Denkt Projekte bis unten am Berg! Bitte!

Wieder unten am Berg. Metapher für gute Projektziele.

Da baut ein Unternehmen eine neue Fabrik in einem anderen Land – in nur einem Jahr. Feiert den Erfolg, die Eröffnung des Standorts. Und braucht dann nochmal über zwei Jahre, um den Standort ans Laufen zu bringen. Weshalb? Weil Projektteam und (interner) Auftraggeber nicht bis unten am Berg gedacht haben.

„Unten am Berg“ steht bei uns dafür, ein Projekt bis zum Ende zu denken. Wir nutzen dafür eine Bergexpedition als Metapher. Von jedem Projektmenschen wird erwartet, dass er „das Bergbild“ jederzeit und sofort auf ein Blatt Papier bringen kann. Denn dahinter steckt eine wichtige Logik, um Projekte erfolgreich zu machen.

Stellen Sie sich vor, wir haben die Idee, eine Bergexpedition zu machen. Noch haben wir Jeans und Hemd an und sehen die Berge in der Ferne. Der höchste Gipfel ist rund 2500 Meter hoch. Das haben wir nachgeschlagen. Wir waren schon ein paar mal wandern, kennen uns ein bisschen aus. Mit dieser Ausgangslage im Blick: Was ist das Ziel einer solchen Bergexpedition?

Ich freue mich immer, wenn nun jemand das Zielfähnchen oben auf den Gipfel steckt. „Da wollen wir hin!“

Wirklich? Nein. Ich will nicht oben auf dem Gipfel verhungern. Niemand will das. Auf dem Gipfel wollen wir als Expeditionsteam am Ende der Expedition gewesen sein. Am Ende unserer Bergexpedition wollen wir wieder unten sein am Berg, mit schönen Erinnerungen im Kopf und schönen Fotos im Fotobuch. Gesund und wohlbehalten.

Ich will nicht oben auf dem Gipfel verhungern. Niemand will das.

Von dieser Metapher kommt die Aussage „unten am Berg“.

Blöd, dass viele Projektteams samt deren Auftraggebern das Zielfähnchen auf den Gipfel stecken. Viele, die schon mal eine größere Party veranstaltet haben, kennen das: Wer räumt nach der Party auf? Mancher steht alleine mit dem Besen in der Halle, während alle anderen die Zeit genießen. Da wurde dann zu kurz gedacht. Nicht bis unten am Berg.

Um zum neuen Produktionsstandort zurückzukommen. Wenn die Fabrik steht, das Gebäude und die Anlagen, ist das Vorhaben noch lange nicht fertig, noch lange nicht im Ziel.

Wer nur bis zur Eröffnung denkt und dann unterstellt, dass den Rest schon die Routine übernehmen wird, irrt. Die Routine kann das nicht. Die Routine kann keine Probleme lösen. Die Routine kann nichts Neues schaffen. Das kann nur das Projekt. Das Projekt als bereichsübergreifende Organisationsform, temporär ein- und auf einen Zielzustand ausgerichtet.

Das Ziel

Was also ist das Projektziel für „Aufbau eines neuen Produktionsstandorts“?

Ich will mir das bildlich vorstellen. Drei Jahre nachdem wir das Mandat erhalten haben, den neuen Produktionsstandort aufzubauen:

„Ich stehe in der Fabrikhalle und beobachte. Die Kennzahlen zeigen deutlich, dass die Prozesse reibungsfrei funktionieren. Die Reklamationsquote ist unter 0,3 Prozent. Die definierten Stückzahlen werden erreicht, das hat der Standort in den vergangenen zwölf Monaten schon mehrfach bewiesen.

Personal ist ausreichend vorhanden, alle Positionen sind besetzt. Sämtliche Genehmigungen liegen vor. Die Prozesse laufen über die gesamte Wertschöpfungskette stabil, was wir an der geringen Anzahl von Ad-hoc-Problemlösungseinsätzen, der geringen Anzahl Flüge von Fachexperten zum Standort und der Anzahl der ungeplanten Überstunden sehen, die gegen Null gehen.

Die Synchronisation mit den anderen Werken des Unternehmens funktioniert gut, das zeigen die Auslastungszahlen über die Produktionswerke hinweg. Damit haben wir die Produktionskapazität unseres Unternehmens um x Prozent erhöht und konnten die durchschnittlichen Lieferzeiten von y wieder unter z Tage senken. Wenn das Projektteam das Projekt verlässt, übergibt es einen voll funktionsfähigen Standort an die Mannschaft vor Ort und das Gesamtunternehmen.“

Was ist der Effekt, den ich mir von einem Projekt verspreche?

So könnte das Ziel des Projekts aussehen. Eine vereinfachte Version davon. Das Projektziel ist der reibungsfreie Betrieb. Alles funktioniert. Der Nutzen liegt vor: Wir können wieder schneller liefern. Deshalb haben wir investiert, um diesen Effekt zu erzielen.

Selbstverständlich habe ich Beispielgrößen im Ziel oben verwendet, etwa die Auslastung als Maß für die gelungene Synchronisation. Es könnte jede andere Kennzahl sein, die besser passt. Auch der Nutzen kann ein anderer sein. Das eine Unternehmen will schneller liefern, ein anderes seine Lieferkette unabhängiger gestalten, ein drittes sich die Personalgewinnung erleichtern, indem es in einer Region produziert, in der Fachkräfte leichter verfügbar sind. Der erwartete Nutzen ist immer individuell, hängt (hoffentlich) von den strategischen Zielen des jeweiligen Unternehmens ab.

Mir geht es im Beispiel darum, dass dieses Zielbild bis „unten am Berg“ gedacht ist. Was ist der Effekt, den ich mir von einem Projekt verspreche? Der muss klar sein und das am besten mit seinen wesentlichen Facetten. Nur die Teams, die bis unten am Berg denken, arbeiten auch wirklich auf diesen Zustand hin.

Wer nicht soweit denkt, wird von den Problemen überrascht. „Wieso funktioniert das Recruiting nicht?“ „Naja, wir wussten gar nicht, wen und bis wann und wofür wir Personal einstellen sollten.“ Dann wird es hektisch. Andere Vorhaben leiden, weil man „hier noch kurz“ ein paar Probleme lösen muss. Aus strukturiertem Vorgehen wird Gewurschtel. Das ist teuer und nervt. Und es ist unnötig.

Deshalb mein Appell: Denkt Projekte bis unten am Berg! Immer!

Scope, oder: Was gibt es zu tun?

Mit Zielen, die das „unten am Berg“ klar im Blick haben, wird auch viel klarer, um welche Themenfelder sich das Projektteam kümmern muss. Erst damit wird der „Scope“, der Projektumfang sichtbar.
Wer eine Fabrik baut, der braucht ein Gebäude und die Maschinen, klar. Und ein Grundstück dafür samt Verkehrsanbindung. Und Strom. Eine Trafostation vielleicht und eine eigene Photovoltaik-Anlage.

Er braucht auch Personal, einen stabilen Recruiting-Prozess und einen für die Einarbeitung. Das Projektteam muss den neuen Standort ins Weiterbildungsprogramm integrieren. Die ERP-Anbindung muss funktionieren und damit auch die Prozesse. Samt der Integration ins Gesamtunternehmen.

Die Logistik gilt es aufzubauen und die dafür nötigen Partner zu finden. Mit denen gilt es Verträge zu schließen. Versicherung, Genehmigungen, Infrastruktur, Mitgliedschaft in Verbänden, Sicherheitskonzepte, Zulieferer, Betriebshandbuch, ÖPNV-Anbindung, Verpflegung sind ein paar weitere Stichworte.

Die Liste ist noch nicht vollständig. Da bin ich sicher.

„Wenn das Projektteam das Projekt verlässt, übergibt es einen voll funktionsfähigen Standort an die Mannschaft vor Ort und das Gesamtunternehmen.“ Erst dann ist das Projekt erledigt.

Wer so denkt, bis unten am Berg, dem fällt bereichsübergreifende Zusammenarbeit leicht. Weil sofort klar wird, dass es nicht nur um ein Gebäude und ein paar Produktionsanlagen geht.

Die anstehenden Themenfelder und Aufgabenpakete werden sichtbar. Jeder weiß, was erledigt werden muss, damit die Ziele erreicht werden können. Jeder kann seinen Beitrag zum Ganzen erkennen und mit wem er sich abstimmen muss, weil jemand ein zugehöriges Arbeitspaket übernommen hat.

Die einzelnen Themenfelder müssen so organisiert werden, dass die Dinge Hand in Hand erledigt werden. Mitarbeiter zu schulen geht eben nur, wenn die Mitarbeiter eingestellt sind und die Maschinen in Betrieb, deren Bedienung Inhalt der Schulung ist. Das bedingt, dass man möglichst viele Arbeitspakete früh erkennt.

„Können Sie nächste Woche unsere Mitarbeiter schulen, wir wollen mit der Produktion starten?!“ „Nächste Woche? Unmöglich.“ Solche Dialoge entfallen dort, wo “unten am Berg“ gedacht wird.

Ziele, die das „unten am Berg“ in den Blick nehmen, sind der Ausgangspunkt dafür, dass alle Themenfelder identifiziert werden können. Erst mit dieser Übersicht gelingt es, all die zu identifizieren, die als Komplizen mithelfen müssen, um das Projekt erfolgreich zu machen. Und erst wenn Themenfelder und Komplizen benannt sind, kann man Arbeit über Fachbereiche hinweg aufteilen. Das ist nötig, damit das Projekt gut ins Ziel kommt.

Außer man hat einen Superhelden als Oberexperten im Projektteam, der alles allein kann. Wo der vorhanden ist, möge man meinen Artikel getrost ignorieren.

Mit Projekten ist mehr möglich, als man ahnt.
Ihr
Holger Zimmermann
Inhaber & Geschäftsführer Projektmensch

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2 Kommentare bei „Denkt Projekte bis unten am Berg! Bitte!“

  1. Das Bild mit dem Mond trifft es ebenfalls sehr gut. Wer will schon da oben verhungern? Keiner. Und doch werden Projekte viel zu oft zu kurz gedacht. Weshalb zwischen Auftrag und Ziel unbedingt Denken passieren muss.

  2. Das Bild mit der Expedition merke ich mir. Ich habe so oft Unverständnis geerntet wenn ich über das erwartete Projektende hinaus geplant hatte. Ganz offensichtlich ist im allgemeinen Verständnis oft der Gipfel das Projektziel.

    Das erinnert mich auch an die erste Mondlandung … Kennedys Vision lautete

    … to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the earth.

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