The Roots Of Agility

Kann man in 150 Tagen einen neuen Düsenjet bauen? Einen echten? Man kann. Wer Agilität verstehen will, sollte sich mit Skunk Works auseinandersetzen.

Mal ehrlich: mir geht das Gehabe um Agilität langsam aber sicher auf den Zeiger. Jeder will derzeit agil sein, agil werden und Agiles liefern. Als handele es sich um eine bahnbrechende Erkenntnis, dass Pläne nicht mit der Realität übereinstimmen. Menschen, die – mit Verlaub – keinen blassen Schimmer haben, wie ein Gantt-Diagramm eingesetzt werden kann, verteufeln das auf einmal und rufen die Iteration als Maß aller Dinge aus. Das ist sehr schade, denn das, was hinter der Mode „Agilität“ steckt, ist wertvoll und rückt durch das Buzzwording in den Hintergrund.

Skunk Works: Schnell mal einen Düsenjet entwickeln

Wer Agilität im Kontext von Organisation wirklich durchdringen will, landet unweigerlich bei Skunk Works. Noch während des zweiten Weltkriegs wurden zu diesem Projekt Prinzipien verfasst, die sehr nützlich sind, wenn man schnell gute Ergebnisse schaffen will. Damals galt es, unter dem Druck des Krieges und dem Druck diesen gewinnen zu müssen, in maximal 150 Tagen einen Düsenjet zu entwickeln und einsatzbereit zu bekommen. Die damals geltenden, bürokratischen Prozesse in der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Staat waren bei weitem nicht geeignet, um das schaffen zu können. Weshalb das Vorhaben gestartet wurde, ohne die Verträge dazu unterzeichnet zu haben.

Man kommt kaum umhin, die Parallelen zum Agilen Manifest zu erkennen. Einer der zentralen Gedanken darin ist es, eine gute Zusammenarbeit der Ausgestaltung von Verträgen vorzuziehen. Was sehr logisch ist, denn der Vertrag liefert keinen Wertbeitrag zum gewünschten Ergebnis. Er regelt letztlich nur ein begleitendes Problem eines Projekts, nämlich wer welches Geld für welche Leistung erhält.

Lieferung des Jets in weniger als 150 Tagen

Die absolute Konzentration auf das Herstellen des benötigten Ergebnisses ist ein weiterer Kerngedanke, der derzeit als „Minimum Viable Product“ (MVP) in den Büchern und Blogs zu finden ist. Geliefert wird das, was benötigt wird und nicht mehr. Warum auch? Dies wiederum setzt voraus, sich darüber im Klaren zu sein, welchen Nutzen das Ergebnis stiften soll. Unter anderem auch durch die Reduzierung auf das Wesentliche gelang es bei Skunk Works bereits nach 143 Tagen (2) zu liefern, was vereinbart war.

Kelly Johnson war es, der den Industriekonzern Lockheed Martin dazu brachte, althergebrachte Wege zu verlassen und neue organisatorische Pfade einzuschlagen. So war es einer seiner weiteren, zentralen Gedanken, aus der Abteilungsstruktur auszubrechen und die Leute für das Projekt auszuleihen, anstatt Arbeit an Fachbereiche zu delegieren. Er versprach sich davon schnellere und effektivere Kommunikation und damit eine reibungsfreiere Zusammenarbeit auf ein gemeinsames Ergebnis hin. Daraus kann man für gutes Ressourcenmanagement lernen, denn im Projekt ist es fatal, neuartige Aufgaben an eine Abteilung zu delegieren. In Scrum wurde dieses Prinzip durch die Entwicklerteams umgesetzt, die im Idealfall räumlich und über die gesamte Laufzeit eines Vorhabens zusammenbleiben.

Wer aufmerksam liest, wie die im Laufe der Zeit als „Skunk Works“ bezeichnete Operationseinheit gestaltet war, wird außerdem feststellen, dass das Herbeiführen von Entscheidungen ein zentrales Element für das Gelingen war. So wurden etwa Einkaufsentscheidungen an das Projektteam abgegeben, was einen weiteren Geschwindigkeitsgewinn mit sich brachte. Inwieweit dadurch tatsächlich Mengeneffekte verloren gegangen sind, wie sie in einer tayloristisch gedachten Organisation gesucht sind, dazu waren zumindest in den mir vorliegenden Quellen keine Aufzeichnungen zu finden. Angesichts des echten Projektcharakters der Aufgabe (hochgradig einmalig und neuartig), des Zugewinns an Geschwindigkeit und der geringeren Prozesskosten darf jedoch bezweifelt werden, dass diese von Bedeutung gewesen sein können.

Wenn jeder weiß, worum es geht und was Grundfeste des Handelns sind, kann er selbst zielführend handeln

Johnson nutzte ein ganzes Set an organisatorischen Prinzipien, die Guideline für alle Beteiligten waren. So ordnete er etwa an, dass, wo möglich, Visualisierungen als Skizzen oder Zeichnungen genutzt werden sollen, und dass „everything possible will be done to save time in accomplishing the ultimative result.“ (1) Letzterer Punkt eine Arbeitsanweisung, die Gestaltungsraum lässt und gleichzeitig klar macht, um was es am Ende geht, was Vorrang hat. Darüber hinaus gab es auch das Produkt betreffende Aussagen, wie etwa, dass nach Möglichkeit keine Sonderanfertigungen verwendet werden sollten, die zum einen Risiken reduzierten und darüber hinaus als Vorratsentscheidung dazu beitrugen, den Aufwand für Abstimmungsprozesse zu minimieren.

Diese und weitere Gedanken sind lange bekannt und gut dokumentiert. Vielleicht kann die Diskussion um Agilität dazu beitragen, diese wieder ins Bewusstsein zu rücken. Ich fürchte allerdings, dass die stetige Wiederholung der Buzzwords und das so häufige Nachbeten dessen, was ein anderer „Evangelist“ irgendwo von sich gegeben hat, eher dazu führen wird, dass wir wieder nicht verstehen, um was es eigentlich geht.

Johnson hat seine Grundgedanken und seine Einstellung zu einem stimmigen organisatorischen System kombiniert. In seiner individuellen Situation. Das wiederum ist es, was gute Organisation ausmacht. Eine stimmige Organisation ist das Ergebnis eines kreativen Akts, ist Komposition. Das Handeln der Beteiligten drückt sich in einer eigenen Kultur aus, oder umgekehrt: die spezielle Kultur drückt sich im Handeln der Akteure aus. Das simple Kopieren organisatorischer Schemata vermeintlich kluger Köpfe ist das Gegenteil von dem, was Agilität ausmacht. Denkt selbst, bitte!

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

P.S: „Skunk Works“ ist heute ein eingetragenes Warenzeichen der Lockheed Martin Corporation


Weitere Quellen:

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Ein Kommentar bei „The Roots Of Agility“

  1. Dass Modewörter bei übermäßiger Verwendung Übelkeit verursachen, das finde ich ein Phänomen, das nicht nur Agilität betrifft. Big Data, Achtsamkeit, Künstliche Intelligenz, usw. Mit diesen Konzepten verhält es sich ja ähnlich. Ich arbeite gerne agil (ohne deswegen traditionelles Projektmanagement zu verachten), interessiere mich für KI und kann mir vorstellen, dass auch achtsames Leben schön und sinnvoll sein kann. Aber man traut sich echt kaum noch, laut über diese Dinge zu reden…„Dank“ dafür geht an die lieben, oberflächlichen Marketing-Apostel!

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