Schnell geschaltet: Wie Eterna 550 Mitarbeiter in Lohn und Brot hält.

Erst Hemden, dann Behelfsmasken. Das Mittel gegen den Absatzeinbruch bei Eterna.

Wenn der Absatz einbricht und damit 550 Mitarbeiter ohne Arbeit dastehen, dann hat man zwei Alternativen: entweder man kündigt und nutzt Kurzarbeit oder man überlegt sich, wo die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten alternativ gefragt sind. Für letzteren Weg hat sich der Hemden- und Blusenhersteller Eterna entschieden und damit die komplette Mannschaft in Lohn und Brot gehalten. Und gleichzeitig Gutes getan. Ein Gastbeitrag von Ralf Polito, Chief Operating Officer bei Eterna:

31. März 2020

„Angefangen hat alles am 3. März, als ich unsere Produktionsstätte in der Slowakei mit 550 Mitarbeitern besuchte, um ein zweitägiges Strategiemeeting abzuhalten. Sehr schnell kamen wir in diesem Zusammenhang auf die Gefahren von Corona zu sprechen, weil ein Teil unserer Zulieferer in China bereits schließen musste. Schnell mussten wir erkennen, dass ein ähnliches Szenario in Europa sogar das Unternehmen Eterna als Ganzes gefährden könnte, da die Produktion die mit Abstand größte Fixkostenkomponente der Eterna Mode GmbH darstellt und die Hemdennachfrage auf Null zurückgehen würde.  

Auf der Suche nach einem Substitutionsprodukt gelang es uns über einen Vermittler den Kontakt zur slowakischen Regierung aufzubauen, die sich ebenfalls mit dem Szenario beschäftigte. In diesem Zeitraum experimentierten wir mit unseren eigenen Hemdenstoffen an Nähtechniken für Masken und produzierten die ersten Musterteile. Bereits nach wenigen Tagen formalisierte die Regierung das Interesse eines groß angelegten Aufbaus eines Maskenlagers. Da die Regierung sofortigen Zugang zu Material ermöglichte, waren wir in der Lage innerhalb von zwei Tagen unsere Produktion fast komplett auf Maskenproduktion umzustellen. 


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Mit Hilfe von Anwälten und dem Management unseres Produktionswerks mussten wir erst Verträge erstellen. Obwohl der Vertrag die Erfüllung zahlreicher Formularien erforderte, erlaubte uns die Regierung bereits mit der Produktion anzufangen, bevor alle notwendigen Unterschriften und Dokumente zur Verfügung standen. Inzwischen haben wir all unsere dokumentarischen Pflichten erfüllt. 

An dieser Stelle kritisiere ich klar die Vorgangsweise der deutschen Politik, die in Verhandlungen mit uns bezüglich Maskenlieferungen nach Deutschland bisher mit fehlenden Entscheidungen den Abschluss eines Liefervertrags unmöglich gemacht hat. 

Mit der Maskenproduktion haben wir insbesondere zwei Ziele erfolgreich erfüllen können: die Arbeit sowie die Lohnfortzahlung von 550 Mitarbeitern zu sichern sowie wenigstens einen Teil der fehlenden Umsätze aus dem Hemden- und Blusengeschäft zu kompensieren. Somit haben wir gleichzeitig den Fortbestand des Unternehmens gesichert. 

Agiles Vorgehen macht handlungsfähig

Während der Vorbereitung sowie in der Phase der Umstellung selbst hat sich bei uns die Methode des agilen Handels mit einem sehr kleinen, aber starken Führungsteam bewährt. Das durfte Entscheidungen auf Basis von Grundvorgaben treffen, ohne sich permanent mit der Konzernleitung abstimmen zu müssen. Gerade auch die Erfahrungen mit der deutschen Politik zeigen die Ineffizienz, die durch ständige Abstimmungsrunden entsteht. 

Die garantierte Lohnfortzahlung sowie die Möglichkeit von Zusatzverdiensten mit Hilfe von freiwilligen Überstunden hat uns außerdem geholfen, ein sehr motiviertes Team hinter uns zu haben. Das hat inzwischen eine hohe Lernkurve erreicht, die uns fast jeden Tag einen neuen Rekordausstoß ermöglicht. 

Natürlich kam auch ein bisschen Glück dazu. So haben uns etwa die vorbildliche Zusammenarbeit mit der Regierung der Slowakei sowie die sofortige Verfügbarkeit von Material  die sofortige Umsetzung unseres Plans ermöglicht. Im Gegensatz zu vielen anderen Firmen, die dieses Glück nicht hatten. Der Output pro Tag erreichte anfangs 5.000 Stück, aktuell haben wir die 50.000er-Marke geknackt.

Inzwischen liefern wir die ersten Masken auch nach Deutschland, die wir bereits über unseren Online Shop sowie unseren eigenen Vertrieb bevorzugt an medizinische Kunden, aber auch Endkunden, anbieten können. Dabei verurteilen wir die derzeitigen Wucherpreise am Markt in vollem Umfang. 

Wir werden selbstverständlich die Kosten des Nähens mit circa vier Nähminuten pro Stück an die Kunden weitergeben und eine Marge verlangen, aber es gibt derzeit keinen Grund, selbst bei einer manuellen Produktion in Europa, Preise von 5 Euro und mehr pro Maske zu verlangen. Wir werden auch versuchen zu verhindern, an Zwischenhändler zu verkaufen, die zu deutlich teureren Preisen weiterverkaufen. 

Die hohe Anzahl an Zwischenhändlern, die die Preise explodieren lassen, ist sicherlich erneut der Tatsache geschuldet, dass wir noch weit entfernt von einer zentralen Verteilung mit Unterstützung der Politik sind, die den Herstellern garantierte Preise und gleichzeitig die Verteilung an die wichtigen Institutionen sicherstellen könnte. Inzwischen gibt es eine Onlineausschreibung der Bundesregierung, die aufgrund der Preisvorstellungen von 65 Cents pro Maske jedoch die Teilnahme von Unternehmen, die die Masken manuell herstellen, unrentabel macht. 

Die Möglichkeit, schlußendlich doch noch nach Deutschland liefern zu können, ist entstanden durch die Ausweitung der Produktion auf andere Werke. Dieser Prozess war deutlich komplizierter, da wir das Material selbst beziehen und die gesamte Logistik ebenfalls selbst koordinieren müssen. 

Auch hier hat sich das agile Handeln mit Auflösen von strengen Hierarchien voll bezahlt gemacht. Ein inzwischen doch deutlich größeres Team wurde komplett verantwortlich gemacht für die operative Umsetzung. Hier wurde ebenfalls lediglich die Richtung durch das Management vorgegeben. Nicht planbare Situationen wie etwa ausgefallene LKWs, Lieferknappheit und Verspätungen bei Material sowie eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten aufgrund Home Office samt strikt getrennter Büros in unserer Firmenzentrale in Passau machten dabei Planfehler unvermeidbar. 

Schnell sein und aus Fehlern lernen

Diese Planfehler werden aber bewusst toleriert und wir lernen gerade daraus. Die Vorbereitung der Mitarbeiter darauf, auch nach nicht zu 100 % ausgearbeiteten Plänen zu handeln, halte ich hier für essentiell. Das Feedback auf die ersten Musterteile, die wir an verschiedenen Orten verteilt haben, deutet darauf hin, dass sich Masken sogar zu einem Modeartikel entwickeln können. Die Masken aus bunten Baumwollstoffen haben eine sensationelle Zustimmung und motivierten uns dazu auch Masken mit modischen Designs herzustellen.

Kritisch sehe ich noch die mittelfristige Lösung des Problems. Schon bald werden wir wieder von chinesische Billigware überrollt. Wir werden mit tariflich bezahlten Löhnen hier nicht mithalten können. Für uns wird dies voraussichtlich auch kein Problem, da wir hoffentlich bald wieder unsere tollen Hemden und Blusen herstellen dürfen, aber von einer Unabhängigkeit vom asiatischen Markt werden wir in Zukunft weit entfernt sein, wenn die Politik nicht dafür sorgt, dass Preise garantiert werden, die eine Europaproduktion ermöglichen.“

Im Projektmensch-Blog hatte ich bereits im Schneckenhaus-Artikel dafür geworben, einer Krisen neben den üblichen Kostensenkungsmaßnahmen gleichzeitig mit der Erschließung neuer, alternativer Einnahmequellen zu begegnen. Das Vorgehen von Eterna entspricht insofern voll und ganz dem, was wir bei Projektmensch unter gutem Krisenmanagement verstehen.

In diesem Fall bin ich dazu noch persönlich sehr gespannt, ob sich für diese Art Masken tatsächlich eine Mode entwickeln wird. Damit wären dann auch auf Marktseite eine Differenzierung und somit weiterhin auch rentierliche Preise möglich, die eine manuelle Produktion in Europa zumindest denkbar machen.

Welche Chancen sehen Sie, wollen Sie nutzen – oder haben Sie bereits genutzt? Schreiben Sie mir an hz@projektmensch.com.

Ihr
Holger Zimmermann
Inhaber & Geschäftsführer Projektmensch 

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