Ich weiß, dass die meisten Projektmanagement-Standards in Schubladen verstauben. Trotzdem bin ich ein Fan davon, Projektabläufe zu standardisieren. Allerdings nicht als Gängelinstrument, sondern als Hilfsmittel für alle Beteiligten. Wer Projektmanagement-Standards geschickt anlegt, spart damit allen Beteiligten die Zeit, Vorgehensweisen und Instrumente neu verhandeln zu müssen. Wobei ich Projektmanagement, oder besser Projektführung, als Dienstleistung für gute Zusammenarbeit verstehe und wenig von Stage-Gate-Prozessen halte, die versuchen, Projekte in ein Korsett zu pressen, das zehn Nummern zu klein ist. Hier ein paar meiner Erkenntnisse aus über 20 Jahren Erfahrung im Praxistransfer von Projektmanagement.
Mit oder ohne Standard: Projekte brauchen Könner
Ohne gute Projektleiter geht es nicht. Der beste Projektmanagement-Standard taugt nicht, wenn es nicht die Menschen gibt, die in der Lage sind, die Zusammenarbeit in Projekten zu organisieren. Herausragende Projektleiter sind selten und wenn man einen findet, dann bringt dieser Mensch meist sehr viel Erfahrung aus verschiedensten Projekten mit. Die wirklich guten Projektleiter brauchen keinen Standard, denn sie sind in der Lage, auch auf der grünen Wiese ein Projektteam zu guter Zusammenarbeit zu bringen. Trotzdem kann ein etablierter Projektmanagement-Standard auch diesen Menschen von Nutzen sein, denn sie sparen sich die Zeit und den Aufwand, ihre Vorgehensweise den Beteiligten erklären und mit diesen vereinbaren zu müssen.
Gleichzeitig hilft ein guter Projektmanagement-Standard einem Unternehmen, indem er jüngere und unerfahrenere Kollegen dazu dient, auch Projekte, die eigentlich noch eine Nummer zu groß sind, mit mehr Orientierung anzugehen. So werden sie leichter zu guten Projektleitern, der Standard liefert Anleitung und Hilfestellung. Wobei ein Standard darüber hinaus auch sprachliche Dinge regelt und so den Austausch unter Projektleiter-Kollegen und über Projektgrenzen hinweg erleichtert.
Projektmanagement-Standard ja, Projektmanagement-Prozess nein
Die Versuchung liegt nahe, sämtliche Projektabläufe in einen Routineprozess gießen zu wollen. Davon halte ich nichts bis wenig. Wobei ich von echten Projekten spreche, Pioniervorhaben, in denen Innovationen im Fokus stehen, in denen wirklich Neues geschaffen werden soll. Dazu zähle ich auch Projekte der Organisationsentwicklung, denn dabei gilt es ebenfalls Neues zu generieren und das nicht zu wenig. (Eine Kategorie von Projekten, die meist unterschätzt wird. Das nebenbei bemerkt.)
Solche Vorhaben lassen sich nicht in Schablonen gießen. Inhaltlich auf keinen Fall, in der Vorgehensweise nur bedingt. Weshalb ein Projektmanagement-Prozess als starre Vorgabe nicht funktionieren kann, im Gegenteil, er nimmt den treibenden Kräften die Verantwortung für das Ergebnis und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Einhaltung von Vorgehensweisen. Ein Standard dagegen, als prinzipiell bewährtes Vorgehensmodell gedacht, lässt den Freiraum, ein Projekt zu gestalten und liefert dafür nützliche Muster fürs Vorgehen. Einen Standard kann ich einhalten, muss ich jedoch nicht. Die Abweichung von einem Prozess dagegen ist nicht erlaubt.
Unabdingbar: Projektmanagement-Standards als Hilfsmittel denken
Welchen Nutzen Standards haben, erkennen wir immer dann, wenn wir den Netzstecker eines elektronischen Geräts in eine Steckdose stecken. Zwei Standard-Stecker gibt es in Deutschland für haushaltsübliche Anwendungen. Damit kann ich jedes für Deutschland gebaute Gerät mit Strom versorgen. Was nach dem Stecker kommt, bleibt vollkommen dem Hersteller überlassen. Ich muss diese Stecker auch nicht nutzen. So kann ich, wie vielerorts üblich, meine Lampen direkt mit einem Kabel an die Stromversorgung anklemmen. Was manchmal Sinn macht, da ich Deckenlampen beispielsweise selten ausstecke, manchmal aber auch nicht sinnvoll ist, etwa bei einer Stehlampe in der Ecke, die ich eventuell bewegen will.
Der Standard hilft mir, nicht jedes Mal neu aushandeln zu müssen, wie mein neues Gerät an die Stromversorgung angeschlossen wird. Das spart allen Beteiligten Mühe, macht uns produktiver. Wir können unsere Zeit darauf verwenden, als Hersteller ein gutes Gerät zu liefern und als Nutzer das Gerät sinnvoll einzusetzen. Und genau das ist der Sinn von Projektmanagement-Standards: sie sollen uns helfen, möglichst viel Zeit auf produktive Arbeit, auf die Herstellung des vereinbarten Ergebnisses verwenden zu können. Entsprechend muss ein Standard Abkürzungen liefern, die Projektleiter verwenden können, jedoch nicht müssen. Denn Projekte sind komplex, mit Überraschungen und Abweichungen muss gerechnet werden.
Die Zusammenarbeit von Menschen folgt universellen Mustern
Eine Sache haben mich die 20 Jahre als Projektmensch außerdem gelehrt: wo Menschen zusammenarbeiten, müssen jedes Mal wieder dieselben Fragen beantwortet werden. Wenn wir gemeinsam mit anderen an eine neue Aufgabe herangehen, fragen wir uns stets, worum es eigentlich geht, was bei der Sache herauskommen soll, was zu tun ist und wer sich um was kümmern wird. Auch wollen wir wissen, woher wir Informationen bekommen und wie Entscheidungen getroffen werden. Diese Fragen (und ein paar weitere) sind universell, in jedem Projekt gleich. Und genau diese Erkenntnis liefert den Ansatz für standardisierte Hilfsmittel. Ein nützlicher Projektmanagement-Standard hilft allen Beteiligten, diese Fragen systematisch und mit wenig Aufwand zu beantworten.
Diese Muster, und das ist besonders spannend, finden sich über die verschiedensten Projektmanagement-Denkschulen hinweg. Ob Scrum oder PRINCE2, ob Kanban oder GPM, schaut man hinter die Kulissen, gilt es immer dieselben Fragen einer Klärung zuzuführen. Wobei das Ergebnis guter Projektführung eben darin besteht, Klarheit bei allen Beteiligten zu schaffen.
Zwei bewährte Vorgehensweisen zur Einführung, beide hochgradig agil
Wer Projektmanagement-Standards einführen will, tut gut daran, sich ein klares Bild davon zu verschaffen, welchen Nutzen er sich am Ende davon verspricht. Für mich liefert gute Projektführung dreierlei: zum einen macht gute Projektführung die Zusammenarbeit immer dann produktiv, wenn es gilt, Neues auf die Beine zu stellen. Außerdem macht sie, ein schöner Nebeneffekt, der immer Eintritt, den Beteiligten das Leben und Arbeiten leichter und angenehmer. Und zum Dritten versetzt sie Unternehmen überhaupt erst in die Lage, wirklich Neues zu schaffen, wirklich innovativ sein zu können. Worauf der Schwerpunkt dann konkret liegen soll, das gilt es zu Beginn einer Einführung unbedingt zu klären. Sonst wird die Priorisierung und Auswahl der Muster und Projektmanagement-Elemente beliebig.
Im Fokus muss bei einer solchen Einführung zwingend die Anwendung der Standards stehen. Das schönste Projektmanagement-Handbuch nützt nichts, wenn es in der Schublade bleibt. Lieber habe ich ein einzelnes Werkzeug in zehn Projekten in Anwendung und profitiere davon, als dass ich einen Prozess für alle Unternehmensbereiche verabschiedet, jedoch noch keine praktische Wirkung habe. Was schon viel über die grundsätzliche Vorgehensweise verrät: agile Denkmuster passen zu Projekten der Organisationsentwicklung am besten. So auch hier. Man könnte den Ansatz mit „Bewährtes schnell in die Breite tragen, lernen und anpassen“ überschreiben. Nicht die konzeptionelle Arbeit steht für die Komplizen im Vordergrund ihrer Arbeit, sondern das Anwenden in echten Projekten, schnelles Feedback und eine schnelle Anpassung, falls nötig.
Zwei Ansätze haben sich in unserer Praxis dabei bestens bewährt: der eine hat tatsächlich zum Ziel, eine Art Leitfaden oder eine dokumentiere Projektmanagement-Toolbox zu liefern. Allerdings nur als Nachschlagewerk dessen, was in der Praxis tatsächlich Verwendung findet. Die Erstellung beginnt dabei mit einer ersten Version einer solchen Toolbox, dem Minimum Viable Product, das bereits einen Nutzen stiftet, jedoch noch lange nicht alle möglichen Felder abdeckt. Die Dokumentation ist quasi das Nebenprodukt, das die Erkenntnisse aus der Praxis beschreibt, um sie so etwa neuen Kollegen möglichst leicht erklären zu können. Aufgeschrieben wird jedoch nur, was sich in der praktischen Anwendung bereits als nützlich erwiesen hat. Auf dem Weg zu einer zweiten Version werden weitere Elemente ergänzt und bestehende bei Bedarf angepasst oder gar wieder gestrichen.
Beim zweiten Ansatz ist die Dokumentation ebenfalls das Nebenprodukt der eigentlichen Arbeit. Wer sich nicht gleich aufmachen will, ein Team damit zu beauftragen, Projektmanagement-Standards im Unternehmen zu etablieren, kann mit der Veränderung auch beginnen, indem er eine (speziell gestaltete) Projektleiter-Ausbildung startet. Diese darf jedoch kein Monolog-Programm sein, sondern muss ebenfalls auf die Anwendung von Methoden und den damit verbundenen Erkenntnisgewinn abzielen. Es gilt Projektmanagement-Instrumente in die Projekte zu tragen. Was sich dabei als dienlich erweist, wird festgehalten.
Unsere Erfahrung zeigt: der persönliche Projekt-Leitfaden, den die Teilnehmer am Ende einer solchen Weiterbildung eigentlich nur für sich schreiben, wird von Kollegen gerne eingefordert. Er macht das Leben und Arbeiten an und in Projekten leichter. Es gibt keinen Grund, nützliches Wissen der Kollegen nicht zu nutzen. Gerade weil es keinen Zwang gibt, verbreitet sich das Wissen auf ganz natürliche Art und Weise. Vorausgesetzt, Trainern und Teilnehmern ist es tatsächlich gelungen, das Nützliche zu identifizieren.
Beide Ansätze bauen darauf, dass Komplizen ans Werk gehen. Der Begriff der Komplizen trifft es deshalb so gut, da Komplizen gemeinsam einen Coup landen wollen. Die damit verbundene Haltung und Stimmung sind sehr nützlich, um die Einführung von Standards zu einem Erfolg zu machen. Und wenn ich ehrlich bin, bin ich selbst gerne auch ein Komplize eines solchen Projekts. Allein wenn ich daran denke, kommt mir ein Schmunzeln auf die Lippen. Es kann sehr viel Freude machen, Komplize zu sein. Und wenn man dann am Ende noch sieht, welchen Effekt Projektmanagement-Standards haben können, wie sich Menschen Zeit sparen und Frust, dann ist das immer wieder ein schöner Lohn für die Mühe.
Mit Projekten ist mehr möglich, als man ahnt.
Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch
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Hallo Eberhard,
in der Tat erlebe ich in der Praxis leider auch sehr viele Standards, die zu kompliziert und zu eng sind. Die liegen dann gut behütet in Schubladen.
Wir machen immer wieder gute Erfahrung damit, „Projektmanagement als Hilfsmittel“ zu verstehen und einen Standard aus dieser Perspektive zu entwickeln. Dann wird auch klar, dass eine Beschränkung Sinn macht und eine angemessene Anwendung wichtig ist. Das, was daraus als Ergebnis entsteht, ist selten kompliziert. Vor allem wenn die Komplizen aus der Praxis kommen. Just haben wir eine „Bedienungsanleitung für Projekte“ geschrieben, die einen Standard auf drei Seiten A4 darstellt. In „normaler“ Schriftgröße.
Beste Grüße
Holger
Hallo Holger,
ich habe so meine Zweifel, dass Standars zur Einarbeitung angehender Projektleiter*innen helfen. Ich beobachte öfter, dass der der Standard eher verwirrt und abschreckt oder zu kompliziert erklärt wird.
Den Begriff der Komplizen finde ich großartig. Just diese Woche fiel in meinem aktuellen Projekt der Satz „Da haben wir echt ein Ding gedreht“
LG Eberhard