Proutine, oder: Mit Projekten ist mehr möglich, als man ahnt.

Projektleiter sind die, die Unternehmen Zukunft verschaffen. Mit der Rolle des obersten Experten hat das nichts zu tun.

Würden wir einen heutigen Projektleiter ins Jahr 2030 teleportieren, er wäre heillos überfordert. Das liegt daran, dass die Vorhaben, die wir heute als Projekt verstehen und betiteln, noch so stark tayloristisch gedacht sind, dass sie weit unter ihren Möglichkeiten bleiben. Projekte sind dazu da, das Neue in die Welt zu bringen, zu gestalten, die Zukunft zu erobern. Wir brauchen Projekte mehr denn je, um unsere Unternehmen für die Zukunft aufzustellen: bewährte Geschäftsmodelle stehen unter Druck, werden abgelöst, es gilt neue Geschäftsmodelle zu etablieren, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einzustellen. Steigende internationale Vernetzung, zunehmende Komplexität der Produkte und Unternehmen, etablierte Märkte mit höherem Konkurrenzdruck, Digitalisierung, Bevölkerungswachstum, Klimaentwicklung sind sichtbare Treiber, die (zumindest gefühlt) dafür sorgen, dass sich die Welt schneller dreht und der Einzelne alleine immer weniger auf die Beine stellen kann.

Das Verständnis davon, was ein Projekt bedeutet, muss und wird sich ändern, und damit auch unser Verständnis davon, was ein Projektleiter ist. Das ProjektMagazin fragt in der Blogparade „Projektleiter 2030 – längst abgeschafft oder Schaltzentrale der digitalen (Projekt-)Welt?“ danach, ob es Projektleiter 2030 noch geben wird oder wie diese arbeiten werden. Die Gegenfrage lautet: Wenn Komplexität und Vernetzung steigen, immer mehr unterschiedliche Disziplinen zusammenarbeiten müssen, um eine Leistung oder ein Produkt zu erstellen, wer sorgt dann dafür, dass diese Experten möglichst reibungsfrei zusammenarbeiten können? Es braucht einen Dienstleister für gute Zusammenarbeit.

Der Projektleiter als oberster Experte? Kein tragfähiges Modell.

Schon heute gibt es „den Projektleiter“ im Sinne eines Anleitenden nicht mehr wirklich. Es ist ein antiquiertes Bild, dass ein Oberexperte alle weniger versierten Experten anleitet, um so ein Werk zu erstellen. Ich bin zu jung, um aus eigener Hand berichten zu können, ob das überhaupt jemals so war. Allerdings ist es das Bild des genialen Ingenieurs, der eine unglaubliche Maschine quasi im Alleingang entwickelt, das sehr häufig unser Bild eines Projektleiters heute noch prägt. Ob der historischen Korrektheit dieses Bilds möchte ich Zweifel anmelden: egal mit welchem Entwickler ich mich befasst habe, meist waren es Unternehmer, immer waren da wichtige Helfershelfer. Mal diejenigen, die sich um die Finanzen gekümmert haben, mal die, die wussten, wo und wie das passende Material zu beschaffen war. Diejenigen waren allerdings eher auf der Hinterbühne und nicht im Scheinwerferlicht zu finden.

Seither haben die Disziplinen zugenommen, die an einem Werk beteiligt sind. Während früher beispielsweise Mechanik und Hydraulik ausgereicht haben, um eine Maschine herzustellen, kommen heute mindestens noch Elektronik samt Sensorik sowie Software samt Datenverwaltung mit dazu. Es gilt eine Maschine in die Logistik zu integrieren und womöglich noch mit anderen Anlagen zu synchronisieren. Mal ehrlich: wo finden Sie den Fachexperten, der das noch alles alleine überblickt? Dazu noch die gesamten kaufmännischen und regulatorischen Belange. Auch Gesetzestexte sind über die Jahre nicht weniger geworden. Die ständige Suche nach steigender Produktivität und damit Wettbewerbsfähigkeit führt dazu, dass diese Entwicklung schlicht Normalität ist.

Projektleiter als Vertreter des Unternehmertums

Diese Entwicklung erlaubt dann nur einen Schluss: wo diese unterschiedlichen Experten ad hoc zusammenarbeiten müssen, braucht es Menschen, die ad hoc dafür sorgen können, dass interdisziplinäre Teams mit Personen, die sich womöglich zuvor noch nie gesehen haben, gut zusammenarbeiten. Wir bei Projektmensch nennen diese Personen „Projektleiter“. Sie sind Experten für Kooperation, für Teamentwicklung, für Moderation, für Konfliktklärung, dafür, wie kreative Leistung entsteht. Sie führen Teams ohne formale Macht, sind Initiatoren und Katalysatoren für Selbstorganisation. „Sie sind Uhrmacher, nicht Zeitansager“ hatten wir das an anderer Stelle mal benannt.

Und diese Personen sind unternehmerisch tätig, wenn es darum geht, echte Projekte zu machen. „Täter, nicht Opfer“ (im positiven Wortsinne) nennen wir diesen Aspekt. Zu diesen echten Projekten zähle ich Maschinenbau im Kundenauftrag nur bedingt, da der Wiederholanteil zu hoch ist und doch in großen Teilen immer wieder dieselben Menschen beteiligt sind. Sowohl auf Abnehmer wie auf Lieferantenseite. Es haben sich Quasi-Standards etabliert. Echte Projekte haben für mich neben der Einmaligkeit einen hohen Anspruch an die kreative Leistung. Weshalb der Umgang mit Unsicherheit und Nicht-Wissen wichtige Kompetenzen für diese Projektleiter sind. Stefan Hagen war es, so meine ich mich zu erinnern, der diesen Projekten treffenderweise den Begriff „Pioniervorhaben“ verpasst hat.

Weiterbildung: Exzellente Projektleiter können mehr als nur Projektmanagement-Methodik

Für diese Art Vorhaben werden wir Projektleiter brauchen. Das sind dann jedoch andere Persönlichkeiten, als diejenigen, die heute vielfach den Titel „Projektleiter“ tragen. Entsprechend gilt es die Weiterbildung von Projektpersonal auf diese anderen Aspekte zu fokussieren. Unsere eigene Antwort darauf ist die Projektmensch-Masterclass, die wir dieses Jahr starten wollen. Darin soll es, ganz praktisch und praxisnah, um die Projektführung dieser Pioniervorhaben gehen. Dass dabei die Zusammenarbeit verschiedenster Experten und Disziplinen nur gelingt, wenn man es schafft, verschiedene methodische Ansätze unter einen Hut zu bringen, ist offensichtlich. Wer in Sachen Projektmanagement „nur Scrum“ oder „nur nach IPMA“ lernt, springt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu kurz. Wobei der methodische Teil des Projektmanagements eh weiter aus dem Fokus rücken wird und Fähigkeiten rund um Führung, Konfliktklärung, Gesprächsleitung und gute Kommunikation in einem dynamischen Umfeld mehr Bedeutung bekommen werden.

Gleichzeitig sehen wir einen steigenden Bedarf an Projekt-Support oder einer Art Projekt-Hotline. Damit gelingt die Weiterbildung des Projektpersonals ganz praktisch auf Basis aktueller, tatsächlicher Fragestellungen und Probleme in realen Projekten. Was gut funktioniert, wie wir aus eigener Erfahrung mit unserem Online-Mentoring wissen. Diese Hotline-Variante der „Projektleiter-Weiterbildung“ trägt demnach auch dem Faktor Rechnung, dass Projektleiter immer weniger freie Zeit für Weiterbildung aufbringen (können). Was auch daran liegt, dass gute Projektleiter selten und damit die freien Kapazitäten der vorhandenen knapp sind.

Im Innenverhältnis von Unternehmen wird sich, so meine Prognose, das Verhältnis von Projektleitern zu Management und Geschäftsleitung ändern. Wo heute Unternehmensleitung noch „anweist“, werden sich 2030 Geschäftsführung und Projektleitung auf Augenhöhe gegenüberstehen. Die Projektleitung ist dann anerkannt dafür, dass sie einen Teil der unternehmerischen Aufgabe übernimmt und unternehmerische Anforderungen in Ergebnisse überführt. Es wird klar werden, dass Projekte in der Rubrik „Investition“ gebucht werden müssen und nicht unter „Aufwand“. Die Projektleitung macht bei dieser Zusammenarbeit klar, unter welchen Bedingungen sie glaubt, ein Vorhaben erfolgreich machen zu können, damit die Auftraggeber von Projekten diese Bedingungen im Rahmen wiederum ihrer Möglichkeiten bereitstellen können. Gleichzeitig werden Unternehmenslenker mehr Know-how in Sachen (Unternehmens-)Organisation und damit in Projektführung aufbauen, da sie ihr Unternehmen insgesamt fit für die Arbeit in und mit Projekten machen müssen. Heutige Organisationsformen sind zu stark ausschließlich an den Gedanken Taylors angelehnt, um die Möglichkeiten von Projekten auszuschöpfen.

Das Verstehen des Unterschieds verschiedener Organisationsformen ist die Grundlage

Dieser Bedarf ist heute deutlich erkennbar: Unternehmenslenker müssen dringend unterschiedliche organisatorische Ansätze besser verstehen lernen und sich bewusst werden, dass sie nicht alle Aufgabenstellungen auf dieselbe Art und Weise organisieren können. Wo Wiederholung, Standard und Massenproduktion an der Tagesordnung sind, würde ich stets auf die Ideen von Smith, Taylor und Ford zurückgreifen und Routineprozesse etablieren (siehe „Wer von Abteilungen redet, denkt nicht in Projekt„), die es dann ständig zu optimieren gilt. Wo etwas mit wechselnden Inhalten und sich verändernden Anforderungen weiterentwickelt wird, etwa ein Softwaresystem, sind Scrum und Kanban meine Mittel der Wahl. Wo etwas wirklich Neues entstehen soll, braucht es Könner in Sachen Projektführung, die unterschiedlichste organisatorische Ansätze integrieren können.

Unternehmenslenker müssen lernen, zwischen vorhersagbaren Verläufen und nicht vorhersagbaren Aufgabenstellungen unterscheiden zu können, um in der Lage zu sein, die passende Organisationsform wählen zu können. Gute Organisation von Projekten wird am Markt ein Wettbewerbsvorteil. Innerhalb von Unternehmen wird diese Entwicklung vermutlich dazu führen, dass Firmen Pools von exzellenten Projektleitern aufbauen werden, die dafür da sind, die bedeutendsten Vorhaben umzusetzen. Mit der entsprechenden Auswirkung auf die Weiterbildung, dass praxisnahe Premium-Weiterbildungen wie die bereits erwähnte Masterclass nötig sind und zusätzlich ein Augenmerk auf die Weiterbildung von Projektleiter-Nachwuchs gelegt wird. Wir gehen bei Projektmensch Stand heute davon aus, dass in diesem Zuge ein- oder zweitägige Weiterbildungsangebote für Projektleitung seltener werden. Gleichzeitig nehmen wir an, dass die ebenfalls bereits erwähnte Hotline durch kleine, kompakte Weiterbildungseinheiten von maximal einem halben Tag Dauer zu einem spezifischen Aspekt der Projektführung ergänzt werden. (Nebenbei bemerkt: Unter anderem zum Aufbau dieses Angebots suchen wir derzeit weitere Komplizen fürs Projektmensch-Team. Falls Sie sich bewerben wollen … )

Insofern ja: Wir werden 2030 noch Projektleiter haben und die sind Treiber der Unternehmensentwicklung. Sie sorgen dafür, dass Zukunftsbilder und Strategien (Und damit meine ich keine Zahlenwerke! Zahlenwerke sind keine Strategien.) in greifbare Ergebnisse überführt werden und Unternehmen sich ihre Zukunft schaffen, Zukunft gestalten. Projektleitung wird eine stärkere unternehmerische Komponente haben. Vermutlich werden gleichzeitig, sollte der Titel derselbe bleiben, weniger Menschen „Projektleiter“ auf ihrer Visitenkarte haben. Für die anderen Organisationsformen brauchen wir dann nur noch neue Titel. „Proutine“ haben meine Kolleginnen mal vorgeschlagen für die routinemäßige Weiterentwicklung mit wechselnden Inhalten: die ist kein Projekt und doch auch keine Routine. Mal sehen, ob sich das durchsetzen wird. Dafür braucht es dann aber bitte keine Projektleiter.

Mit Projekten ist mehr möglich, als man ahnt.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

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