Da ist man gerade dabei, die Anzahl an Varianten zu überdenken und einen Baukasten zu gestalten, da kommen aus der Konstruktion bereits die nächsten zehn neuen Optionen, die ebenfalls bedacht werden wollen. Der Vergleich mit Sisyphos kommt einem in den Sinn, der unentwegt den Felsbrocken gen Gipfel wuchtet und ihm alsbald wieder hinterher blicken darf, wie er denselben Berg wieder hinunter rollt. Dann beginnt die Arbeit von vorne.
Der Ansatz, erst einen Baukasten zu entwickeln und diesen dann einzuführen, scheint von Anfang an zum Scheitern verurteilt zu sein. Der mit einer Variantenreduzierung verbundene Nutzen ist jedoch so hoch, dass es sich lohnt, Energie zu investieren. Von 20 bis 30 Prozent Kosteneinsparung ist nicht selten die Rede (1). Aus dieser Verbindung gehen Projekte hervor, die viel Aufwand produzieren und am Ende doch oft nur mit kleinen Ergebnissen aufwarten können. Was auch jedoch nicht nur mit der mangelnden Veränderungsbereitschaft zu tun hat.
Personen: Ein Baukasten braucht einen Architekten
Am Ende eines Projekts, das zum Auftrag hat, (interne) Varianten zu reduzieren und einen Baukasten aufzubauen, darf nicht nur der Baukasten stehen. Ein Baukasten braucht einen „Architekten“ (2), jemand, der dessen Systematik denkt und weiterentwickelt. Der Verantwortung dafür übernimmt. Die Implementierung einer solchen Person muss zwingend Ergebnis eines solchen Projekts sein, um den Bestand über die Projektlaufzeit hinaus zu sichern.
In vielen Projekten stehen die Systematik des Baukastens und die Überführung dieses Systematiken im Vordergrund. Seitenlange Exceltabellen von Produktgruppen und Produkten werden auf Gemeinsamkeiten hin untersucht. Die Artikelstammdaten abgeglichen. Das Ergebnis kann nicht selten als Verzweiflung betrachtet werden.
Viel hilfreicher wäre es, darüber zu sinnieren, welche Aufgaben und welche Kompetenzen ein Architekt benötigt, um dauerhaft eine geringe Anzahl an Varianten sicherzustellen. Denn auch wenn der Auftrag lautet, Varianten zu reduzieren, ist damit selten ein einmaliger Zustand gemeint. Vielmehr ist das Ziel eines solchen Projekts, Systeme implementiert zu haben, die dauerhaft eine geringe Variantenzahl sicherstellen. Der Baukasten ist dafür eine mögliche Lösung. Sicher nicht die einzige.
Prozesse: Am Baukasten darf kein Weg vorbei führen
„Erst entwickeln wir den Baukasten, dann führen wir diesen ein.“ So lauten häufig Aussagen der Projektteams, die grob die Projektstrategie umschreiben. Nicht selten meinen Teams dann, das gesamte Produktspektrum in dieses neue Schema überführt haben zu müssen. Was – ganz subjektiv – oft nicht leistbar ist.
Betrachtet man den Prozess näher, der notwendig ist, um einen Baukasten effektiv zur Variantenreduzierung zu nutzen, wird eines schnell klar: die Größe des Baukastens spielt keine Rolle. Der Prozess funktioniert selbst dann, wenn der Baukasten leer ist. Sofern zwei Bedingungen erfüllt sind:
- ab Freischaltung des Prozesses muss jede Entwicklungsaufgabe auf den Baukasten zugreifen und darf ausschließlich Teile daraus verwenden
- jeder Beteiligte hat die Möglichkeit, neue Bauteile für den Baukasten vorzuschlagen, die dann nach einem definierten Ablauf aufgenommen werden können
Warum also nicht erst den Prozess einführen und so den Baukasten sich entwickeln lassen? Man beginnt mit einem leeren Baukasten und einem definierten Weg, wie Baugruppen und einzelne Teile in den Baukasten aufgenommen werden. Mindestens als Gedankenexperiment ist dieses Vorgehen zulässig.
Sortiment: Nicht das ganze Produktspektrum auf einmal
Wer darüber intensiver nachdenkt, kommt schnell zu dem Schluss, dass es keinen Sinn macht, das gesamt Produktspektrum in allen Bereichen auf einmal umzustellen. Man würde sich selbst ausbremsen. Ein phasenorientiertes Vorgehen bietet sich an, das Baugruppe für Baugruppe ins Visier nimmt. Der Prozess „Baukasten“ wird erst für eine einzelne Baugruppe scharf geschaltet. Alle anderen Bauteile dürfen nach wie vor frei entwickelt werden. Sobald mit dieser dann standardisierten, mit weniger Varianten auskommende Baugruppe alle Anforderungen erfüllt werden können, wird die Arbeit an der nächsten Baugruppe begonnen, indem für diese der Prozess „Baukasten“ verbindlich eingerichtet wird.
Allerdings ist es bei dieser schrittweisen Umstellung lohnend , sich der Anforderungen an den Baukasten aus ganzheitlicher Sicht bewusst zu werden. Werden lediglich die direkten Anforderungen an eine Baugruppe in Betracht gezogen, kann dies mehr Mehrleistungen für nachträgliche Anpassungen nach sich ziehen, als unbedingt nötig. Anpassungen werden sicherlich kommen, deren Höhe sollte jedoch so gering wie möglich sein. Wohlgemerkt: Anforderungen aus ganzheitlicher Sicht, nicht Teile und deren Varianten. Die Anforderungen sind ein wichtiger Schlüssel zur Variantenreduzierung, wobei insbesondere den Schnittstellen zu angrenzenden Baugruppe eine wichtige Bedeutung zukommt.
Während der Umstellung kann es durchaus geschehen, dass erst einmal die Variantenzahl erhöht wird. Durch die Standardisierung einer Baugruppe kann es nötig werden, die Schnittstellen verbundener Baugruppen anzupassen. Dieser Effekt ist allerdings temporär, sofern die neue Schnittstelle der sich im Baukasten befindenden Baugruppe bereits standardisiert ist.
Ebenfalls ist damit zu rechnen, dass der Aufwand für Entwicklung anfangs steigt. Dies wird solange der Fall sein, bis alle Anforderungen mit Teilen des Baukastens erfüllt werden können. Das ist der Preis, den ein Unternehmen dafür bezahlt, dass am Ende die Prozesse schneller und schlanker sowie die Lagerbestände und der Aufwand für Variantenpflege niedriger werden. Wobei nicht nur das eigentliche Produkt im Fokus stehen muss, denn auch Verpackung, Wartung, Werbung können als Baukasten gedacht werden.
Nur mal so gedacht hat
Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch
Quellen:
(1) vgl. u.a. „Neues Konstruktionssystem bei VW: Gleich ist geil“, Jürgen Pander, Spiegel-Online, http://www.spiegel.de/auto/aktuell/neues-konstruktionssystem-bei-vw-gleich-ist-geil-a-814246.html, abgerufen 20. November 2013 | „Daimler-Konzernumbau: Zetsche setzt den Blinker für Mercedes“, Wilfried Eckl-Dorna, Manager-Magazin Online, http://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/a-814150.html, 2. Februar 2012
(2) vgl. u.a. „Jenseits der Plattform-Strategie“, BWL-Blog, Prof. Steffen Wettengl, http://wettengl.info/Blog/?p=1793, abgerufen 30. Oktober 2013