Warum neue Einnahmequellen kein Zufallsprodukt sind
Märkte verändern sich. Geschäftsmodelle, die gestern noch stabil waren, geraten ins Wanken. Kundenbedürfnisse verschieben sich, Technologien entwickeln sich weiter, regulatorische Vorgaben setzen neue Rahmenbedingungen. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, sich anzupassen – oder sie riskieren, von fitteren Wettbewerbern überholt zu werden.
Viele Geschäftsführungen wissen: Wir brauchen neue Einnahmequellen. Doch zwischen dieser Erkenntnis und der erfolgreichen Umsetzung klafft eine Lücke. Es gibt Ideen, doch sie bleiben oft im Strategiedokument stecken. Oder es werden Innovationsinitiativen gestartet, die nach anfänglicher Euphorie im Tagesgeschäft untergehen. Die zentrale Frage lautet daher:
Wie schaffen es Unternehmen, neue Geschäftsfelder nicht nur zu definieren, sondern tatsächlich zu erschließen?
Die Antwort liegt in gezielt gesteuerten Projekten.
Ausgangspunkt: Die Ansoff-Matrix als strategischer Kompass für neue Geschäftsfelder
Eine bewährte Methode zur Identifikation neuer Geschäftsmöglichkeiten ist die Ansoff-Matrix. Sie hilft Unternehmen, strategische Optionen systematisch zu analysieren und in Projekte zu überführen. Die Matrix unterscheidet vier Wachstumsstrategien:
- Marktdurchdringung: Diese Strategie konzentriert sich darauf, bestehende Produkte in bereits bedienten Märkten noch besser zu vermarkten. Unternehmen setzen dabei häufig auf Maßnahmen wie:
- Preisstrategien (z. B. Rabattaktionen oder Mengenrabatte, um Marktanteile zu vergrößern).
- Intensivierte Vertriebsaktivitäten (z. B. Ausbau von Vertriebspartnerschaften oder aggressive Kundenakquise).
- Erhöhung der Werbeausgaben, um die Markenbekanntheit zu steigern und bestehende Kunden stärker zu binden.
- Marktentwicklung: Hier geht es darum, bestehende Produkte in neuen Märkten anzubieten. Dies kann erfolgen durch:
- Geografische Expansion (z. B. Erschließung internationaler Märkte oder neue Zielgruppen in anderen Regionen).
- Erschließung neuer Kundensegmente (z. B. ein Produkt, das ursprünglich für Unternehmen entwickelt wurde, wird für Privatkunden angepasst).
- Strategische Partnerschaften (z. B. Kooperationen mit lokalen Unternehmen oder Distributoren, um den Markteintritt zu erleichtern).
- Produktentwicklung: Diese Strategie erfordert die Entwicklung neuer Produkte für bestehende Märkte. Mögliche Ansätze sind:
- Innovationen oder Verbesserungen bestehender Produkte (z. B. neue Generationen von Smartphones oder Autos mit erweiterten Funktionen).
- Ergänzende Dienstleistungen (z. B. Wartungsverträge oder digitale Zusatzangebote).
- Technologische Weiterentwicklung, um bestehende Lösungen effizienter oder leistungsfähiger zu machen.
- Diversifikation: Die riskanteste, aber oft auch lukrativste Strategie: Unternehmen entwickeln neue Produkte für völlig neue Märkte. Hierzu gehören:
- Horizontale Diversifikation: Ein Unternehmen erweitert sein Portfolio um verwandte Produkte (z. B. ein Automobilhersteller produziert nun auch E-Bikes).
- Vertikale Diversifikation: Ein Unternehmen nimmt eine neue Position in der Wertschöpfungskette ein (z. B. ein Möbelhersteller betreibt eigene Verkaufsshops).
- Laterale Diversifikation: Ein Unternehmen betritt einen völlig neuen Markt (z. B. ein Automobilkonzern investiert in Gesundheitsdienstleistungen).
Beispiel: Ein Maschinenbauunternehmen, das bisher nur Produkte verkauft, könnte mit einer „Servitization-Strategie“ (Produktentwicklung) neue Einnahmequellen schaffen, indem es Wartungs- oder Pay-per-Use-Modelle anbietet.
Die Ansoff-Matrix ist der Ausgangspunkt für die Definition von Projektaufträgen. Die Auseinandersetzung mit den „Assets“ des eigenen Unternehmens, dem Know-how, den Kontakten, den Marktzugängen, sowie mit den Veränderungen bei den Bedarfen und allgemeiner Trends ist Grundlage, um mit ihrer Hilfe Wachstumsfelder zu entdecken.
Neues Geschäft entsteht nicht am Reißbrett – sondern im Projekt
Wer neue Einnahmequellen sucht, muss nicht nur kreativ sein, sondern auch umsetzungsstark. Innovation entsteht nicht durch eine einzige bahnbrechende Idee, sondern durch strukturiertes Experimentieren, Auswählen und Priorisieren.
Unternehmen, die erfolgreich neue Geschäftsfelder aufbauen, nutzen dafür Projekte als zentrales Werkzeug – und zwar mit einem klaren Plan:
- Von der Idee zur Hypothese:
- Statt große Investitionen in unsichere Vorhaben zu stecken, starten sie mit konkreten Annahmen, die schnell überprüft werden.
- Beispielsweise kann eine Hypothese sein: „Wenn wir unser Produkt als Abonnementmodell anbieten, wird die Kundenbindung steigen.“
- Diese Hypothese muss getestet werden, bevor das gesamte Geschäftsmodell darauf aufgebaut wird.
- Schnelles Testen:
- Pilotprojekte mit echten Kunden zeigen, ob eine Idee Potenzial hat – oder ob sie angepasst werden muss.
- Hierbei helfen MVPs (Minimum Viable Products), also abgespeckte Produktversionen, die frühzeitig am Markt erprobt werden.
- Wichtige Fragen: Wie reagieren die Kunden? Gibt es technische Herausforderungen? Wie hoch ist die Zahlungsbereitschaft?
- Skalieren, wenn es funktioniert:
- Erst wenn die Hypothese bestätigt ist, erfolgt der Ausbau – mit klaren Verantwortlichkeiten, Ressourcen und Projektstrukturen.
- Ein erfolgreicher Testlauf kann dann zu einer größeren Markteinführung führen, begleitet durch gezielte Investitionen in Vertrieb und Marketing.
Das Problem: In vielen Unternehmen fehlen klare Vorgehensweisen, klare Prozesse für diese Art von Projekten. Dass die bereichsübergreifende Zusammenarbeit funktioniert, ist Grundvoraussetzung für derartige Vorhaben. Mindestens. Denn aus meiner Sicht gehören Kunden und Lieferanten ebenso als Komplizen mit an den Tisch.
Die Rolle der Geschäftsleitung: Rahmen setzen, Entscheidungen treffen, Kultur prägen
Die Entwicklung neuer Einnahmequellen ist eine strategische Aufgabe – und eine, die nur funktioniert, wenn die Geschäftsleitung klare Prioritäten setzt.
- Richtung vorgeben: Welche Geschäftsfelder sind zukunftsfähig? Welche strategischen Wachstumsrichtungen werden verfolgt? Was sind weitergehende strategische Zielrichtungen, etwa Unabhängigkeit von einzelnen geographischen Regionen? Ohne eine klare Stoßrichtung verpuffen Innovationsbemühungen.
- Freiräume für Innovationsprojekte schaffen: Neue Geschäftsfelder entstehen nicht von heute auf morgen. Geschäftsleitungen müssen den Teams die Möglichkeit geben, zu experimentieren, Fehler zu machen und zu lernen – ohne sofort auf kurzfristige Umsatzrenditen zu schauen. Viel wichtiger ist der Blick auf konkrete Erkenntnisse und Ergebnisse, denn obwohl abstrakt und wenig greifbar, sind solche Projekte keine ergebnis- und erwartungsfreie Zone.
- Die Organisation befähigen: Neue Geschäftsmodelle erfordern oft neue Kompetenzen. Es reicht nicht, ein Innovationsprojekt zu starten – es braucht oft gezielte Investitionen in neue Fähigkeiten, Partnerschaften und Geschäftsstrukturen. Die Fähigkeit, Kooperationen zu schmieden und über Fachgebiete und Bereichsgrenzen hinweg effizient zusammenarbeiten zu können, sich gegenseitig zu bereichern, steht hier ganz oben auf der Liste.
- Entscheidungen treffen: Innovationsprojekte sind kein Selbstzweck. Wenn eine Idee nicht funktioniert, muss sie konsequent gestoppt werden. Wenn sie Erfolg verspricht, muss sie mit Nachdruck skaliert werden. Schlechte Entscheidungsstrukturen sind häufig das Schlüsselproblem, weshalb Neugeschäft-Initiativen im Sand verlaufen. Gerade deshalb sollte die Geschäftsleitung ein besonderes Augenmerk darauf legen, wie Entscheidungswege gestaltet sind.
Die besten Geschäftsleitungen sind diejenigen, die nicht nur über neue Geschäftsfelder nachdenken, sondern sie konsequent zur Umsetzung bringen. Dazu gehört es auch, selbst Kapazität für die Projekte zu reservieren, um regelmäßig einen Blick auf Erkenntnisse, Ergebnisse und das weitere Vorgehen zu werfen. Und um den Teams Sicherheit zu geben. Wo die Sicherheit fehlt, kommt nichts Neues zustande.
Die Rolle von PMOs und Projektleitern bei der Umsetzung
Wenn es um die strukturierte Umsetzung geht, kommen Projektleiter und PMOs ins Spiel. Sie sind diejenigen, die strategische Vorgaben in die Praxis überführen – wenn sie die richtigen Rahmenbedingungen haben. Ihre Aufgabe ist es, aus vagen Ideen umsetzbare Projekte zu machen.
Worauf kommt es an?
- Die Verbindung zur Geschäftsstrategie sicherstellen: Jedes Innovationsprojekt muss auf eine klare Unternehmenszielsetzung einzahlen. PMOs sind hier in der Verantwortung, den Überblick über das Projekt-Portfolio zu liefern und dafür zu sorgen, dass die Projekte Vorfahrt bekommen, die die größte Hebelwirkung mit Blick auf die Unternehmensziele haben.
- Frühe Pilotphasen ermöglichen: Je früher eine Idee mit echten Kunden getestet wird, desto besser. PMOs und Projektleiter sollten bereits beim Projektdesign und der Projektplanung darauf achten, dass die Projektphasen so gestaltet sind, dass echtes Kundenfeedback früh entsteht.
- Strukturen schaffen, die flexibles sowie gleichzeitig zielgerichtetes Handeln ermöglichen: Projektsteuerung darf Innovation nicht ausbremsen und ist gleichzeitig zwingend nötig, damit die Zusammenarbeit über Bereichsgrenzen hinweg reibungsfrei funktioniert. PMO und Projektleiter müssen sich immer wieder bewusst machen, dass Projektführung lediglich ein Hilfsmittel ist, um Ergebnisse herzustellen, niemals Selbstzweck. Gutes Projektmanagement sorgt für reibungsfreie Zusammenarbeit aller Komplizen. PMOs liefern hierfür Standards, damit nicht jede Projektleiterin und jeder Projektleiter das Vorgehen neu erfinden muss, sondern auf Bewährtes zurückgreifen kann. Da macht Projektarbeit produktiv.
- Ergebnisse greifbar machen: Erfolgskriterien müssen über „Wir haben ein Konzept“ hinausgehen – es geht um Marktresonanz, Kundenfeedback und Umsetzungsfähigkeit. Und am ganz am Ende darum, am Markt erfolgreiche Produkte zu haben mit allem, was dazu gehört. Wieder „unten am Berg“ im Sinne der Zieldefinition ist ein Projektteam erst dann, wenn Absatzzahlen und Umsatz zeigen, dass das Produkt im Markt ankommt und die Prozesse funktionieren – bis hin zum Lebensende eines Produkts.
Wie bereits erwähnt, liegt ein weiteres Erfolgsgeheimnis in interdisziplinären Teams. Neue Geschäftsmodelle erfordern oft ein Zusammenspiel aus verschiedenen Disziplinen – vom Vertrieb über die IT bis zur Produktion. Selbst Lieferanten und Kunden sind wertvolle Komplizen. Unternehmen, die dies frühzeitig berücksichtigen, haben eine höhere Erfolgsquote bei der Markteinführung neuer Angebote.
Dabei gilt es Expertinnen und Experten aus diesen verschiedenen Bereichen an einen Tisch zu bringen. Projekte werden von Menschen gemacht. Wer in Abteilungen denkt, Arbeit an Abteilungen delegiert, begeht einen schweren Fehler.
Erfolgreiches Beispiel: Wie Siemens durch Projekte neue Einnahmequellen erschloss
Ein gutes Beispiel für die systematische Erschließung neuer Geschäftsfelder durch Projekte ist Siemens Xcelerator.
Siemens hat sich vom klassischen Industrieausrüster zu einem Anbieter von digitalen Lösungen und softwaregestütztem Engineering gewandelt. Eine Schlüsselrolle spielte dabei laut eigener Auskunft das Siemens Xcelerator-Programm, das 2022 gestartet wurde.
- Von Hardware zu Software: Siemens hat erkannt, dass klassische Hardwarekomponenten zunehmend durch Software und datenbasierte Services ergänzt werden müssen.
- Etablierung einer offenen digitalen Plattform: Unternehmen können über Siemens Xcelerator digitale Lösungen in einem standardisierten Ökosystem nutzen und flexibel erweitern.
- Iterative Entwicklung durch Pilotprojekte: Statt eine umfassende Lösung zu präsentieren, wurden gezielt Projekte mit Kunden durchgeführt, um das Angebot schrittweise zu verbessern.
Durch dieses gezielte Vorgehen konnte Siemens ein neues Geschäftsfeld erschließen – und sich eine starke Marktposition in der digitalen Industrie sichern. Das zeigt: Neue Geschäftsmodelle entstehen nicht auf PowerPoint-Folien, sondern in realen Projekten mit klarer Umsetzungsperspektive.
Bisher scheint sich die Strategie auszuzahlen: Der Smart-Infrastructure-Sektor insgesamt steigert seine Profitabilität, und insbesondere das digital getriebene Gebäudegeschäft trug 2024 überproportional zum Gewinn von Siemens bei.(1)
Fazit: Neue Einnahmequellen entstehen durch Projekte – nicht durch Zufall
Die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln, entscheidet über die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Doch neue Geschäftsfelder entstehen nicht durch Diskussionen in Strategie-Meetings, sondern durch mutige und strukturiert geführte Projekte.
Unternehmen, die verstehen, dass strukturierte Projektführung der Schlüssel zu neuen Einnahmequellen ist, gewinnen die Kontrolle über ihre Zukunft zurück.
- Welche Projekte laufen in Ihrem Unternehmen bereits zur Erschließung neuer Einnahmequellen?
- Und wo braucht es mehr Struktur, um echte Fortschritte zu erzielen?
Wie immer freue ich mich über den Austausch hierzu.
Mit Projekten ist mehr möglich, als Du ahnst.
Ihr
Holger Zimmermann
Inhaber & Geschäftsführer Projektmensch
Quellen:
(1) https://press.siemens.com/global/en/pressrelease/siemens-ranked-leader-iot-digital-platforms-building-operations#:~:text=operations%20by%20the%20independent%20research,to%20engage%20with%20its%20functionality / https://assets.new.siemens.com/siemens/assets/api/uuid:344347ec-a1bd-44cb-aaaa-711d1b3ec1b8/Siemens-Annual-Report-2024.pdf