„Wird Ihrem Unternehmen die digitale Transformation gelingen?“ Wer jetzt ehrlich antwortet, muss oft mit einem lauten „Nein!“ reagieren. Manchmal wirken noch nicht einmal die Versuche, die man anstellt, um „Digitalisierung“ zu betreiben, ernsthaft. Da wird eine eigene Abteilung gegründet. Nette Idee. Aber! Mit Taylorismus ist das Neue nicht zu erschließen. Außerdem muss die Integration von Anfang an mitgedacht werden, sonst sind teure Grabenkriege programmiert. Wer dann Agilität ausruft, sollte auch verstehen, was damit gemeint ist, sonst fliehen die Experten. Der Innovationsprozess soll es richten? Nonsens. Doch langsam und von Anfang an.
Die richtigen Ziele setzen: Integration mitdenken
Die Ausgliederung der Anstrengungen in Richtung Digitalisierung in eine eigene Einheit, ein „Schnellboot“, ein „Digitallabor“ oder wie auch immer, halte ich für einen durchaus gangbaren Weg, um sich den Fragen der Digitalen Transformation zu stellen. Für eine solche Einheit kann man bestehende Regeln außer Kraft setzen, etwa schwerfällige Einkaufsprozesse, um Geschwindigkeit zu gewinnen. Das hilft im ersten Moment. Solche Teams nehmen erfahrungsgemäß schnell Fahrt auf und liefern erste Ergebnisse.
Dann kommt allerdings die eigentliche Hürde: Vielerorts geht das Management davon aus, dass selbstverständlich die bisherige Organisation diese neuen Ergebnisse aufnehmen und weiterführen wird. Das ist für mich in sofern nachvollziehbar, da das Unternehmen ja zukünftiges Geschäft für sich selbst sucht. Außerdem finde ich nachvollziehbar, dass aus Prototypen effizient hergestellte Massenprodukte werden sollen, sofern ein Unternehmen eine entsprechende Größe hat. Die bestehende Organisation nimmt das Neue allerdings selten mit Freude auf. Es kommt als Störung daher. Es wirkt gefährlich. Ganz abgesehen davon, dass man gar nicht das notwendige Wissen hat, mit dem Neuen klarzukommen. Das verstärkt die Angst nur noch, die man eh schon hat.
Aus meiner Sicht gibt es für diese Vorgehensweise zwei Ansätze, die Erfolg versprechen. Entweder man gründet die Digitalisierungsbemühungen in aller Konsequenz aus und bleibt dabei. Sprich: man gründet faktisch das Nachfolgeunternehmen der eigenen Firma. Das eröffnet die Chance, alle Dinge neu zu denken und dabei trotzdem auf vorhandenes Know-how zuzugreifen. Dass man dabei auf die Balance achten muss, etwa wie viele Experten sich um das Neue kümmern sollen und wie viele das Bestehende betreuen, ist offensichtlich. Wird die neue Firma damit Kunde des bestehenden Unternehmens, wird der Erfolg auch für die bisherige Organisation sicht- und greifbar. Trotzdem können Sie sich sicher sein, dass die Neugründung mindestens misstrauisch beäugt wird. Das wiederum können Sie nutzen, um die bestehende Organisation herauszufordern und dort für Innovation zu sorgen.
Effizienzstreben ist die falsche Messlatte, wenn es darum geht, Innovation zu betreiben.
Das ist doch Doppelarbeit, ist ineffizient? Da liegen Sie richtig. Allerdings ist Effizienzstreben die falsche Messlatte, wenn es darum geht, Innovation zu betreiben. Dieses Denken in Aufwand, Vermeidung von Verschwendung, Effizienz, Auslastung ist dann wieder wichtig, wenn ein neues Produkt in Mengen produziert werden soll. In der Phase, in der das Neue entsteht, können Sie sicher sein, dass Sie die Initiativen sofort töten, wenn Sie mit dieser Denkweise an die Sache rangehen.
Ob Integration gelingt, ist eine Frage des Auftrags und der Zielvorgaben, liebes Management!
Die zweite Alternative ist es, die Integration der neuen Geschäftsmodelle von Anfang an mitzudenken. Das ist eine Frage der Zielsetzung. Es macht einen Unterschied, ob ich „Am Ende haben wir ein neues, digitales Geschäftsmodell mit einem Umsatz von mindestens X“ beauftrage oder ob ich „Am Ende haben wir ein neues, digitales Geschäftsmodell mit einem Umsatz von mindestens X, das als ’normal‘ in die bestehende Organisation integriert ist“ als Zielvorgabe ausgebe. In letzterem Fall werde ich Energie und Zeit investieren, um die Menschen mitzunehmen, fit zu machen. Wo das nicht geschieht, ist das Risiko hoch, dass die „Digitaleinheit“ und deren Ergebnisse wie Fremdkörper vom bestehenden Organismus ausgestoßen werden.
Wer sich mit der Gründung einer eigenen Einheit fürs Digitale beschäftigt, tut übrigens gut daran, sich mit der Zeitungsbranche auseinanderzusetzen. Dort wurden in vielen Verlagen eigenständige Einheiten für den Online-Auftritt aufgebaut. Erst nach und nach hat man verstanden, dass sich das Digitale nicht von der Papierform trennen lässt, dass es integraler Bestandteil der Geschäftstätigkeit werden muss. Da kann ich nur sagen: Danke für diese Erkenntnis. Wohl dem, der daraus lernt und diese Erkenntnis nutzt.
Kooperationsfähigkeit als Ziel der Unternehmensorganisation
Unternehmen mit traditionellem Geschäftsmodell und gut eingeführten Produkten müssen auf stabile, effiziente Prozesse und Abläufe setzen, damit sie wettbewerbsfähig sind. Zumindest ist das eine legitime und bewährte Vorgehensweise. Nun kommt die Welle der Digitalisierung daher und das mit Stabilität und Prozessen verbundene Mindset funktioniert nicht mehr. Da müssen auf einmal Experten von außen dazu kommen, etwa Programmierer oder Wissenschaftler, und mitarbeiten, damit das Neue funktioniert. Wer diese Menschen nur als Lieferanten betrachtet und behandelt, bleibt weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Gefragt sind jetzt Menschen und Prinzipien, die eine echte, offene Kooperation möglich macht.
Der Fachexperte als Projektleiter hat ausgedient.
Kooperationsfähigkeit ist dabei auch eine Art Effizienzdenken, nämlich der Anspruch daran, Kooperationen ad hoc und möglichst reibungsfrei organisieren zu können. Wie gut ist Ihr Unternehmen dazu in der Lage? Wie viele Menschen haben Sie, die solche Kooperationen führen können? Wer diese Fragen guten Gewissens positiv beantworten kann, hat einen echten, dauerhaften Wettbewerbsvorteil. Denn dann gelingt es schneller, neue Dinge zu entwickeln. Und vermutlich wird das Ergebnis auch besser sein. Wo bisher Innovationsprozesse genutzt wurden, sind nun Kooperationsexperten gefragt, die die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Personen mit unterschiedlichem Know-how aus unterschiedlichen Unternehmungen und Institutionen individuell organisieren können, damit die Experten ihre Expertise möglichst effektiv und effizient einbringen können. Der Fachexperte als Projektleiter hat ausgedient.
Nun sind Kooperationsexperten gefragt, die die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Personen mit unterschiedlichem Know-how aus unterschiedlichen Unternehmungen und Institutionen individuell organisieren können.
Für das Management, für die Unternehmensleitung geht damit auch eine andere Art der Führung einher. Wo bisher Stage-Gate-Prozesse an der Tagesordnung waren und die Führungsebene über Freigaben entschieden hat, gilt es nun ebenfalls zu kooperieren und sich gemeinsam der Unsicherheit zu stellen. In vielen Fällen ist man gar nicht in der Lage, die Abnahmekriterien für die Gates zu benennen. Wer die Digitale Transformation als gemeinsames Lernen versteht, wird sich leichter tun. Als Lernen eines ganzen Unternehmens.
Was auch immer Sie damit nun machen. Es gibt noch so viel mehr zu sagen. Etwa dass Digitale Transformation keine Frage der Technik ist. Oder dass es Logik braucht von Vision und Mission eines Unternehmens über Strategie (bitte: Strategie ungleich Zahlenwerk!) bis hin zu Initiativen und Projekten. Oder dass man Strategien braucht, mit Nicht-Wissen umzugehen. Vielleicht auch, dass es sich dabei um eine Renaissance des Marketings als „Ausrichtung des gesamten Unternehmens auf den Kunden“ handelt. Und sicherlich, dass Agilität Antworten liefert, jedoch nur für den, der dieses Mindset auch wirklich verstanden hat. Ebenso wie man erwähnen muss, dass es nicht genügt, Personen zu benennen, sondern dass man auch Kapazität setzen muss.
Wie auch immer. Für heute mach ich Schluss, nicht ohne anzumerken, dass ich mich mich über Feedback freue. Schreiben Sie mir: hz@projektmensch.com oder hier als Kommentar.
Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch.
Ich wusste, dass es schlimm ist.
Aber so schlimm: Keine Abnahmekriterien für Quality Gates?