Die Zukunft des Einzelhandels.

Den Barcode vor dem Produkt anbringen und so mit den 'Großen' Geld verdienen? Oder gleich ein Probierhaus gründen? Der Einzelhandel ist zu retten, oder?

Mal ehrlich, ich versteh‘ das nicht: das Internet macht den Einzelhandel kaputt. Da gibt es diese bösen, großen Unternehmen, die keine Ladengeschäfte betreiben. Dort gibt es alles billiger und schneller und nach Hause geliefert. Und deshalb machen die Ladengeschäfte der Einzelhändler in den Innenstädten nun kein Geschäft mehr. Genau genommen ist es das gar nicht, was ich nicht verstehe. Ich verstehe nicht, warum die Einzelhändler diese Situation nicht nutzen und genau damit Geld verdienen. Dieser Beitrag ist auch ein Essay über das Denken in bestehenden Kategorien und den Umgang mit Veränderung.

Denken in ‚Wir‘ und ‚Die‘

Die Schwierigkeit, neue Einnahmequellen zu erschließen, beginnt damit, wie über ‚den Handel‘ gesprochen wird. Da gibt es umgangssprachlich die Einzelhändler, womit diejenigen mit Ladengeschäft gemeint zu sein scheinen, und die Online-Händler. Letztere sind diejenigen, die ohne Ladenlokal auskommen. Manchmal werden sie auch als Versandhändler bezeichnet. (Fast schon, als könnte ein Einzelhändler, also einer mit Ladenlokal, keine Ware versenden.)

Sprache ist immer auch Ausdruck unserer Denkschemata. Es gibt hier die einen, dort die anderen. Was aber gibt es dazwischen oder in der Verbindung? Wer Neues sucht, dem kann es grundsätzlich helfen, aus bestehenden Kategorien auszubrechen. Wer als Händler in ‚Wir‘ und ‚Die‘ denkt, ist fast schon verdammt dazu, bestimmte Lösungsansätze zu denken, die diesen Kategorien entsprechen. Man versucht den Verkauf im Ladengeschäft zu stärken, schält Anzeigen und beschwert sich darüber, dass diese nicht wirken. Ein eigener Online-Shop ist zu teuer und außerdem kommt man gegen ‚die Großen‘ eh nicht an. Ist das wirklich so?

Mit ‚den Großen‘ Geld verdienen

Das Tetralemma(1) hilft in der systemischen Strukturaufstellung, etwa im Rahmen eines Coachings, neue Lösungsansätze zu entwickeln. Neben ‚Das Eine‘ und ‚Das Andere‘ kennt diese Methode das ‚Sowohl als Auch‘ (2).  Im ‚Sowohl als Auch‘ versucht man, das Eine mit dem Anderen zu verbinden. Warum also nicht im Laden verkaufen und online Geld verdienen? Warum nicht zulassen, dass die Kunden im Laden stöbern und trotzdem bei den Großen kaufen – um genau damit Geld zu verdienen? Technisch kein Problem.

Den Barcode vor dem Produkt anbringen und so mit den 'Großen' Geld verdienen?  Oder gleich ein Probierhaus gründen? Der Einzelhandel ist zu retten, oder?
Den Barcode vor dem Produkt anbringen und so mit den ‚Großen‘ Geld verdienen? Oder gleich ein Probierhaus gründen? Der Einzelhandel ist zu retten, oder?

Sie haben also Ihr Ladengeschäft. Sie stellen dort jede Menge Produkte aus. Die potenziellen Kunden können diese Produkte anfassen. Sie machen eine gute Beratung dazu, Sie kennen sich aus, halten sich informiert. Dann laden Sie Ihre Kunden dazu ein, bei einem der ‚Großen‘ im Internet zu kaufen, das ist günstiger und ihre Kunden erhalten das Paket morgen. Oder ihr Kunde kauft gleich bei Ihnen. Dann kann er das Produkt auch gleich mitnehmen. Im ersten Fall erhalten Sie eine Provision für die Vermittlung, im zweiten Fall die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis. In beiden Fällen haben Sie etwas davon. Technisch ist das kein Problem.

Sie gehen vielleicht sogar noch weiter. Wenn der Kunde das Produkt beim ‚Großen‘ kauft, über Ihren Partnerlink, erhält er gegen faires, zusätzliches Entgelt eine kleine Schulung für das Produkt inklusive telefonische Unterstützung für einen Monat. Dann haben Sie noch mehr davon und der Kunde auch. Oder Sie stellen ihm schon mal eine Sammlung der besten Youtube-Videos zum Produkt zusammen, die ihm helfen. Kauft er direkt bei Ihnen, sind diese Leistungen im Kaufpreis schon enthalten. Der liegt selbstverständlich über Marktpreis, da es ja etwas extra gibt, etwas das ausschließlich Sie in dieser Form erbringen können, etwas das Sie auszeichnet. Ehrlich: technisch ist das kein Problem. In unseren Köpfen schon. (3) (4)

Aber mal ehrlich, ich versteh‘ das nicht: Sie haben doch bereits ein Ladenlokal und die Kunden kaufen bereits online. Warum dann nicht vom Online-Kauf profitieren? Wenigstens ein bisschen. Sie haben nichts zu verlieren. Oder zumindest nicht mehr viel.

Probierhäuser, die Zukunft des Einzelhandels

Es gibt keinen Grund, warum Einzelhandelsgeschäfts aussehen müssen, wie sie aussehen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich diese Form vielleicht bewährt, das mag sein. Für die Zukunft besteht kein Zwang daran festzuhalten. Im Gegenteil. Vielleicht ist es Zeit loszulassen. Weg vom Ladenlokal mit Lagerware hin zu Probierhäusern. Dort gibt es eine Kaffeemaschine und jedes Produkt zum Anfassen, aber nicht zwangsweise zum Mitnehmen.

Als Kunde gehe ich dorthin, weil mein Lieblingskaufhelfer mir weiterhelfen wird. Er weiß, was ich bereits besitze und hilft mir das dazu Passende zu finden. Es macht mir Spaß mich mit ihm auszutauschen, denn dabei entstehen neue Ideen und Lösungsansätze. Die hätte ich auch so entwickeln können, aber nicht so schnell und nicht mit so viel Freude. Außerdem gibt es obendrein einen leckeren Cappuccino oder einen schönen, warmen Tee.

Meine Ware bestelle ich noch im Probierhaus online und sie wird mir bequem nach Hause geliefert. Mein Kaufhelfer verdient daran eine kleine Provision und an den Getränken, die ich mir dort gekauft habe. Die Provision ist kleiner als die frühere Handelsmarge. Im Gegenzug spart er sich ein Lager, was früher viel Geld verschleudert hat. Und er spart sich die Entsorgung der nicht verkauften Teile am Saisonende. Außerdem bietet er mir gegen ein faires Entgelt eine Servicepauschale, die eine Schulung, eine E-Mail-Hotline, eine Geräteversicherung und im Fall des Falles die Komplette Abwicklung eines Garantiefalls beinhaltet. Ich kann damit schneller mit meiner Neuerwerbung losziehen und bin mir sicher, egal was passiert, das wird geregelt. Ganz abgesehen davon, dass ich mir dieses stundenlange Stöbern nach einem Produkt nur dann antun muss, wenn ich Lust darauf habe.

Probierhäuser könnten die Zukunft des Einzelhandels sein. Warum nicht? Nur eine Kategorie müssten wir dann noch erfinden: Dienstleistungsverkaufshilfebestellladenlokalunternehmen vielleicht.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

P.S: Falls Sie Lust haben Ideen für Ihr Unternehmen zu spinnen, wie Sie neue Einnahmequellen erschließen können, dann schreiben Sie mir. Daran habe ich immer sehr viel Freude. Es muss kein Einzelhandel sein, darf aber gerne.


  • (1) lesenswert hierzu die Wikipedia: Tetralemma (Strukturaufstellung)
  • (2) das Tetralemma kennt übrigens auch die Lösung „All dies nicht und selbst das nicht.“, siehe (1)
  • (3) Falls Sie gerade denken, dass ich von Einzelhandel keine Ahnung habe, haben Sie vermutlich recht. Vielleicht ist genau das mein Vorteil?
  • (4) Falls Sie gerade denken, dass ich von Einzelhandel keine Ahnung habe, liegen Sie vermutlich falsch. Ich bin Kunde, sehe viele Städte und bin bekennender Online-Shopper mit einer kleinen aber durchaus kräftigen Sehnsucht nach echter Unterstützung. Vielleicht ist genau das mein Vorteil?
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3 Kommentare bei „Die Zukunft des Einzelhandels.“

  1. In der Tat werden viele Geschäfte bereits als Probierhäuser benutzt – jedoch ohne diese Rolle spielen zu wollen und ein Geschäftsmodell dafür zu haben. Ich fände es spannend, mit ein paar solcher Inhaber eine Diskussion darüber zu führen, wie die konkrete Umsetzung vor Ort aussehen könnte.

  2. Hmmm. Als Probierhäuser werden jetzt schon viele kleine und große Geschäfte genutzt. Mir fällt auf, dass das erkannt wird, doch nur halbherzig drauf reagiert wird. Denn die hier vorgestellten Ideen gibt es ja schon öfter mal im Ansatz, doch es fehlt bei der konsequenteren Durchführung, wie ich immer wieder feststelle.

  3. Sehr interessantes Geschäftsmodell. Ich denke in ein paar Jahren kann man damit Erfolg haben, vorrausgesetzt man fokussiert sich auf beratungsintensive Produkte.

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