Vom Noch-Weltmarktführer zum Pionier: Die Renaissance durch interdisziplinäre Projekte

Zukunftsgestaltungskompetenz

Sie sind Spitzenunternehmen, Marktführer, Hidden Champions und stehen an der Wand. Das alte Geschäftsmodell bröckelt, das Neue will nicht gelingen. Dann greifen diese Unternehmen auf die Muster zurück, die sie erfolgreich gemacht haben, und alles wird schlimmer. Standardisierung, Optimierung, KVP helfen nicht weiter, wenn Anpassung an neue Gegebenheiten dringend nötig ist. Dann braucht es echte Projekte, als fachbereichsübergreifende Organisationsform. Doch dafür haben diese Musterunternehmen der vergangenen Jahrzehnte wenig bis kein Verständnis. Sie denken immerzu in Zuständigkeiten und Abteilungen, wo interdisziplinäre Teams gebraucht werden, um die Probleme zu lösen.

Diese Beobachtung mache ich seit über zehn Jahren in vielen Unternehmen. Und die Entwicklung macht mir Angst, denn in diesem Jahrzehnt heißt es immer mehr „Mehr vom Gleichen!“ Dann wird die Führung verdonnert, besser zu führen. Führungsweiterbildungsprogramme sollen es richten.

Optimierungsprogramme werden gestartet und der Abteilung XY als zuständig übergeben. Die delegiert Arbeitspakete an die Kolleginnen aus Bereich ABC. Und die können überhaupt nichts damit anfangen, weil sie gar nicht verstehen, was da gefordert wird.

Also werden Arbeitskreise gegründet, die zentral dafür sorgen sollen, dass diese Themen koordiniert bearbeitet werden. Da sitzen dann Geschäftsführer und Bereichsleiter an einem Tisch, in diesem Fall wirklich meist männlich, und diskutieren über jedes Projekt, disponieren Arbeit für Abteilungen und Teams, verlangen Berichte und Erledigungslisten.

Das hat schon ein bisschen was von Planwirtschaft. Als besonders innovativ ging die allerdings nicht in die Geschichtsbücher ein. Außer man blickt auf den Einzelnen, der höchst kreativ im Zusammenspiel mit verlässlichen Komplizen am System vorbei das ein oder andere Problem gelöst hat.

Tayloristische Prozesse und der Projekt-Tod

Eine tayloristische Form der Projektarbeit, die versucht, Arbeitspakete an Abteilungen zu delegieren, verurteilt Projekte von Beginn an zum Tode.

Unternehmen brauchen Projekte, um das Neue zu schaffen und sich damit an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Mit „Projekt“ meine ich etwas anderes, als das, wofür der Begriff umgangssprachlich verwendet wird. „Projekt“ ist eine Form, Zusammenarbeit zu organisieren. Projekte sind bereichsübergreifend und interdisziplinär. Experten werden aus Fachbereichen an ein Projekt ausgeliehen. Echte Projektteams arbeiten außerhalb von Abteilungsstrukturen, schaffen sich eigene Kommunikationswege und haben eigene Aufgabenlisten. Die Führungskraft des Fachbereichs ist die ausleihende Instanz und hält sich sonst raus.

Das alles ist keine Raketenwissenschaft. Doch die Noch-Weltmarktführer haben eben wenig bis kein Verständnis für diese Form der Zusammenarbeit. Entscheidungen? Werden bitte von der Hierarchie getroffen. Bereichsübergreifende Zusammenarbeit? Da muss bitte der Chef ins Meeting und sagt uns dann, was zu tun ist. Das ist verständlich, schließlich waren es in den vergangenen Jahren andere Muster der Organisation, die diese Unternehmen erfolgreich gemacht haben. Verständlich aber eben nicht nützlich.


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So in Projekten zu arbeiten, ist sehr sehr schlimmer Unfug. Denn damit haben gute Ansätze zur Lösung des Problems keine Chance. Projekt um Projekt wird gestartet und nichts kommt dabei heraus. Außer die immergleiche Lösung für das immergleiche Problem. Noch eine neue Werkzeuggeneration, schneller, billiger, leiser. Und noch eine. Und noch eine. Dabei hat sich das Problem des Kunden längst gewandelt.

Mag sein, dass ich zu schwarz male. Das ein oder andere Vorhaben gelingt vielleicht doch. Persönlicher Einsatz Einzelner macht an manchen Stellen noch einen Unterschied. Bei der Mehrheit derer, die ich treffe, fehlt jedoch das grundsätzliche Verständnis dafür, dass Projektorganisation etwas ganz anderes ist, als tayloristisch standardisierte Prozesse. Dieses Verständnis aber, gerade bei den Leitenden, ist entscheidend, wenn die Brücke zum Neuen gelingen soll.

Auf neues Terrain wagen: Imponierende Produkte dank Taylor, das Neue dank Projekten

Bitte verstehen Sie mich richtig: Tayloristisch standardisierte Prozesse sind super wichtig. Sie haben uns den Wohlstand gebracht, den wir heute haben. Dadurch wurden Autos erschwinglich und viele andere Dinge auch. Den Computer, auf dem ich das schreibe, könnte ich mir gar nicht leisten, wäre er nicht ein hochgradig standardisiertes Produkt, dass massenweise hergestellt wird.

Wenn ich etwa die Maschinen anschaue, die die Marktführer-Unternehmen produzieren, dann bin ich als halber Ingenieur immer wieder begeistert. Wahnsinn, was diesen Unternehmen in der Vergangenheit gelungen ist. Welche Präzision, welches technische Vermögen. Produktgeneration für Produktgeneration wurde verbessert. Das ist wirklich imponierend.

Projekte – als Organisationsform – brauche ich immer dann, wenn ich etwas machen will, wovon zu Beginn keiner von uns weiß, wie das Problem genau zu lösen ist. Wenn sich ein Unternehmen auf unbekanntes Terrain wagt.

Da helfen Abteilungen nicht, da muss eine Projektleiterin oder ein Projektleiter die besten Expertinnen und Experten an einen Tisch bringen, so dass sie gemeinsam überlegen können, wie sie vorgehen wollen, um das Problem zu lösen. Das ist kulturell ein Sprung zurück in die Gründerzeit des Unternehmens, als noch mit der Hand am Arm Maschine um Maschine gebaut und ausgeliefert wurde. Das ist Pionierarbeit, weshalb diese Projekt auch als „Pionierprojekte“ oder „Zukunftsprojekte“ bezeichnet werden.

Und im vorhergehenden Absatz versteckt sich schon wieder ein elementarer Unterschied zum Verständnis der Hidden-Noch-Champions: Die Expertinnen und Experten sollen gemeinsam überlegen, wie sie vorgehen wollen, um das Problem zu lösen. Nicht: Sie sollen sich eine Lösung er-brainstormen.

Organisation vor inhaltlicher Problemlösung

Die zu lösenden Probleme sind zu groß, als dass man die Problemlösung in einem Schritt entwickeln könnte. Die Problemlösung ist zu komplex, um im Workshopraum zu gelingen. Deshalb müssen die Expertenteams sich überlegen, welche Schritte sie unternehmen wollen, um zu einer Problemlösung zu kommen. Damit das dann systematisch vonstatten geht, braucht es Koordination.

Ein wichtiger Grundsatz: Erst organisieren wir unsere Zusammenarbeit, dann arbeiten wir inhaltlich an der Problemlösung. Was gibt es zu tun? Wer kümmert sich um was? Das sind typische Fragen, die früh geklärt werden müssen, damit Projekte gelingen.

Damit verbunden ist noch so ein Punkt, der zum Haareraufen ist. Immer noch werden die besten Expertinnen dazu verdonnert, die Projektleitung zu übernehmen. Ich hatte das bereits 2013 in einem Vortrag für das Wissensforum der Süddeutschen Zeitung aufgegriffen. Den besten Experten zum Projektleiter zu ernennen, das war einer der „Zehn Tipps, wie Sie Ihr Projekt sicher ruinieren“. Was in tayloristischen Strukturen passt, fährt Projekte gegen die Wand.

ProjektleiterInnen sind Architekten guter Zusammenarbeit über Fachbereiche hinweg

Projektleiterinnen müssen vor allem dafür sorgen, dass die Zusammenarbeit unterschiedlicher Experten gut gelingt. Projektleiterinnen sind Koordinatoren, Organisatoren, Moderatoren und auf keinen Fall Oberexpertinnen.

Ich schreibe das aus voller Überzeugung: Die Noch-Weltmarktführer müssen dringend lernen, wie Projekte funktionieren. Nur dann gelingt ihnen die Anpassung an neue Gegebenheiten, nur dann gelingt Transformation. Da helfen keine Rufe nach Agilität und tollen Methoden. Das ist Kulturarbeit. Die dauert.

Ganz abgesehen davon, dass gute Projektarbeit auch methodisch lange vor dem Kick-off und dem ersten agilen „Planning“ Strukturen der Zusammenarbeit schafft. Best Practice. Eine wesentliche Erkenntnis aus über 26 Jahren des Projekte-Machens.

Wer gut ins Projekt starten will, sorgt erst einmal ganz früh für Klarheit des Mandats. Was will ich als Auftraggeberin von Dir, mein Projektleiter und warum gehen wir das Thema an? Dazu kommen Auftraggeberin und Projektleiter gemeinsam an einen Tisch, um Fragen zu klären und Missverständnisse von Beginn an zu minimieren.

Gute Projektführung braucht Organisationsentwicklung

Aus unserer Erfahrung nimmt der unternehmensweite, gemeinsame Lernprozess, nichts anderes ist Organisationsentwicklung, hin zu strukturiertem Projekt-Handeln bei einem größeren Mittelständler drei bis acht Jahre in Anspruch. (Wer anderes verspricht, möge seinen Zauberstab vorweisen.) Der Lohn für dieses Investment ist die Kompetenz, Zukunft gestalten zu können, und sich selbstwirksam zu fühlen. Angesichts des turbulenten Umfelds ein gutes Gefühl. Man arbeitet mit der richtigen Strategie an den richtigen Projekten und das auch noch systematisch und wohlorganisiert. Das sollte das Ergebnis der Organisationsentwicklung sein. Damit der Nutzen aus Projekten möglichst groß wird und die Ressourcen möglichst schonend und gezielt zum Einsatz kommen.

Die Geschwindigkeit der Organisationsentwicklung hängt dabei vor allem davon ab, wie gut Unternehmer und Geschäftsleitung mit im Spiel sind, sich einbringen und Vereinbartes einfordern. Je enger sie mit ins Boot der Veränderung gehen, desto schneller gelingt der Wandel. Dann haben manche schon in einem Jahr geschafft, wofür andere drei gebraucht haben.

Ja, erste Effekte sind schneller zu holen, in ein paar Wochen. Die Mandatsklärung ist eines dieser einfachen Elemente, die mit sehr wenig Aufwand viel bewirken. Um ein Beispiel zu nennen, dass Sie gleich nachher umsetzen können.

Idealerweise startet diese Transformation hin zu guter Projektführung mit den strategisch bedeutendsten Projekten. Werden die als echte Projekte organisiert, spürt man in weniger als in einem halben Jahr einen ersten Nutzen. Werden die konsequent priorisiert und systematisch mit Ressourcen versorgt, kommen sie deutlich besser voran.

Nach und nach wird aus dieser Keimzelle dann ein neuer „Standard“ für die Projektarbeit im ganzen Unternehmen. Vorausgesetzt, die richtigen Komplizen kümmern sich um diese Organisationsentwicklung und sie bleiben beharrlich am Ball.

Das ist übrigens noch so ein Best Practice: Suchen Sie sich die richtigen Komplizen für die Themen, anstatt die besten Experten als Projektteam zu benennen. Komplizen sind für mich Menschen, die Bock haben, in einem Thema gemeinsam mit anderen etwas auf die Beine zu stellen, einen Coup zu landen. Mit einer solchen Projekt-Bande haben schon mal ein super stabiles Fundament für das, was Sie erreichen wollen.

Sie wissen ja: Mit Projekten ist mehr möglich, als Du ahnst!

Mit den besten Grüßen
Holger Zimmermann
Inhaber & Geschäftsführer Projektmensch

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