Ist das nun ein Projekt – oder nicht?

Ist das ein Projekt? Die Antwort darauf ist eine unternehmerische Entscheidung, kein Naturgesetz. Wer allerdings ungeschickt wählt, begeht unternehmerischen Selbstmord.

Mit dieser Frage fängt alles an: „Ist das nun ein Projekt – oder nicht?“. Zumindest gefühlt und wenn es darum geht, etwas auf die Beine zu stellen. Wenn ich ein Projekt leiten will, dann sollte es auch ein Projekt sein. Doch ob etwas ein Projekt ist oder nicht, ist eine Wahl, kein Naturgesetz. Wenn ich mich entscheide, etwas als Projekt zu machen, dann entscheide ich mich für eine bestimmte Art des Organisierens von Zusammenarbeit. So wie sich unsere Vorgänger beispielsweise entschieden haben, unsere Unternehmen maßgeblich nach dem Vorbild von Taylor, Smith und Ford zu organisieren. Es war eben die geeignete Form der Organisation und Zusammenarbeit, um die mit den anstehenden Aufgaben verbundenen Probleme geschickt zu lösen.

Etwas „ist“ kein Projekt, vielmehr entscheide ich mich, ein Vorhaben zum Projekt zu machen.

Die Frage „Ist der Bau eines Hauses ein Projekt?“ sollte ich insofern durch die Frage „Welche Organisationsform ist für den Bau eines Hauses die am besten geeignete?“ ersetzen. Um das Beispiel „Hausbau als Projekt“ zu nutzen. Wie die Antwort auf die Frage ausfällt, hängt von meinen Rahmenbedingungen ab. 

Ich als Schwabe baue in meinem Leben im Normalfall ein einziges Haus für mich und meine Familie. Insofern lohnt es sich für mich kaum, in den Aufbau einer Routine zu investieren, und ich kann es auch gar nicht wirklich, weil mir die Erfahrung aus vielen Wiederholungen der gleichen Sache fehlt. Würde ich den Bau meines Hauses in Form eines standardisierten Prozesses arbeitsteilig organisieren wollen, wäre der Prozess schlecht und das Verhältnis Aufwand für Prozesserstellung zu Nutzen unverhältnismäßig. Der Routineprozess ist für mich also alleine deshalb schon keine geeignete Organisationsform, ich wähle tendenziell eher die Organisationsform „Projekt“. Die ist vor allem geeignet, um etwas für mich Neues und Einzigartiges auf die Beine zu stellen. 

Wer sich entscheidet, etwas als Projekt zu organisieren, organisiert die Zusammenarbeit aller Beteiligten individuell für dieses eine Vorhaben. In diesem Fall muss ich davon ausgehen, dass keiner der Beteiligten weiß, was genau sein Job im Rahmen dieses einen Vorhabens ist, und wir wirklich alles abstimmen müssen: Was wollen wir erreichen? Was gilt es dafür zu tun? Wer kümmert sich um was? Wie treffen wir Entscheidungen? Etc.

Im tayloristischen Routineprozess ist das Gegenteil der Fall: ich muss davon ausgehen, dass alles bereits geregelt ist und jeder weiß, was er wie wann tun muss, damit das beabsichtigte Ergebnis entsteht. Im Projekt benötigen wir zu Beginn Zeit, um uns zu organisieren, beim Routineprozess kommt der Auftrag und wir können sofort in die Umsetzung starten.

Was für den schwäbischen Familienvater ein Projekt ist, ist für den Fertighausunternehmer Routineprozess. Hoffentlich.

Wäre ich Inhaber einer Fertighausfirma, würde meine Entscheidung vermutlich anders ausfallen. Mal angenommen, ich würde zu 100 Prozent das Haus „Typ Martha“ in seiner Standardausführung verkaufen und bauen – und dies dazu noch mit meinen eigenen Bautrupps, dann wäre es unternehmerischer Selbstmord, mich für „Projekt“ als Organisationsform zu entscheiden. Die Transaktionskosten, also der Aufwand fürs Organisieren, würden meinen Aufwand in die Höhe treiben und ich wäre mit Sicherheit nicht wettbewerbsfähig. In diesem Fall ist der Routineprozess überlegen, denn bei ausreichender Anzahl Wiederholungen ist er deutlich effizienter als das individuell organisierte Projekt. 

Beim Routineprozess organisiere ich einmal für viele Wiederholungen und optimiere im weiteren Verlauf ständig Abläufe und Verfahrensweisen auf Basis meiner Erkenntnisse im betrieblichen Alltag. Ich sorge also dafür, dass jeder nur noch tun muss, was ihm bereits bekannt ist. Sonderfälle vermeide ich. Entweder mein Kunde kauft „Typ Martha“ oder  eben gar nichts. Entweder ich kaufe meinen Mercedes, BMW, Audi, Kia, Toyota oder welches Automodell auch immer wie es der Online-Konfigurator zulässt, oder eben gar kein Auto. Der Routineprozess funktioniert dann wirklich gut, wenn ich definierte, als zulässig erklärte Aufgabenstellungen in die Umsetzung gebe.

Mit etwas Neuem kommt der Routineprozess nicht klar.

Nun will ich aber, mal angenommen, kein Haus „Typ Martha“ in der Standardausführung, ich will einen zusätzlichen Wintergarten und ein größeres Schlafzimmer. „Ja, dann müssen wir uns abstimmen“, reagiert der Fertighauslieferant. 

Was er in diesem Moment vermutlich nicht erkennt und was in Firmen tagein tagaus übersehen wird: mit diesem Satz hat er, ganz nebenbei, die Organisationsform gewechselt. Jetzt wurde aus einem Routineprozess, zumindest in Teilen, ein Projekt. (An dieser Stelle einen Gruß an alle Vertriebs-Geschäftsführer und Vertriebsmitarbeiter: Gutes Projektmanagement beginnt mit der Anfrage des Kunden!) 

Ab diesem Moment können sich die Beteiligten nicht mehr auf technische Zeichnungen und Abläufe verlassen. Sie müssen sich überlegen, wie sie nun vorgehen, müssen sich abstimmen. Weshalb der Bedarf an Besprechungen stets ein guter Indikator dafür ist, welche Organisationsform im Moment Sinn macht:

Sind Besprechungen zwingend nötig, damit das Ergebnis hergestellt werden kann?

Wenn die Antwort auf diese Frage „Ja“ lautet, dann lautet die pauschale Reaktion: Projekt! Dann müssen wir uns zusammensetzen und absprechen. Die Besprechung ist notwendig, ebenso das Organisieren. Wären wir bei „Typ Martha“ in der Standardversion und damit beim Routineprozess geblieben, wäre die Besprechung unnötig. Wobei es nur logisch ist, dass in jedem Fall so viel Routine wie möglich genutzt wird, und nur an den Punkten, die Besonderheiten und Abweichungen mit sich bringen, extra Absprachen zur Zusammenarbeit getroffen werden. Die Kunst ist es dann, diese Sonderanteile zu erkennen und bei allen Beteiligten eine gemeinsame Sicht darauf herzustellen.

Die Automobilhersteller liefern an dieser Stelle ein gutes Beispiel, wie Routineablauf und Projekt als Organisationsform ineinandergreifen: wer ein Sonderfahrzeug, etwa eine gepanzerte Limousine, haben will, der kann auch das bestellen. Allerdings nicht über den Online-Konfigurator. In diesem Fall muss ein Kunde mit dem Hersteller persönlich Kontakt aufnehmen. Dort werden seine Anforderungen erfasst und der Vertrag geschlossen. Im Routineprozess der Automobilherstellung sind verschiedene „Ausfahrten“ vorgesehen, so dass ein Fahrzeug bis zu einem bestimmten Punkt gemäß Standardablauf hergestellt und dann aus dem Routineverfahren „entnommen“, sprich: ausgeschleust wird. Beispielsweise könnte ich ein Fahrzeug bis zur Hochzeit von Karosserie und Motor gemäß Standard über das Band laufen lassen und dann alle weiteren Arbeiten manuell durchführen, etwa dickere Bleche an und in den Türen anbringen und die stärkere Federung zwecks Panzerung einbauen. 

Ja was jetzt: Projekt oder Routineprozess?

Wir werden bei Projektmensch oft beauftragt, um Projektmanagement in Unternehmen zu etablieren. Dabei erlebe ich stets den Wunsch nach Eindeutigkeit: wann ist ein Projekt ein Projekt? Woran erkennen wir ein Projekt? Was sind Kriterien dafür, dass es sich um ein Projekt handelt? 

So sehr ich diesen Wunsch verstehe und ihm gerne entsprechen würde, es geht nicht. Ob jemand etwas als Projekt betrachtet oder in Routineprozess denkt, ist eine unternehmerische Entscheidung. Je nach Situation ist entweder das Eine oder das Andere besser geeignet. 

Wo häufig Kriterien gefragt sind, spreche ich eher von Indikatoren, die mir bei meiner Entscheidung helfen. Wollen wir etwas Neues auf die Beine stellen, etwas, das wir so noch nie gemacht haben, ist das ein starker Indikator dafür, dass „Projekt“ als Organisationsform geeignet sein dürfte. Ebenso wie bisher unbekannte oder wechselnde Beteiligte stark dafür sprechen, wie auch die Tatsache, dass ich ein interdisziplinäres Team benötige, Menschen mit unterschiedlichem Know-how, um das angestrebte Ergebnis auf die Beine zu stellen. Wird über Bereichsgrenzen oder gar Unternehmensgrenzen hinweg kooperiert, kann das ebenfalls mit auf die Liste der Indikatoren pro Projekt, wie auch die Tatsache, dass ein Budget speziell für dieses eine Vorhaben benannt wurde. Muss ich mit Überraschungen rechnen, habe ich viele Unbekannte, hohe Unsicherheit und an vielen Stellen Nicht-Wissen, dann sind dies auch Anzeichen, die für „Projekt“ sprechen.

Ebenfalls ein starkes Indiz, dass „Projekt“ passen dürfte, ist die Gegenprüfung: Haben wir einen Routineablauf, der ohne zusätzliche Abstimmungen zum gewünschten Ergebnis führen wird? Wo die Antwort „Nein!“ lautet, spricht das für „Projekt“. 

Wo Wiederholungen der immer gleichen Vorgehensweise absehbar sind, spricht das eher dafür, einen Routineprozess zu etablieren, zu standardisieren, die immer gleiche Arbeitsteilung zu nutzen. Wo es sich um Varianten des immer gleichen Ergebnisses handelt und hohe Stückzahlen, spricht das ebenso für Routine. Wie auch die Tatsache, dass sich stets dieselben Menschen ans Werk machen, für den Routineprozess punktet. Das gilt dabei nicht nur für die eigenen Mitarbeiter, sondern auch für Partner und Lieferanten.

Dabei ist stets wichtig: die Entscheidung ist eine Frage der Perspektive der am Projekt Beteiligten. Wo unterschiedliche Sichten zusammentreffen, steht die Einigung auf die Organisationsform an erster Stelle der zu klärenden Dinge. 

Um beim Hausbau zu bleiben: für mich als Schwabe ist auch der Bau eines Fertighauses zunächst ein Projekt, denn ich habe viel Nicht-Wissen, arbeite mit mir bisher unbekannten Personen zusammen, brauche unterschiedlichstes Know-how und werde aus meiner Sicht so einige Überraschungen erleben. Allerdings könnte mich der Fertighausunternehmer überzeugen, das Vorhaben als Routineprozess zu betrachten. Er müsste seinen Ablauf dann so gestalten, dass ich meinen Arbeitsanteil nach einer kleinen „Einarbeitung“ selbstständig und fehlerfrei erledigen kann. Etwa indem er mir eine App überlässt, die mich Schritt für Schritt durch alles Notwendige leitet und mich so gute anleitet, dass ich keinen Unfug produziere. Damit wäre dann uns allen gedient: ich hätte ein günstiges Haus und der Unternehmer niedrige Kosten. 

Allerdings müsste es dann schon „Typ Martha“ in der Standardausführung sein. Will ich das nicht, wird auch die App nicht helfen. Dann ist es eben doch ein Projekt und wir müssen uns besprechen.

Ob Ihr Vorhaben ein Projekt ist oder nicht? Falls Sie wollen, gebe ich Ihnen meine Einschätzung dazu. Schreiben Sie mir ein paar Zeilen darüber, was Sie vorhaben und unter welchen Rahmenbedingungen: dialog@projektmensch.com. Ich bin gespannt.

Mit Projekten ist mehr möglich, als man ahnt.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

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