1000x Schiffbruch. Gewollt und geplant.

"Als wir das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir die Anstrengungen." Aber was, wenn die Ziele ebenso unsicher sind, wie alles andere?

„Als wir das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir die Anstrengungen.“ Aber was, wenn die Ziele ebenso unsicher sind, wie alles andere?

Wieso sollte ein Projektleiter mit seinem Team gewollt scheitern wollen? Wer Projekte unter hoher Unsicherheit macht, gar nicht so recht weiß, was am Ende konkret dabei herauskommen soll, für den lohnt sich die Auseinandersetzung mit dieser Frage. Etwa wenn ein Unternehmen spürt, dass ein altes Geschäftsmodell nicht mehr trägt und ein neues noch nicht in Sicht ist. Dann versagen die altbekannten Denkschemata, was Projektmanagement betrifft. Die stellen oft das Abarbeiten einer Aufgabe in den Fokus. Die Werkzeuge im Projektmanagement können allerdings mehr, als wir ihnen oft zugestehen.

Ein Plädoyer für eine andere Sichtweise

Nicht zuletzt die Diskussion auf dem PM Camp in Dornbirn unter der Überschrift „Beyond Project Management“ ist Anlass für diesen Artikel. Auch um die Gedanken zu sortieren und es sind viele Gedanken. Allein zu den Artikeln der Blogparade, zu der vorab aufgerufen wurde, könnte man vermutlich tagelang diskutieren und schreiben.

Einen Aspekt dieser Gedankenwelt will ich hier aufgreifen und für eine geänderte Sicht auf die seit vielen Jahren verwendeten Projektmanagement-Instrumente werben, wenn hohe Unsicherheit herrscht. Dort wo die Dinge wirklich unsicher sind, wo nicht einmal der Auftrag so richtig klar ist. braucht es einen anderen methodischen Blickwinkel, etwa wenn wie beschrieben alte Geschäftsmodelle wegbrechen und völlig unklar ist, wie man damit umgehen kann. Ein solches Vorhaben ist mehr als komplex und derartige Vorhaben nehmen in ihrer Anzahl zumindest gefühlt zu.

Wir brauchen hierfür eine Methode, die den Schiffbruch geradezu herbeiführt und daraus Lernen sicherstellt. Würden wir es sperrig nennen wollen, würden wir dazu „Annahmenbasiertes Projektmanagement“ sagen. Wobei vielleicht „Möglichkeitsorientiertes Projektmanagement“ ein passender Titel sein könnte. Aber der Titel soll nicht wichtig sein, der Inhalt ist es. Vielmehr noch die Perspektive und damit die Haltung der Mitwirkenden.

Der Ansatz nutzt klassische Projektmanagement-Werkzeuge, etwa den Projektstrukturplan. Allerdings wird dieser nicht als der abzuarbeitende Aufgabenberg betrachtet, sondern er macht Handlungsoptionen und die zugrunde liegenden Annahmen sicht- und damit greifbar. Nicht alles, was im Projektstrukturplan steht, wird umgesetzt. Vielmehr werden aus Annahmen und Handlungsoptionen Experimente abgeleitet, die Lernen sicherstellen wollen.

Projektleitung als Organisation eines Lernprozesses

Das Vorzeichen ist wichtig. Während wir bisher meist davon ausgehen, dass wir die „richtigen“ Dinge auf das Papier bringen, gehen wir nun davon aus, dass jede unserer Annahmen und damit jeder Pinselstrich auch falsch sein können. Wir versuchen geradezu das Scheitern bewusst herbeizuführen, daraus zu lernen und den nächsten Schritt besser zu machen. Scheitern in einem für uns handhabbaren Rahmen. Der Ansatz ähnelt dem, was Nassim Nicholas Taleb in seinem Buch „Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (1)“ beschreibt: jeder einzelne Teil darf sterben, damit das Ganze überlebt.

In einem Vorhaben, das ein neues Geschäftsmodell sucht, wird nicht gleich das gesamte alte Geschäftsmodell geopfert, sondern versucht ein Lernfeld aufzubauen, das hilft Zusammenhänge zu erkennen, Schlüsse zu ziehen, Erkenntnisse zu gewinnen. Erst nach und nach reift ein Bild davon, welche Richtung einschlagen werden muss. Wo im traditionellen Projektmanagement Projektziele verlangt werden, stehen Leitfragen im Fokus, die im Laufe des Vorhabens beantwortet werden sollen. Eine Meilenstein-Trendanalyse wird dann zum Instrument, um Annahmen über Zeitverläufe und eintretende Ereignisse zu überprüfen und aus dem Unterschied zwischen Annahme und Realität zu lernen, Schlüsse zu ziehen. Die Projektleitung hat die Aufgabe, einen geeigneten Lernprozess zu gestalten.

Agile Vorgehensmodelle wie Scrum zeigen viele Parallelen zu dem, was dieses Modell kennzeichnet. Dort hat das Lernen ebenfalls einen höheren Stellenwert im Bewusstsein der Mitstreiter. Die Fortschrittsbewertung bei Scrum geht davon aus, dass sämtliche Schätzungen bereits am nächsten Tag überholt sein können, da man neue Erkenntnisse gewonnen hat.

Wenn wir von annahmenbasiertem Projektmanagement sprechen, dann denken wir dabei an ein Schema, das dem ähnelt, sich jedoch vom doch recht starren Rahmen von Rollen, Fristen und Spielregeln lösen kann. Denn auch sämtliche Spielregeln zur Vorgehensweise gelten als Annahmen, die sinnvoll sein können, jedoch nicht müssen. Nicht nur inhaltlich soll lernen stattfinden, auch was das Vorgehen und die Zusammenarbeit betrifft steht im Fokus.

Keine Revolution, vielleicht nur ein kleiner Trick

Ich möchte an dieser Stelle noch anmerken, dass das, was ich hier beschreibe, seit Jahren kein Papiertiger ist. Wir nutzen diesen Denkansatz unter anderem in der Projektrettung und bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Er könnte vermutlich auch in Entwicklungsvorhaben von Nutzen sein, das haben wir aber noch nicht erprobt.

Viele Instrumente sind dem entliehen, was in guten Projektmanagement-Büchern zu finden ist. Sie werden allerdings eher als bewährte Visualisierungstechniken verstanden, die den Lernprozess zu unterstützen, Dinge sichtbar machen. Insofern ist das hier Beschriebene vielleicht nur ein kleiner (psychologischer) Trick, um allen Beteiligten die Unsicherheit immer wieder vor Augen zu führen. Dann steht nicht das Verfehlen eines geplanten Termins im Fokus, sondern das, was wir daraus für die Zukunft lernen können. Das Scheitern wird „normal“, ist per Definition bereits akzeptiert. Sofern das Lernen tatsächlich stattfindet. Was nichts mit wildem, ungeplanten Ausprobieren zu tun hat. Im Gegenteil: Lernen wird hier als sehr gezielt und geplant herbeigeführten Aufbau von Erfahrung verstanden.

Und es gäbe noch so viel mehr dazu zu schreiben.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch.

P.S: Dazu ebenfalls lesenswert könnten sein „Was muss “die Projektleitung” leisten? Kreativität als dritte Dimension im Projektmanagement.“ und „Beyond Project Management? Hmmm.


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