteam, das neue Ausgangspunkte schaffen will. Wer das Problem eines Anwenders löst, der hat Chancen darauf, Einnahmequellen zu erschließen. Das Endprodukt ist der Ausgangspunkt für den Denkansatz. Wer Holzbearbeitungsmaschinen herstellt, kann etwa über Möbel nachdenken. Wer eine Zeitung produziert, über die Neugierde der Menschen und darüber, wie diese Neugierde befriedigt werden kann. Oder über Projektentwickler, die gezielte Informationen über Märkte und Unternehmen brauchen, um ein echtes Beispiel aufzugreifen. Wer Verpackungsmaschinen für Arznei herstellt, über das Aufbewahren, Darreichen und Einnehmen von Medizin. 

Legen Sie los: Was ist das Problem des Anwenders am Ende der Produktionskette, das mit Hilfe Ihres Angebots gelöst wird? Welche Aufgabe wird mittels Ihrer Mithilfe gelöst? Was ist Ihr „Schuh“?

Kniff 2: Einen wesentlichen Baustein der Wertschöpfungskette weglassen

Zum anderen habe ich quasi per Dekret angeordnet, dass es keine Produktionsstätte mehr geben soll. Ich habe einen elementaren Teil der Wertschöpfungskette mindestens geändert oder eine Änderung eingefordert. Also musste ich in meinem Beispiel die Herstellung anders organisieren. Wie könnte ich mein Endprodukt anders produzieren? Was wären alternative Herstellungsorte? Was alternative Herstellungsverfahren? Hier bleibt nicht aus, dass diejenigen, die sich mit der Entwicklung solcher Ausgangspunkte beschäftigen, an anderer Stelle mit aktuellen, oft technologischen Entwicklungen auseinandersetzen. Hätte ich nichts vom 3D-Druck und dessen Möglichkeiten gewusst, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, Schuhe zuhause zu drucken.

Ich hätte in meinem Beispiel auch die Logistik nehmen können oder den Vertrieb. Das hätte ebenfalls funktioniert, jedoch vermutlich nicht ganz so gut. Gerade beim Stichwort „Vertrieb“ haben wir inzwischen neuere Denkrahmen, die uns jedoch wieder blockieren. Wir hätten uns sofort auf den Online-Vertrieb gestürzt und hätten vielleicht den nächsten Online-Shop erfunden. Echte Disruption, eine echte Innovation ist anders.

Besser als mit dem Weglassen des Vertriebs wäre es uns vermutlich schon mit dem Verbot der Logistik in heutiger Form ergangen. Hätten wir auf die verzichtet, wären wir ebenso auf kreative Ansätze gekommen. Heute wird die Ware durch die Gegend gefahren, dabei wäre es leichter, die Daten durchs Netz zu schicken. Wobei es stets gilt, die gesamte Wertschöpfungskette anzuschauen, bis hin zum Auspacken, Verwenden durch den Benutzer und zur Entsorgung. Das hat weitere Auswirkungen, etwa auf Anbieter in der Kette, etwa die Hersteller von Transportkartons, Europaletten und Verpackungsmaschinen. 

Nun starten Sie Schritt 2: Wie würde man das Produkt herstellen, wenn es die Produktion nicht gäbe, wie es sie heute gibt? Was wären alternative Herstellungsformen, -orte, -verfahren? Was bedeutet das für Ihre heutigen Produkte? Worin sollten Sie Zeit, Gedanken und Geld investieren, um zukünftig gut aufgestellt zu sein?

Ausgangspunkte sind, der Name sagt es, ein Anfang

Dass sich bei uns stets alles um Projekte dreht, ist für Sie als Leser des Projektmensch-Blogs nichts Neues, unterstelle ich. In diesem Kontext ist mein Artikel denn auch zu verstehen: die Vielzahl der Projekte, die wir in Unternehmen erleben, bedienen den bestehenden Denkrahmen. Dann wird optimiert oder das bestehende Geschäftsmodell ins Digitale übertragen.

Das wird aus meiner Sicht zukünftig nicht mehr genügen. Die Digitalisierung, die Digitale Transformation verändert alles. Wirklich alles. Alles! Deshalb müssen sich die Ausgangspunkte für Projekte, für Innovation, für Wachstum ändern. Sie müssen sich radikaler von bestehenden Mustern lösen, um Entwicklungen rechtzeitig antizipieren zu können. Für Unternehmen, die das nicht schaffen, wage ich keine allzu positive Prognose. 

Ausgangspunkte sind der Anfang für echte Innovation, für Pionierprojekte. Was folgt, ist anspruchsvolle Arbeit. Da braucht es dann echte Komplizen und systematisches Vorgehen, um Zug um Zug aus gedachten Szenarien Realität werden zu lassen. Spannendere Projekte kann ich mir persönlich kaum vorstellen.

Wie steht es um Ihre Ansatzpunkte für die Geschäftsmodelle von morgen? Ich lade Sie ein, mit mir solche Ausgangspunkte, solche Szenarien zu entwickeln und damit über Ihr Geschäft nachzudenken. Schreiben Sie mir (hz@projektmensch.com). Wer weiß, was daraus entstehen wird?

Mit Projekten ist mehr möglich, als man ahnt.

Ihr
Holger Zimmermann
Geschäftsführer und Inhaber von Projektmensch

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