English translation below.
Griechenland hat kein Kostenproblem, es hat ein Einnahmenproblem. Klar spielt auch die Produktivität eine große Rolle, denn diese bestimmt am Ende die Wettbewerbsfähigkeit. Allerdings bringt alle Wettbewerbsfähigkeit nichts, wenn der Markt oder der Marktzugang fehlen. Deshalb gilt es die Marktfähigkeit der Griechen zu steigern und nicht zu viel Energie auf Kostensenkung zu verwenden. Zumindest nicht nur auf die Kostensenkung. Diese jedoch bestimmt derzeit die gesamte Debatte.
Ist ja auch herrlich konkret Kosten zu senken, während das Generieren neuer Einnahmequellen erst einmal abstrakt bleibt.An diesem Punkt kann die Projektmanagement-Methodik helfen, denn die ist in der Lage ein abstraktes Problem greifbar zu machen. Wie könnte also ein einnahmenorientiertes Antikrisenprogramm für Griechenland aussehen? (Das, nebenbei bemerkt, auch für die Menschen vor Ort angenehmer wäre und wohl zu weniger Protesten führen würde!)
Bestandsaufnahme
Für mich beginnt solides Projektmanagement mit einer Bestandsaufnahme. Die ist erst einmal einfach: die Griechen haben zu hohe Ausgaben bei zu wenig Einnahmen. Klingt vielleicht trivial, trifft jedoch zu. Auf der Kostenseite sind bereits viele Aktivitäten im Gang, wobei sämtliche Ebenen der Politik Druck ausüben. Das führt zur Verärgerung der Bürger, die sich ausgequetscht und verlassen fühlen. Gleichzeitig tobt ein Ringen um Liquidität, was dazu führt, dass kurzfristige Erfolge im Vordergrund stehen. Langfristige Strategien müssen ggf. geopfert werden. Es bleibt schlicht nichts Anderes.
Ein Umdenken der Handelnden, die Ausrichtung auf neue Märkte oder eine Diskussion der Stärken findet nicht statt – oder ist zumindest von außen nicht sichtbar. Das scheinbare Kostenproblem raubt alle Energie. Auch in den Ländern drumherum ist keine Entwicklung zu sehen, die eine Ausrichtung von der auf sich gerichteten Perspektive hin zu Hilfestellung für die Griechen zum Thema hat. Würden sämtliche EU-Staaten ihre Stärke einbringen, sollte es gelingen, wirtschaftliche Prosperität zu schaffen. Wobei die Politik dafür eventuell nicht geeignet ist. Es sind wohl eher die besten Strategen der Wirtschaft gefragt. Würde es gelingen, die wichtigsten griechischen Unternehmen zu besserer wirtschaftlicher Stärke zu führen, neue Marktsegmente zu bedienen und neue Einnahmequellen zu erschließen, wäre das Problem dieses Landes auf lange Sicht nicht mehr vorhanden.
Unternehmen versuchen jedoch, wenn sie vor Ort vertreten sind oder Geschäftsbeziehungen ins Land unterhalten, eher mit dem Status Quo vor Ort klar zu kommen und die eigene Haut zu retten. Der Wiederaufbau des Landes zum eigenen Nutzen scheint nicht in Betracht gezogen zu werden. Das jedoch könnte, gerade im eigenen Interesse, sinnvoll sein. Wenn Griechenland und die anderen not leidenden EU-Staaten nicht kippen, dann profitieren auch die Unternehmen in den anderen Ländern der Union, nicht nur weil die Banken sich wieder leichter tun, Geld zu verleihen.
Zielsetzung – damit Maßnahmen eine Richtung haben
Mindestens die Frage der Zielsetzung für ein solches Turnaround-Projekt sollte geklärt werden, bevor irgendwelche Maßnahmen entwickelt werden. So gilt es aus Sicht der Menschen in Griechenland den Lebensstandard – in den wichtigsten Lebensbereichen – mindestens zu halten. Wobei das aus Projektsicht zu wenig wäre, vielmehr sollten die Menschen in Griechenland nach Bewältigung der Krise gestärkt sein, einen besseren Lebensstandard haben, positive Zukunftsaussichten und ein Gefühl der Stärke sowie der Verbundenheit mit den anderen Europäern. Im Wissen, dass die Krise gemeinsam bewältigt wurde.
Gleichzeitig muss Griechenland nach Abschluss eines solchen Antikrisenprojekts auf eigenen Beinen stehen, sprich über mehr Einkünfte als Ausgaben verfügen, im Idealfall eine mindestens x-prozentige Schuldentilgung pro Jahr erreichen und über zukunftsträchtige, solide aufgestellte, international tätige Unternehmen in mindestens fünf unterschiedlichen Branchen verfügen. Um nicht bei jeder Schwankung der Wirtschaftsleistung wieder in die Bredouille zu kommen.
Messbare Wirkung einer attraktiveren griechischen Wirtschaft müsste demnach eine steigende Exportquote sein. Wobei dies dem ein oder anderen Staat aus kurzfristiger Sicht nicht in den Kram passen dürfte, da sich die Zahlungsströme zu deren Ungunsten verändern würden. (Danke Bettina für diesen Hinweis.) Das allerdings ist eine sehr kurzfristige Betrachtung, wie an den momentanen Zahlungsströmen gen Griechenland unschwer erkannt werden kann.
Grundfeste eines Antikrisenprojekts für notleidende Staaten
Zurück zur Ausgangsfrage: Wie könnte solch ein einnahmeorientiertes Antikrisenprojekt für Griechenland aussehen? Ein entsprechender Projektstrukturplan (PSP; siehe auch „Projekten Struktur geben„), der hier wohl besser ‚Programmstrukturplan‘ heißen sollte, kann nach Suchkorridoren für Marktchancen gegliedert sein. Im Gegensatz zu Maßnahmen der Krisenbewältigung in Unternehmen können dieser allerdings nicht direkt in den Fokus genommen werden, vielmehr gilt es eher Aspekte einer internationalen, schnell wirksamen Art der Wirtschaftsförderung zu identifizieren.
Als Struktur des Projekts schlage ich vor:
- Projektmanagement
- Know-how-Transfer
- Technologie
- Tradition & Identität
- Regionen
- Ansoff
- Finanzierung
- Strukturen & Prozesse
- Projektkommunikation
Diese Elemente definieren letztlich kreative Suchkorridore für Lösungen. Hinter den Überschriften steht jeweils die Frage, welche Ansätze aus dem jeweiligen Suchkorridor tauglich sind, um damit die Ziele zu erreichen? Nach deren konzeptioneller Entwicklung gilt es diese selbstverständlich zu realisieren.
Am Beispiel ‚Tradition & Identität‘ erläutert, könnte dies bedeuten, dass die Besonderheiten der griechischen Tradition und Identität systematisch daraufhin durchforstet werden, ob sich daraus Einnahmequellen generieren lassen könnten. Etwa wo eine Tradition auf einen Trend an anderer Stelle trifft, ergibt sich eine Chance. Oder wo eine griechische Tradition ein Problem an einem anderen Ort der Welt lösen könnte.
Anfangs ist die Möglichkeitsform wichtig, später muss aus ‚könnte‘ ein ‚kann‘ werden. Woraufhin es die Frage zu beantworten gilt, wie daraus konkrete Geschäftsmodelle werden. Anschließend steht die systematische Erschließung dieser Einnahmequellen im Fokus bis hin zur dauerhaften Stabilisierung am Ende des Vorhabens.
Der Phasenplan kann also so umschrieben werden:
- Innensicht & Außenwelt: wo lassen sich vorhandene Ansätze mit externen Entwicklungen verbinden?
- Ansatzentwicklung: wie ließen sich diese Ansätze konkret umsetzen, mit welchem Effekt?
- Geschäftsmodellentwicklung: wie werden aus den Ansätzen konkrete Geschäftsmodelle und welche Unternehmen sind geeignet, diese umzusetzen?
- Dramaturgie: wie sieht die Umsetzung aus und was sind schnell wirksame Sofortmaßnahmen?
- Implementierung
- Verstetigung & Übergabe
Die im PSP aufgeführten Elemente Finanzierung, Strukturen & Prozesse sowie Projektkommunikation sind Hilfsstrukturen, die nötig sind, um die Elemente der Hauptstruktur – die kreativen Suchkorridore – realisieren zu können.
Staatseinnahmen vs. Wirtschaftseinnahmen
Richtig, ich stelle die Einnahmen der Wirtschaft in den Fokus, nicht die Staatseinnahmen. Ich bin der Überzeugung, dass nur eine zukunftsfähige Wirtschaft dauerhaft Einnahmen liefern kann. Woher sollten Staat und Bürger sonst Einkünfte beziehen? Selbst Finanzexperten, wie etwa von Deutsche Bank Research kommen zu demselben Schluss:
„Griechenland, Irland und Portugal brauchen Wachstum, eine Steigerung der Produktivität und mehr Innovationen. In allen drei Ländern gibt es ausgeprägte Schwächen bei der Innovationstätigkeit der Unternehmen. Die Bedingungen für unternehmerische Innovationen würden durch Maßnahmen wie den Aufbau von Technologiezentren, die Verbesserung der Innovationsfinanzierung oder die Entwicklung unternehmerischen Know-Hows verbessert. Es gilt auch, die regionalpolitische Kompetenz in der Verwaltung zu erhöhen. Während Irlands Innovationssystem bereits weit entwickelt ist, ist Portugal im europäischen Ranking der Innovationssysteme im hinteren Mittelfeld zu finden. In Griechenland gibt es für die Entwicklung schnell wachsender Branchen mit hoher Produktivität nur wenige Ansatzpunkte. Die Aufwertung traditioneller Industrie- und Dienstleistungsbranchen hat daher große Bedeutung.“ (aus dem Anschreiben zum EU-Monitor vom 16. November 2011 „Mehr Wachstum durch Innovationen“)
Selbstverständlich müssen diese Einkünfte zu Einnahmen in der Staatskasse führen. Da dies in Griechenland ein weiteres Problem darstellt – glaubt man den Berichten über Korruption, Steuerhinterziehung und ähnlichen Strategien zur Abgabenveremeidung in den Medien – ist es ein zweites Vorhaben, die dafür notwendigen Prozesse auf stabile Beine zu stellen. Wobei nicht wenige behaupten, dass allein dieser Schritt, die dem Staat zustehenden Steuern einzutreiben, einen großen Teil des griechischen Problems zumindest theoretisch lösen würde.
Während für dieses zweite Projekt „Eintreiben der dem Staat zustehenden Einnahmen“ der Staat verantwortlich zeichnet, sehe ich beim Turnaround-Vorhaben die Wirtschaft in der Pflicht. Der Staat kann flankieren, Türen öffnen, Dinge leichter machen. Was er auch tun muss, da er selbst profitiert. Allerdings ist er aus meiner Sicht nur ein Spieler am Tisch unter vielen anderen.
Um für einen Moment das übergeordnete Bild zu beleuchten: insgesamt besteht das griechische Turnaround-Programm aus drei Bausteinen. Erstens den bereits initiierten Bemühungen zur Kostensenkung, zweitens den ebenfalls bereits beschlossenen Maßnahmen zur Einnahmensteigerung des Staates sowie drittens zu dem bisher fehlenden und hier beschriebenen Sanierungsvorhaben. Wobei idealerweise die Einnahmensteigerung des Staates auf Maßnahmen der Steuererhöhung verzichten können sollte, wenn es gelingt, das hier beschriebene Vorhaben schnell in Gang zu bringen. (Auch hier, Bettina, vielen Dank für Deine Anmerkungen!)
Ein Projektleitungsgremium ohne Finanzfachleute und Experten
Ideal wäre aus meiner Sicht ein international besetztes Gremium für die Projektleitung – aber bitte keine vermeintlich fachkundigen Experten oder gar Finanzfachleute. Vielmehr gehören in ein solches Gremium Menschen, die strukturieren können, die in der Lage sind, die richtigen Menschen zusammenzubringen und die Problemlösungskompetenz haben. Querdenker sollten herzlich willkommen sein, wobei ein Teil dieses Teams die Fähigkeit haben sollte, aus Ideen konkrete Ergebnisse zu schaffen.
Die erste Aufgabe dieses Teams muss es sein, das Projekt so zu strukturieren und organisatorisch aufzubauen, dass über das gesamte Land hinweg aus unterschiedlichen Perspektiven und von unterschiedlichen Menschen an der Realisierung der Ziele gearbeitet wird. Impulse gilt es von außen zu generieren, wobei die sozialen Medien eine große Hilfe sein werden. Richtig angezettelt könnte daraus ein gesamteuropäisches Innovationsprojekt werden, das sicherlich auch einen Beitrag zur europäischen Identitätsfindung leisten würde. Eine Art sanfter Revolution für ein besseres Europa.
Bisher allerdings gibt es nur diesen Konzeptansatz. Wobei ich, jetzt da ich das zu Papier gebracht habe, gute Lust hätte, daran tatkräftig mitzuwirken. Sie auch? Dann müssten wir wohl mal überlegen, wie wir an den Auftraggeber eines solchen Projekts herankommen können: die EU.
Würde hierfür nur ein Teil des Rettungsfonds verwendet, wäre dieses Geld eine Investition in die Zukunft. Bisher ist wird es lediglich verwendet, um bereits entstandene Löcher zu stopfen.
Übrigens: erfolgreiche Projekte beginnen mit einer guten Idee!
Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch.
P.S. Das Weiterleiten dieses Artikels ist ausdrücklich erwünscht. Wäre schön, wenn er einen Beitrag leistet für eine bessere Zukunft. Danke!
Weitere Quellen:
- Bestandsaufnahme einfachst, Projektmensch-Blog
- Griechenland, Irland, Portugal: Mehr Wachstum durch Innovationen, DB Research, EU-Monitor, 16. November 2011 (PDF)
- Die fehlenden 15, Projektmensch-Blog
- Ähnlicher Ansatz, jedoch möchte ich nicht auf Fördergelder setzen: „BDI will Griechenland helfen„, euractiv.de, 2. Dezember 2011
- „Mit immer neuen Krediten helfen wir Griechenland nicht„, Walter Bosbach, Deutschlandradio, 24. August 2011
Foto: Gölin Doorneweerd – Swijnenburg, stock.xchng
- managing the project
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- internal view & external environment: Where can existing internal approaches be linked to external developments?
- developing approaches: How would approaches be implemented, what would be the effects of such measures?
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- implementation
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