Gut geimpft: Update für Staatsprojekte.

Wie beenden wir die Staatsstümperei? Ein Vorschlag.

„Risiken? Keine. Ich habe alle so gut geplant, da sind keine Risiken mehr drin.“ Dieser Satz zu einem öffentlichen Brückenbauprojekt steht für mich sinnbildlich dafür, wie der Staat tickt, wenn es um Projekte und die Bürger geht. Impfkampagne, Corona-App, Bildung, BER: stets dasselbe Muster. Wir, unser Staat, haben die Fähigkeit verloren, die Zukunft zu gestalten, Probleme systematisch zu lösen und das Neue zu formen.

Was denken Sie, wie lange es gedauert hat, bis beim vermeintlich risikofreien Brückenbauprojekt die ersten Risiken eingetreten sind? Bereits nach wenigen Wochen war die erste Unwägbarkeit auf dem Tisch. Betroffen davon, dass das Projekt teurer werden und länger dauern wird? Steuerzahler, Anwohner und Unternehmer. Für den Bauleiter selbst sind sowohl Verteuerung wie auch Verlängerung im großen Ganzen folgenlos. “Ist halt so. Kann man bei einem Bauprojekt nichts machen!“ höre ich da schon die verschiedenen Beteiligten sagen. Welch Unfug.

Es war ein schöner Sommerabend im Juli 2020. Unternehmer hatten sich in einem gut belüfteten Nebensaal eines traditionsreichen Gasthauses getroffen, um sich über das anstehende Brückenbauprojekt zu erkundigen. Und welche Auswirkungen es auf ihre Unternehmen haben würde. Zwei Jahre waren für die Straßensperrung angesetzt worden. Den Einzelhändlern war angst und bange.

An eben diesem Abend hatte ich dem Bauleiter des Regierungspräsidiums die Frage gestellt, was die bedeutendsten Risiken des Projekts seien. Die Antwort, es gäbe keine Risiken mehr, erinnerte mich spontan an den Berliner Flughafen. Eine solche Aussage ist, mit Verlaub, hanebüchen und unverantwortlich. Mit dieser Haltung ein öffentliches Projekt zu leiten ist der Anfang von Staatsstümperei.

Wer Projekte in diesem Selbstverständnis macht, dem muss ich unterstellen, dass ihm egal ist, was mit den davon abhängigen Menschen geschieht. Von der Dauer der Straßensperrung hängen Entwicklung von Stadt, Unternehmen und Arbeitsplätzen ab.

Bereits heute ist klar, kein Jahr nach diesem Treffen im Sommer, dass die Bauzeit länger werden wird. Aus 2024 als Fertigstellungstermin wurde nun 2025. Weitere Risiken sind inzwischen eingetreten. Ich hätte an diesem besagten Abend eine Wette abschließen sollen. Diese Entwicklung war absehbar. Wer versteht, was Projekte sind und wie Projekte gelingen, der weiß, das mit einer solchen Haltung ein Projekt nicht gelingen kann.

Staatliche Projekte zeigen ein fatales Muster

Ich möchte keine Illusion wecken: Projekte, bei denen es schließlich immer darum geht, etwas Neues zu schaffen, bringen immer Unwägbarkeiten mit sich. Kein Projekt läuft glatt. Änderungen, Überraschungen, Erkenntnisgewinn sind erwartbar. Also muss ich als Projektleiter ein System der Zusammenarbeit bauen, das ein Projektteam in die Lage versetzt, mit diesen Effekten möglichst elegant und konstruktiv umgehen zu können.

… eine Milliarde Pfund unter Budget …

Das gelingt beispielsweise, indem man Risiken analysiert und einschätzt, um sie nach Möglichkeit zu vermeiden oder sich mindestens zu wappnen. Spätestens seit Klaus Grewe und Team die Infrastruktur für die Olympiade in London 2012 rund eine Milliarde Pfund unter Budget und Monate vor der Deadline geliefert hatten, ist das kein Geheimnis mehr. Es gilt, ehrlich und offen mit potenziellen Unwägbarkeiten umzugehen.

Staatliche Projekte allerdings zeigen ein ganz anderes Muster, das den häufigen Misserfolg erklärt. Das beginnt schon damit, das der Auftrag in die falsche Richtung leitet. Etwa bei der Corona-Warn-App. Dazu wurde verkündet, dass eine App eingeführt werden sollte, anstatt ein Infektionskettenunterbrechungssystem zu bauen.

Den Unterschied haben wir alle deutlich vor Augen geführt bekommen. Bei letzterem Auftrag wären auch die Gesundheitsämter in das Gesamtsystem integriert worden. Bei ersterem Auftrag, nur eine App zu bauen, sind sie außen vor. Wer die Medienberichte verfolgt hat, weiß, dass leider die zweite Variante gewählt wurde.

Den „richtigen“ Auftrag zu formulieren, das ist Handwerk, keine Raketenwissenschaft. Wie so viele Dinge im Projektmanagement solides Handwerk sind. Die Kunst liegt darin, dieses Handwerkszeug auch anzuwenden.

Nach dem falschen Auftrag kommt schnell der zweite fatale Fehler: der falsche Auftrag wird an eine bestehende staatliche Einheit delegiert, etwa ein Ministerium. Ein Ministerium handelt als Ministerium im Rahmen seines Zuständigkeitsbereichs. Andere Ministerien verwehren sich gar einer Eimischung in die eigene Kompetenz. So werden Silos zementiert.

Gebraucht wird bei einem Projekt jedoch genau das Gegenteil: übergreifende, interdisziplinäre Zusammenarbeit über Grenzen von Ministerien, Ämtern, Ländern sowie Fachgebiete und andere Organisationen hinweg.

Nehmen wir Zukunft der Bildung als ein weiteres Beispiel: Wer muss zusammenarbeiten, damit wir die Bildungslandschaft fit für die Zukunft machen? Das Kultusministerium, ja, und dazu Lehrer, die Schulträger, etwa Stadtverwaltungen, Didaktik-Profis, die Schulbuchverlage, IT-Experten, Rektoren, Schulamt. Um eine Auswahl zu nennen.

Wo wird versucht, die Bildung zu reformieren? Allein im Kultusministerium.

Lassen Sie mich eine Prognose wagen: da kommt nichts wirklich Gutes dabei raus. Das alleine schon, weil die anderen Mitstreiter auf diesem Wege viel zu spät mitbekommen, was sich das Ministerium ausgedacht hat. Selbst wenn sie dann alle Befindlichkeiten ausklammern können und einen guten Job machen wollen, werden sie allein aufgrund der späten Information nicht liefern können, was nötig ist. Wird ein neuer Lehrplan veröffentlicht und die Schulen haben die Geräte dazu nicht, führt das zum Verriss. Verständlicherweise. Ganz abgesehen davon, dass die Macher auf diesem Wege Akzeptanzschwierigkeiten geradezu programmieren.

Dazu kommt noch der Fakt, dass eine einzelne Organisationseinheit wie ein Ministerium niemals alle notwendigen Aufgabenpakete identifizieren kann. Es fehlt schlicht das Wissen. Deshalb werden eigentlich von Beginn an sichtbare Aufgabenpakete zu spät erkannt, Druck entsteht und es muss schnell nachgearbeitet werden. Wieder landen wir am Ende bei Staatsstümperei: schlechte Ergebnisse, schlechte Stimmung.

Wer Projekte gelingen lassen will, muss die Komplizen von Anfang an an einen Tisch bringen und gemeinsam überlegen, wie man abgestimmt vorgehen will. Muss gemeinsam festlegen, was genau die Ziele sind, was die Roadmap dorthin, wer welche Verantwortung übernimmt und wie sich die Mitstreiter synchronisieren. Gemeinsam!

Fehler? Haben wir hier nicht!

Nun kommt den Projekten auch noch der Umgang mit Fehlern in die Quere. „Bloß nicht zugeben!“ So werden Lernen und Bessermachen schwierig. Anstatt systematisch Risikoanalysen und Retrospektiven einzubauen, Fehler früh zu erkennen und zu beseitigen, werden selbst noch offensichtliche Fehleinschätzungen lieber im Nachhinein schön argumentiert. Das kostet nur unnötig Energie, die für die Prävention und die offene Fehlerkorrektur besser investiert wäre.

Grollbürger

Sascha Lobo, spiegel.de

Wenn ein entsprechendes Statement in den Medien höre, merke ich an mir, dass mir die Hutschnur platzt. Dabei werde ich doch üblicherweise als jemand beschrieben, der auch dann noch ruhig bleibt, wenn die Dinge wirklich schwierig sind. Da kann man wirklich zum Grollbürger werden, wie uns Sascha Lobo auf spiegel.de treffenderweise bezeichnet hat.

Ich will keine Politiker und Staatsangestellten, die so tun, als wären sie die perfekten Maschinen. Ich will Menschen, die sich der Aufgabe stellen und dafür sorgen, dass das notwendige Ergebnis auf die Beine gestellt wird. Wie ich auch in meinem Unternehmen keine Schönredner:innnen als Projektleiter:innen will, sondern Menschen, die den Dingen ehrlich ins Gesicht schauen und tun, was nötig ist, um eine Sache gelingen zu lassen.

„Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“ Da geht was daneben, da läuft was schief, da hat „man“ eine falsche Einschätzung. Das ist normal. Darauf muss ich mich einstellen. Also bitte in der Kommunikation nach außen niemals um den heißen Brei herumreden. Das sorgt lediglich für Unmut und schwindende Akzeptanz. Auch das ist Handwerkszeug, keine Raketenwissenschaft.

Ich erwarte in einem Projekt, dass die Macher aus Schwierigkeiten und Fehlern lernen und die Dinge besser machen. Ich erwarte das nicht für mich, weil ich Groll hege, sondern weil ein solches Herangehen die Vorhaben gelingen lässt. Denn der ehrliche und schonungslose Umgang mit allem, um daraus dann das Beste zu machen, ist eine wichtige Haltung, die Projekte erfolgreich macht. Das habe ich in über 25 Jahren des Projekte-Machens immer wieder beobachtet.

Ein konkreter Vorschlag: interdisziplinäre Projektteams plus parlamentarische Kontrolle

Wir brauchen interdisziplinäre Teams, um das Neue auf die Beine zu stellen und neuartige Probleme effektiv zu lösen. Am Beispiel der Impfkampagne: Beauftragen wir doch eine:n Projektleiter:in mit dem Mandat, 80 Prozent der Bevölkerung bis zu den Sommerferien geimpft zu haben. Der Auftrag kommt vom Parlament, das in die Rolle des Lenkungsgremiums schlüpft. Der Kanzleramtsminister übernimmt die Rolle des Auftraggebers und Sponsors.

Die Projektleitung soll als erstes die dafür nötigen Komplizen an Bord holen. Wen auch immer sie dafür braucht. Dieses Team soll anschließend die zu erledigenden Aufgaben identifizieren, strukturieren und aufteilen.

Dann geht es wieder ins Parlament, um sich – demokratisch legitimiert – die notwendigen Befugnisse, Richtungsvorgaben und die Finanzierung zu holen, die nötig sind, um die geplanten Maßnahmen umzusetzen. Wobei es hier nicht um Lösungen geht, sondern um die Arbeitsschritte, die unternommen werden müssen, um Lösungen auf die Beine zu stellen.

Sobald sie entsprechend ausgestattet ist, startet diese Komplizenschaft, die Dinge in Gang zu bringen. Sie ist dabei stets in Abstimmung untereinander. An Kabinett und Parlament wird regelmäßig berichtet, so dass die Demokratie ihre Rolle als Aufsicht ausüben kann.

Das Projektteam, die Task-Force, arbeitet ansonsten selbstorganisiert, sorgt für Vortrieb, für Problemlösung und dafür, dass die Einzelergebnisse im Sinne des großen Ganzen zusammenpassen.

Das drückt sich ganz konkret in operativer Qualität aus. Ein Beispiel aus den vergangenen Wochen: Wenn mehr Impfstoff pro Ampulle genutzt wird, werden dann entsprechend mehr Spritzen bereitgestellt. Das gelingt, weil die Kommunikation direkt ist und funktioniert. So kann man auch in 150 Tagen ein neues Düsenflugzeug flugfertig entwickeln, wenn man will. Die Sache mit den Spritzen hatte der Staat bei der Impfkampagne verbummelt, was aber gerade mal noch gut gegangen ist.

Sorry: ausgerechnet “Great Britain“ als Vorbild

Ausgerechnet Großbritannien macht uns aktuell vor, was eine solche “Task-Force“ an Ergebnissen bewirken kann: als „Großbritanniens Impfkönigin“ hat der Spiegel Kate Bingham bezeichnet, die durch ihren „Sonderweg“ dafür gesorgt hat, dass die Briten beim Impfen die Nase vorn haben. Sie hatte die Task-Force der dortigen Impfkampagne geleitet.

Anfang März waren bereits über 30 Prozent (Stand 3. März, spiegel.de) der Briten erstmals geimpft, während bei uns keine sechs Prozent (Stand: 5. März, spiegel.de) die Erstimpfung erhalten hatten. Selbst wenn die Briten die Zweitimpfung im selben Muster wie wir durchführen würden, wären sie uns in Sachen Immunität noch um Längen voraus.

Nun können Sie argumentieren, dass wir auf Europa warten mussten. Womit Sie richtig liegen. Doch auch auf dieser Ebene hätte der Auftrag an ein Projektteam plus parlamentarische Kontrolle funktioniert.

Das Denken in Projekten, als zeitlich begrenzte, interdisziplinäre, übergreifende Organisationsform zur Lösung eines spezifischen Problems, kann uns als Gesellschaft noch sehr nützlich sein. Denken wir nur mal die Klimakrise.

Die Impfkampagne können wir so beschleunigen und aus der leidigen App endlich ein Infektionskettenunterbrechungssystem machen.

Das in diesem Artikel beschriebene Vorgehen können wir überall anwenden: Welt, Europa, Bund, Land, Regierungsbezirk, Landkreis, Kommune. So können unterschiedlichste Disziplinen und Institutionen gemeinsame Sache machen, einen Coup landen. Damit bringen wir den freiberuflichen Nachwuchs-Nerd mit dem langjährigen Hochschulprofessor an einen Tisch, um deren Know-how zusammenzubringen und so neuartige Lösungen für ein Problem zu schaffen. Das Know-how der Beteiligten ist wichtig für die Problemlösung, nicht deren Stelle oder übliche Zuständigkeit.


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Im Bereich „Zukunft der Bildung“ sollte die Konferenz der Kultusminister ein solches Team beauftragen, bei der Digitalisierung bitte ein Vorgehen nach demselben Prinzip. Die Impfkampagne können wir so beschleunigen und aus der leidigen App endlich ein Infektionskettenunterbrechungssystem machen. Den Auftrag, dafür einen schöneren Titel zu finden, geben wir gleich mit auf den Weg.

Wenn nötig, kann das Kanzleramtsministerium als rechtliche Heimat fungieren, um dann darüber beispielsweise anfallende Rechnungen zu bezahlen. Aber bitte nur als rechtliche Heimat, nicht als Instanz mit Weisungsbefugnis.

Insgesamt fällt mir immer wieder auf, dass wir den Wert und den Nutzen guter Organisation und unterschiedlicher Organisationsformen unterschätzen. Wir diskutieren lieber über den Preis für den Impfstoff, als dafür zu sorgen, dass alle notwendigen Dinge gut organisiert auf den Weg gebracht werden. Wer die passende Organisationsform wählt, der tut sich leichter. Wer dann noch das Handwerkzeug nutzt, gewinnt.

Allerdings halten zu viele Menschen dieses Bandherde-Löschen für den unvermeidbaren Normalzustand.

Wer schon mal eine größere Sache organisiert hat und dabei stets bemüht war, Brandherde zu bekämpfen, weiß um den Wert guter Organisation. Allerdings halten zu viele Menschen dieses Bandherde-Löschen für den unvermeidbaren Normalzustand. Ein fataler, teurer und im Falle von Corona-App und Impfkampagne lebensbedrohlicher Irrtum.

Gute Organisation sorgt dafür, dass die Experten reibungsfrei Hand in Hand Ergebnisse schaffen können. Darum muss sich jemand kümmern.

Wie sich Minister wieder auf Ministerien verlassen können

Wenn wir Politiker dieser Misere beschuldigen, dann beschuldigen wir die Falschen. Ja, ich wünsche mir, dass sich ein Helge Braun als Kanzleramtsminister oder ein Jens Spahn* als Gesundheitsminister besser mit solchen organisatorischen Dingen auskennen würden. Das würde uns viel Ärger ersparen. Doch ist das wirklich deren Aufgabe? Der gute Auftrag, der muss von ihnen formuliert werden. Ja. Danach sind andere in der Bütt.

Die Verantwortung für den richtigen organisatorischen Unterbau liegt in den Führungsebenen der Ministerien. Wieso kennt sich dort scheinbar niemand damit aus, wie „man“ Projekte erfolgreich organisiert? Wo ist in diesen Ministerien die Projektkompetenz? Daran müssen wir dringend arbeiten, damit sich Minister wieder auf ihre Ministerien verlassen können.
Das allerdings bringt ein Problem mit sich, das sich auf den ersten Blick nur durch einen regelmäßigen Umbau aus der Welt schaffen lässt: den Drang einer Struktur, einer Organisationseinheit hin zu Größe und Macht. Selbsterhaltung ist das oberste Anliegen eines solchen Organismus.
Alternativ wir bauen die Projektkompetenz bei einem Ministerium auf, das dann in Sonderlagen immer mit diesen Querschnittsaufgaben betraut wird. Die beteiligten Ministerien entsenden Mitarbeiter als Komplizen für ein solches übergreifendes Team.

Projekte sind nie effizient. Wo wir das Neue angehen, können wir nicht vorher wissen, was geschehen wird, können nur schwerlich bestehende Routinen nutzen.

Von außen betrachtet würde ich die Strukturen der deutschen Ämter an vielen Stellen bestenfalls als verkrustet bezeichnen. Die Abläufe sind eingespielt, auf Effizienz getrimmt. Da ist das Neue keine Überraschung, keine Herausforderung, sondern eine Störung. Dass die Beratungsaufträge der vergangenen Jahre dieses Trimmen auf Effizienz zusätzlich beflügelt haben, ist dann, wenn wir effektive Problemlösung brauchen, kontraproduktiv.

Projekte sind nie effizient. Wo wir das Neue angehen, können wir nicht vorher wissen, was geschehen wird, können nur schwerlich bestehende Routinen nutzen. Wir müssen überhaupt Lösungen finden. Wobei ich nochmals erwähnen möchte: Es geht mir um die Organisationsform „Projekt“, mit der Neues entsteht. Umgangssprachlich verwenden wir den Begriff „Projekt“ für viele Dinge, die keine Projekte in diesem Sinne sind.
Obwohl das Neue immer Unbekanntes mit sich bringt, bedeutet das keinesfalls, dass wir planlos vorgehen sollten. Im Gegenteil: Planung, verstanden als gedankliches Durchdringen eines Vorhabens unter Zuhilfenahme von Papier und Stift, kann Wunder wirken. Planvolles Vorgehen ist unverzichtbar. Man erkennt Engpässe und Probleme, bevor sie entstehen, kann so antizipieren, kommt in die Vorausschaukoordination.

Dieser sperrige Begriff kennzeichnet gute Projektarbeit, beschreibt den Zustand, wenn die Projektleitung der tatsächlichen Arbeit gedanklich stets ein Stück voraus ist. Damit sorgt die Projektleitung dafür, dass die Dinge Hand in Hand gehen, dass besprochen wird, was besprochen werden muss, und die Arbeit fokussiert bleibt, auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet.

Verantwortung für das ganze Ergebnis

Bleibt mir am Ende noch eine delikate Angelegenheit, vielleicht eine bösartige Unterstellung, die sich am Beispiel des eingangs zitierten Bauleiters gut beschreiben lässt.

Was macht ein Bauleiter gerne? Ich unterstelle, dass er gerne baut. Deshalb hat er diesen Beruf ergriffen. Wenn also eine Baustelle länger dauert, knifflige Aufgaben mit sich bringt, kommt ihm das im Zweifel persönlich entgegen.

Echte Projektleitung allerdings braucht Verantwortung für das komplette Ergebnis.

Sicherlich nagen Gewissensbisse, weil wohl kein Bauleiter der Welt die Nutzer von Bauwerken mit einer absichtlich langen Bauzeit ärgern will. Allerdings will er auch nicht für Pfusch am Bau geradestehen müssen. „Sicherheit geht vor!“ Dem will ich keinesfalls widersprechen. Dafür ist der Bauleiter verantwortlich: dass das Bauwerk hält, was es verspricht.

Was passiert, wenn der Bau länger dauert? Was geschieht, wenn das Bauwerk teurer wird? Nichts. Zumindest nicht bei den Verantwortlichen. Ein paar unbequeme Gespräche vielleicht, Bürgerprotest. Doch als Konsequenzen würde ich das nicht bezeichnen.

Echte Projektleitung allerdings braucht Verantwortung für das komplette Ergebnis. Dazu gehören neben dem zu liefernden „Produkt“, in diesem Beispiel der Brücke samt Anbindung, auch Zeit und Kosten. Nur wo jemand verantwortlich ist, kann sie oder er seiner Verantwortung gerecht werden.
Womit ich zum vielleicht bösartigen Teil meiner Unterstellung komme: Wäre der Bauleiter wirklich verantwortlich für die Brücke samt deren Kosten und Liefertermin, hätte er mir nicht erzählt, es gäbe keine Risiken. Er hätte mich an diesem einen Sommerabend gefragt, welche ich sehe, um so die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, seiner Verantwortung gerecht zu werden.

Dieses Interesse habe ich in diesem Moment nicht gespürt. Im Gegenteil, es sah mir fast ein bisschen so aus, als würde er müde lächeln über diese Frage eines scheinbaren Nicht-Profis. „Was will der da, der kleine Mann, der keine Ahnung hat von meinen Projekten?“

Naja. Vielleicht habe ich die Botschaft lediglich auf dem falschen Ohr interpretiert, reagiere emotional. Wie ich vielleicht auch das immergleiche Nicht-Nachfragen der Politiker auf Vorschläge von außen auf dem falschen Ohr wahrnehme.

Oder ist es doch Hochmut der Gewählten und des Staatsapparats? Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Ich hoffe für uns alle, dass wir nicht zu tief fallen.

Gerne bin ich bereit, mich einzubringen, Rede und Antwort zu stehen zu dem, was ich hier schreibe. Es ist Zeit für ein Update.

Ihr
Holger Zimmermann
Inhaber & Geschäftsführer von Projektmensch
Interessierter Bürger dieses Landes

Zum Hintergrund:
Ich bin seit 1997 Unternehmer und beschäftige mich seither ausschließlich damit, wie Projekte gelingen. Viele unserer Kunden sind größere mittelständische Unternehmen. Im Rahmen unserer Arbeit begleiten wir auch staatliche Institutionen beim Aufbau von Projektkompetenz. Deshalb weiß ich, wie schwer sich die Akteure in diesen Strukturen tun und ich zolle all denen meinen größten Respekt, die auf diese Problematik aufmerksam machen und versuchen, die Dinge zum Guten zu wenden. Darüber hinaus hatte und habe ich die Gelegenheit im Rahmen unserer Arbeit, gewählte Politiker auf verschiedenen Ebenen zu unterstützen, was meinen Blick durch eine weitere Perspektive anreichert. Wie ich Gremienarbeit aus eigener Erfahrung als Stadtrat kenne, Projekte an Schulen durchgeführt habe, Mitgründer eines Think-Tanks zur Entwicklung des ländlichen Raums bin sowie Erfahrung mit gesellschaftlichen Projekten sowohl beruflich wie auch im Ehrenamt mitbringe. Wenn ich dann noch verrate, dass ich dazu noch das Innenleben von Schulbuchverlagen kenne, wird das Bild komplett, das ich auf öffentliche Projekte gewinnen konnte. Sämtliche Gedanken in diesem Text basieren auf den Erkenntnissen, die ich auf diesem Wege gewonnen habe.

* Nachtrag vom 19. März 2021:

Wenn ich die aktuelle Berichterstattung etwa der Süddeutschen Zeitung zur Maskenverteilung über Apotheken verfolge, war ich in diesem Punkt wohl zu optimistisch. Zur Kompetenz eines Ministers sollte es mindestens gehören, die Ratschläge seines Ministeriums einordnen zu können. Das ist kein Wunsch, das ist ein Muss für die oberste Führungskraft jeder Organisation.

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