Was kommt dabei heraus, wenn sich 30 Jugendliche und ein Pate aufmachen in einer Kleinstadt ein Festival auf die Beine zu stellen? Die Antwort kann man heute greifen: das Mini-Rock-Festival. 2004, im Rahmen des ersten Horber Jugendforums, hatte das Vorhaben seinen Anfang. Zwischen 14 und 23 Jahre alt waren die Macher zu der Zeit. Viele davon sind immer noch im Team, wenn auch in anderer Rolle, jüngere sind nachgerückt. Ich war verrückt genug, die Patenschaft für diese Bande zu übernehmen. Herausgekommen ist ein Lehrstück über Unternehmertum, das so Manchen mit viel Erfahrung überrascht hat.
Selbst das finanzielle Loch nach der ersten Auflage konnte die Mannschaft nicht davon abhalten, die zweite, dritte, vierte, fünfte und heuer sechste Auflage zu stemmen. Wer heute mit den Machern spricht, hat Profis vor sich, die denken und handeln wie gestandene Unternehmer. Wer nun meint, der Pate habe das alles eh organisiert, der fehlt: bereits die erste Auflage haben jungen Macher selbst auf die Beine gestellt, meine Rolle war die eines Coachs. Und seit der zweiten Auflage bin ich nur noch Gast, denn meinen Job als Pate konnte ich getrost niederlegen.
Der Anfang
Ich kann mich noch gut daran erinnern, an die erste Besprechung im Haus der Jugend Marmorwerk: von 100 Besucher und zwei Bands bis hin zu einem Event größer als das Southside-Festival (Ergo: „Who the fuck is Southside?„) reichten die Wünsche. Klare Vorstellungen prallten auf vage Ideen, Bekannte auf Fremde. Da waren erprobte Moderationsmethoden einem echten Belastungstest ausgesetzt. Es war die ein oder andere Besprechung nötig, um dem ganzen die endgültige Richtung zu geben: 3500 Besucher sollten es im ersten Jahr werden und zwei Tage waren als Veranstaltungsdauer eingeplant.
Damit konnte die Projektplanung beginnen und die Aufteilung der Arbeit in Teams. Nach und nach wurden mit dem Aufbau des Projektstrukturplans die Dimensionen deutlich, die sich die Truppe aufgeladen hatte. Respekt? Fehlanzeige. Munter wurde eine Aufgabe nach der anderen begonnen – und keine abgeschlossen. Noch deutlicher als in vielen anderen Projekten zeigte sich, dass viele Projekte nicht aufgrund technischer Schwierigkeiten in der Klemme stecken, sondern dass ein Team eben erst eines werden muss. Die „Gärung“ als eine Phase von Arbeitsgruppen wurde allerdings erst später zum geflügelten Wort, nachdem unter anderem nächtliche Sitzungen Klarheit über gute und schlechte Zusammenarbeit gebracht hatten.
Nebenbei lernten die Mitstreiter Projektmanagement-Werkzeuge anzuwenden und bewusst mit Gruppendynamik umzugehen, wie ich es im Seminarraum noch nie (und ich mache diesen Job seit 1997 selbstständig!) erlebt hatte. Die Konstellation war so ungemein gut, dass sich der Lernprozess in einem unglaublichen Tempo vollzog. Von außen geliefertes Know-how, sei es von mir oder anderen Experten, wurde förmlich aufgesogen.
Selbst wenn man vorher davon gelesen hatte, dass derartige Lernprozesse am lebenden Objekt Fantastisches möglich machen und man in Seminaren ausschließlich mit echten Projekten arbeitet, die kühnsten Vorstellungen wurden übertroffen. Natürliches Interesse am Vorhaben gepaart mit Herausforderungen, die nur gelöst wurden, wenn sie das Team löste, zeigten sich als ideale Grundlage. Nicht selten standen mir allerdings die Schweißperlen im Gesicht, angesichts der Komplexität, der Geschwindigkeit und der Wissbegier. Unternehmerisches Denken („hier investieren wir x Euro, dann erhalten wir dafür …“) wurde mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit.
Die Bewährungsprobe
Die erste Auflage klappte mehr als problemlos und ich weiß heute, dass „Donots„, „Emil Bulls“ und „4LYN“ keine unbekannten Größen der Festivalszene sind, sofern man nicht meiner Altersgruppe (Jahrgang ’74) angehört. Die Bands waren begeistert, das Feedback der Besucher fantastisch. Allerdings klaffte eine deutlich fünftstellige Lücke im Budget, die erst häppchenweise sichtbar gemacht wurde. In Relation zum Taschengeld der Macher mehr als eine Herausforderung, auch wenn wir dieses Risiko bereits im Vorfeld diskutiert hatten.
Und es passierte, was in derartigen Krisensituationen häufig geschieht: ob der Größe des Problems wurden alle anderen Probleme (die kleineren) zuerst gelöst und das eigentliche ignoriert. Allerdings half in dieser Lage auch, was immer hilft: dafür sorgen, dass das Problem anerkannt wird, und es in seine Bestandteile zerlegen. Als das geschafft war, waren die Macher wieder sie selbst. Eine Aufgabe nach der anderen wurde angepackt, von den Verhandlungen mit Lieferanten über die Mitgliederwerbung für den Verein bis hin zur Arbeit im Wald, um ein paar Euro extra zu beschaffen.
Nach und nach wurde das Problem (in Euro messbar) kleiner und der Plan für die zweite Auflage konkreter. Die gelang dann so gut, dass die Mannschaft einen ersten Teil der Ausfallgarantie, mit der die Stadt für einen Teil der Schulden eingesprungen war, zurückzahlen konnte. Was für die Wertevorstellung der Mannschaft spricht, denn verpflichtet waren sie dazu nicht.
Heute
Als Gast konnte ich 2009 erleben, wie langweilig dem Orgateam hinter den Kulissen war: das Festival als „eingespielt“ zu bezeichnen ist fast schon untertrieben. Da kam es gerade recht, dass die Veranstaltung ein paar Kilometer den Neckar entlang umziehen muss, da auf dem bisherigen Gelände im kommenden Jahr die kleine Landesgartenschau stattfinden wird. Aus Langeweile wurde so wieder eine echte Herausforderung, auch was die Dimensionen betrifft: mit „Fettes Brot“ (beim ersten Horber Flashmob vom Polizeigebäude enthüllt) wurde der größte Headliner der Geschichte des Festivals verpflichtet und nachdem es vergangenes Jahr „ausverkauft“ hieß, haben dieses Jahr mehr Menschen Platz, um vom 5. August an vor den Toren Horbs zu feiern.
Mit den Dimensionen einher geht wieder das Risiko, dass es finanziell eng werden könnte. Da die Macher ein Festival auch für junge Gäste bieten wollen, ist der Eintrittspreis nach wie vor mehr als günstig: 39 Euro bezahlt man im Vorverkauf für drei Tage inklusive Campingplatz. Der Erfolg hängt davon ab, ob dieses Jahr noch mehr Menschen als bisher das Festival, das unter anderem immer wieder wegen seiner einzigartigen Atmosphäre gelobt wird, besuchen. Wobei es eine Chance sein könnte, dass mit „Life of Agony“ auch eine Band auf der Bühne steht, die ich und meine Alterskameraden noch kennen.
Die Fakten sprechen darüber hinaus für sich: insgesamt 19 Bands kann man live erleben. Dazu gibt es die After-Show-Party bis in die Morgenstunden. Und bereits jetzt kann man sein Fass vorbestellen, das dann vor Ort gekühlt bereitsteht. Dazu wird es wohl ein kleines „Versorgungsbähnle“ geben, so der Arbeitstitel, damit man auf dem Campingplatz immer hat was man braucht.
Mein persönliches Fazit
Wow, das war eine Erfahrung!
So kann ich das wohl zusammenfassen. Ich bin stolz darauf, dass ich an diesem Projekt mitgewirkt habe, und stolz auf die Truppe, die sich immer weiterentwickelt. Das Erlebte hat mehr als deutliche Auswirkungen auf meine Seminare und meine Arbeit als Coach gehabt. Viele Dinge, etwa das Zusammenspiel in Teams, ist mir noch sehr lebhaft in Erinnerung und ich habe den Anlass genutzt, die passenden Psychologie-Bücher zu studieren. Seit diesem Festival arbeite ich dazu noch viel intensiver daran, die teilweise abstrakten Instrumente des Projektmanagement einfach und anwendbar zu machen. Denn nur dann werden sie schnell akzeptiert und stiften Nutzen.
Außerdem war diese Erfahrung so prägend, dass wir mit der „Unternehmerschmiede“ daraus ein Seminarkonzept für den Führungsnachwuchs entwickelt haben, mit dem sich ein gutes Stück Unternehmertum lernen lässt. Denn ich denke, dass es von dieser Art zu denken und zu handeln in Unternehmen viel zu wenig gibt. Mit einem echten Projekt als Grundlage lässt sich Unternehmertum lernen (nicht lehren!), sofern man die Projektleiter nicht beschützt, die Probleme nicht für sie löst. Dadurch entsteht ein Denk- und Lernprozess, der Unglaubliches bewirkt. Das erlebe ich immer wieder, wenn ich heute mit den Mini-Rockern spreche.
Ob es den einen Erfolgsfaktor für das Gelingen eines solchen Projekts gibt? Ja: Machen lassen! Die Damen und Herren finden schon raus, wie es geht. Auch wenn alle drum herum behaupten, dass es nicht gehe. Dann wird eben ein neuer Weg entwickelt. Und das macht für mich wirklich gute Projektleitung aus. Wir beschützen solche Teams viel zu oft, indem wir (vermeintliches) Wissen liefern, Risiken ausschalten und Vorgaben machen, anstatt ihnen die richtigen Werkzeuge an die Hand zu geben, sich eine Sache selbst zu erschließen.
Wir sehen uns dort, oder?
Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch.
[flattr /]
Links:
- Mitschuld am Mini-Rock-Festival: Michael Theurer, damals Oberbürgermeister, heute Mitglied des Europäischen Parlaments
- Horb am Neckar, die Stadt in der es solche Möglichkeiten gibt
- Das Mini-Rock-Festival auf Facebook
- Ein Beispiel für Stakeholder-Management
- Lob von offizieller Seite
- Kurzurlaub mit Beschallung nennt es der Festivalguide
- DooLoad-Bericht der 2007er-Ausgabe
Wahrlich eine Leistung, vor der auch ich gerne meinen Hut ziehe!!!
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