Führungskräfte, haltet Euch raus!

Illustration Kommunikation und Rollen im Projekt

Wer leitet hier eigentlich das Projekt? Diese Frage drängt sich mir oft auf. 

Da ist einer als Projektleiter benannt und alle schauen im Meeting zum Chef. Ich frage mich: „Was macht der Chef in der Projektbesprechung?“ Ehrlich: Der hat da nichts verloren. Richtig. Die Führungskraft hat im Projekt-Meeting nichts zu suchen.

Die Rolle der Führungskraft im Projekt

Drei Rollen sind wesentlich, um zu verstehen, was eine Führungskraft machen sollte und was nicht: Projektleitung, Projekt-Auftraggeber und Führungskräfte von Projektteam-Mitgliedern. Wobei eine einzelne Person immer mehrere Rollen einnehmen kann, wie im Schauspiel. (Ob das immer klug ist, steht auf einem anderen Blatt.)

Eine Projektleiterin leitet das Projekt, führt das Projektteam und das ohne Weisungsbefugnis. Sie gestaltet ein System, eine Organisation, in der die Zusammenarbeit der Teammitglieder gelingt. Das ist ihr Job. 

Damit verbunden leitet die Projektleiterin Projektbesprechungen, sorgt dafür, dass das Team den Überblick hat, dass Pläne auf dem Stand sind, dass jeder weiß, was sein Beitrag zum Gelingen ist. Sie führt außerdem Entscheidungen herbei, berichtet gegenüber der Routineorganisation über den Stand des Projekts und sorgt für ein gutes Maß an Kommunikation sowohl im Projektteam wie auch ins restliche Unternehmen und mit den Stakeholdern.

Zu dieser Rolle gehört es auch, die Projekt-Auftraggeberin regelmäßig über den Stand des Projekts ins Bild zu setzen, Rahmenbedingungen und Vorhaben zu klären sowie dafür zu sorgen, dass die Projekt-Auftraggeberin das Projekt unterstützt, etwa durch schlüssige Kommunikation in das Unternehmen oder bei der Gewinnung von Mitstreitern in anderen Unternehmensbereichen.

Als Projekt-Auftraggeber habe ich das Recht, diese Berichte zu bekommen und Vorgaben zu machen. In diesem Sinne kann ich mittels meiner Vorgaben korrigierend eingreifen. 

Bei genauer Betrachtung führt meine Projektleiterin mich. Das ist Führen durch Vereinbaren. 

Gleichzeitig habe ich die Pflicht, das Projekt im Rahmen meiner Möglichkeiten zu unterstützen. Dazu gehört es, dass ich meine hierarchische Kompetenz nutze, etwa Teams in meinem Verantwortungsbereich anweise, etwas beizusteuern oder Budgets besorge. Wie ich auch meinen Zugang zu anderen Unternehmensbereichen einbringe, über den ein Projektleiter möglicherweise nicht verfügt. Wie ich auch dafür sorge, dass die Priorität des Projekts mit Blick auf das Projekt-Portfolio klar und eindeutig ist. 

Was meine Unterstützungsleistung betrifft, lasse ich mich von meiner Projektleiterin instruieren und stimme meine Aktivitäten mit ihr ab. Außerdem bin ich ein wichtiger Sparringspartner für die Projektleitung, liefere Tipps, Orientierung, Hinweise, stelle nützliche Fragen und gebe Sicherheit. 

Bei genauer Betrachtung führt meine Projektleiterin mich. Das ist Führen durch Vereinbaren. 

Wenn wir im Berichtstermin, der regelmäßig stattfindet, keinen Handlungsbedarf erkennen, halte ich mich zwischen diesen Berichtsterminen komplett raus. Außer jemand fragt mich zum Projekt. Dann verweise ich im Idealfall auf die Projektleiterin, da die das Projekt viel besser vertreten kann, als ich. 

Ja, als Projekt-Auftraggeber genieße ich dieses Zusammenspiel. Die Projektleiterin kümmert sich um das Projekt, bringt es voran, sorgt dafür, dass die Probleme gelöst werden und das Team gut im Spiel ist. Ich kümmere mich um meine Themen, etwa darum, dass die richtigen Projekte gemacht werden, die richtigen Menschen dafür eingestellt, dass unsere Strategie passt und die  Mitarbeiterinnen in meinem Verantwortungsbereich alles haben, was sie brauchen, um einen guten Job machen zu können. Und dass die von mir beauftragten Projektleiter den Support bekommen, den Projekte in meiner Auftraggeber-Verantwortung brauchen.

Als Projekt-Auftraggeber bin ich meist Führungskraft im Unternehmen. Gerade bei bereichsübergreifenden Projekten bin ich dazu noch meist nahe an der Unternehmensleitung angesiedelt oder sogar deren Mitglied. 

Die Teamleiter … haben mit dem Projekt nichts zu tun.

Die Projektleiterinnen und Projektleiter in den von mir betreuten Projekten kommen nicht zwangsweise aus meinem Bereich. Oft stellen Teamleiter Personen für die Projektleitung ab, sind – nüchtern betrachtet – Vermittler und Bereitsteller von Kapazität und Know-how. 

Diese Führungskräfte, die Teamleiter, sind im bisherigen Text nicht aufgetaucht. Und das ist vollkommen korrekt. 

Sie haben mit dem Projekt nichts zu tun. 

Ihre Verantwortung liegt darin, die Routinetätigkeiten in ihrem Verantwortungsbereich zu disponieren, in ihrer Abteilung oder ihrem Team, Routinearbeiten zu delegieren und dafür zu sorgen, dass diese bestimmungsgemäß erledigt werden. Die operativen Routinetätigen außerhalb der Projekte! 

Außerdem sind sie verantwortlich dafür, dass die ihnen zugeordneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über das notwendige Know-how verfügen, Weiterbildung erhalten und dass sie sich persönlich gut entwickeln. 

Was das Geschehen im Projekt betrifft, gilt eine klare Ansage: Raushalten! 

Raushalten vermeidet unnötige Komplexität

Wenn ich ein Projekt töten will, muss ich nur groß genug machen und möglichst viele Menschen beteiligen. Der Studienlage nach ist das ein sehr sicherer Weg, um ein Projekt zum Scheitern zu bringen. Irgendwann ist die Komplexität so groß, dass es nicht mehr gelingt, mit der Vielzahl der Einflüsse und Überraschungen umzugehen. Das Vorhaben stirbt.

Wenn Führungskräfte ihre Rolle so interpretieren, dass sie die ganze Zeit im Projekt mitwirken, eingreifen, Aufgaben übernehmen, machen sie genau das: Sie machen das Projekt größer. Unnötigerweise. Und damit das Scheitern wahrscheinlicher. 

Ja, Führungskräfte müssen darüber informiert werden, wie es um das Projekt steht. Damit sie die Arbeit in ihrem operativen Team oder ihrer Abteilung entsprechend organisieren können. Damit sie wissen, wie lange und in welchem Umfang ein Mitarbeiter ins Projekt entsendet ist.

Ja, Führungskräfte müssen an Entscheidungen beteiligt werden, wenn es um die Kapazität des Projekts geht, etwa im Rahmen eines Steuerungsgremiums oder Lenkungsausschusses. Oder über digitale Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten.

Ja, Führungskräfte nehmen im Rahmen der Ressourcenkonferenzen für ein Projekt Einfluss auf dessen Laufzeit und auf die konkrete Ausgestaltung der Spielregeln im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Kapazität der Mitarbeiter. 

Nein, Führungskräfte sitzen nicht in operativen Projektbesprechungen. 

Nein, Führungskräfte übernehmen keine Arbeitspakete in den Projekten.

Voraussetzung dafür, dass dies alles gelingt, ist eine glasklare Kommunikationssystematik und ein eindeutige Klärung der Rollen. Dazu gehört, dass Erwartungen, Kompetenzen und Spielregeln allen bekannt und gemeinsam festgehalten sind. Letzteres geschieht am besten in den Ressourcenkonferenzen während der Projekteinrichtung und im Zuge der Projektplanung.

Die große Ausnahme bei dieser Auflistung ist der Fall, in dem eine Führungskraft als Expertin im Projekt mitarbeitet. Dann kommt der Rollenklärung eine noch größere Bedeutung zu. In dieser Konstellation liegt per se ein Konflikt. Im Idealfall weiß jeder im Team um diese Problematik und es gelingt, offen darüber zu sprechen. 

„Sprichst Du gerade als Expertin oder als Chefin?“ muss eine übliche Frage sein, wie auch die Aussage: „Als Chefin der Abteilung ABC muss ich diese Kapazitätserweiterung ablehnen, als Expertin sehe ich die Notwendigkeit. Lasst uns überlegen, wie wir dieses Dilemma klären können.“ Sind solche Aussagen im Projektteam alltägliche Normalität, spricht das für ein sehr reifes Rollenbewusstsein. Dass damit die Zusammenarbeit produktiver wird, ist offensichtlich.

Cool sind die Führungskräfte, die das Projekt dem Projektteam überlassen

Einem solchen klaren Umgang der Führungskräfte mit ihrer Rolle als “Raushalter“ steht eine mächtige Sache im Weg: Die (vermeintlichen) gesellschaftlichen Erwartungen. Das Übliche. Das „So macht man das!“

Führungskräfte entscheiden, delegieren, koordinieren, lenken. So könnte man die traditionellen Bilder an eine Führungskraft zusammenfassen. Auf die Routineorganisation übertragen, auf die eigene Abteilung oder das eigene Team, mag diese Zuschreibung in vielen Fällen immer noch passen. Auf Projekte bezogen, sind diese Erwartungen mit Sicherheit kontraproduktiv.

… in der Projektorganisation (werden) Mitarbeiter an ein Projekt in definiertem Umfang ausgeliehen. 

Zwischen Routineprozessen und Projekt gibt es einen wesentlichen Unterschied: Während in der Routineorganisation Mitarbeiter der Führungskraft unterstellt und weisungsgebunden sind, werden in der Projektorganisation Mitarbeiter an ein Projekt in definiertem Umfang ausgeliehen. 

Die Teamleiterin leiht aus. Mit dieser  Führungskraft von Teammitgliedern, die ans Projekt ausgeliehen werden, werden Umfang und Synchronisationsregeln der Zusammenarbeit vereinbart. Sobald das erledigt ist, wird stille Post vermieden und die Projektleitung übernimmt im direkten Dialog die Koordination der Teammitglieder.  Sprich: Die Teamleiterin bleibt außen vor und muss sich nicht kümmern.

Führungskräfte haben typische Automatismen in ihrem Verhalten. Die sind davon geprägt, was in den Routinebereichen sinnvoll und nützlich ist. Obendrauf kommen die (vermeintlichen) Erwartungen von außen, sich entsprechend als solche Führungskraft zu verhalten. Also wird gesteuert, werden Probleme gelöst, wird koordiniert, wird geklärt. Das ist das normale Verhalten.

Im Projekt gilt ein anderes Bild: „Cool sind die Führungskräfte, die die Projekte den Projektteams überlassen.“ 

Genau darauf hinzuwirken, dass das von allen so gesehen wird, ist eine Veränderungsaufgabe. Da sind das Management des Unternehmens ebenso wie für Projekt-Auftraggeber, Projektleiter und eben die Führungskräfte selbst in der Verantwortung, die entsprechende Kultur zu schaffen. Erst wenn Führungskräfte fürs Raushalten Anerkennung bekommen, ist ein Zustand erreicht, der Projekte beflügelt. 

Da hilft es, sich bewusst zu machen, dass es klug ist, sich rauszuhalten. Weil das Raushalten die Produktivität steigert und den Erfolg wahrscheinlicher macht. Eine kluge Führungskraft macht das allein schon aus der Tatsache heraus, dass sie sich damit stärker auf den Erfolg des Routinebetriebs der eigenen Abteilung konzentrieren kann. 

Sie wissen ja, Ihr wisst: Mit Projekten ist mehr möglich, als Du ahnst. Wenn man die Sache geschickt angeht.

Mit den besten Grüßen
Holger Zimmermann
Inhaber & Geschäftsführer Projektmensch

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