In den vergangenen Wochen habe ich immer wieder Diskussionen über das Elektroauto geführt. Nicht nur mein früherer Artikel zum Thema war Anlass, auch von außen kamen viele Impulse. Etwa ein Video bei YouTube, das mir mein Bruder geschickt hat. Eines kann ich dabei feststellen: den wenigsten Menschen ist bewusst, von welchem Umbruch wir reden und auf welche Bereiche es Auswirkungen hätte, würde das Elektroauto merklich an Marktanteil gewinnen. Geschäftschancen gibt es nicht nur für Bauunternehmer. Ganz abgesehen davon, dass man als Automobilzulieferer überlegen sollte, ob die Spieler morgen immer noch dieselben sind wie heute. Die Geschichte eignet sich bestens als Lehrstück für Umwälzungen und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Ein paar Gedanken dazu:
- Für Bauunternehmer: die Veränderungen betreffen weit mehr Bereiche, als auf den ersten Blick ersichtlich. Etwa wenn Sie Parkplätze oder Parkhäuser bauen, könnten sich die Anforderungen ändern, spätestens wenn Parkplätze mit Ladestationen ausgestattet werden. Bei bestehenden Plätzen gibt es dann Nachholbedarf, bei neuen muss das berücksichtigt werden. Dass Hersteller von Ladestationen und Energieversorger Spieler sind, ist offensichtlich. Weniger denkt man an die, die sicherstellen, dass nicht jeder von jeder Ladestation Strom ziehen darf (danke für den netten Kommentar hierzu in Elis Weblog), dass das irgendwie abgerechnet werden muss und dass vermutlich Adaptersysteme notwendig werden, wenn man mit dem eigenen Fahrzeug mal an die fremde Steckdose muss.
- Car-Sharing: Die Möglichkeiten im Car-Sharing treten dann schnell zutage. Die Fahrt zur Tankstelle entfällt, wenn etwa im Wohngebiet Elektroautos abgestellt werden können und einfach an die Ladestation angedockt werden. Damit ist eine Barriere in dieser Branche nicht mehr existent. Über die Ladestationen könnten dann auch Daten über den gesamten Betriebszustand des Fahrzeugs (Sauberkeit, Reparaturbedarf) ausgetauscht und entsprechende Dienstleistungen in die Wege geleitet werden. Wohl dem Dienstleister, der sich dessen bewusst und am Ball ist.
- Tankstellenbetreiber: Diese Gruppe muss sich vermutlich bei anstehenden Investitionen gut damit beschäftigen, worin investiert wird. Unterstellt man eine Zunahme der Elektrofahrzeuge, bleibt die Frage, wie hoch der Bedarf an Tankstellen in Zukunft noch sein wird. Und was dann mit den Tankstellen passieren wird. Batteriewechselstationen können einige sicherlich werden, glaubt man den heutigen Visionen, aber alle? Betrachtet man die Entwicklungen im Einzelhandel, könnte heutigen Tankstellen eine ganz andere Funktion zugutekommen. Aber das steht dann auf einem anderen Blatt.
- Stadtentwicklung: wie wirkt sich das eigentlich auf die Stadtplanung aus, wenn nur noch Elektrofahrzeuge unterwegs sind? Die Lärmentwicklung ist niedriger, kann man aus heutiger Sicht wohl annehmen. Vielleicht auch die Fahrspuren kleiner? Der Lieferverkehr könnte sich stark ändern, andere Wege sich etablieren. Ganz abgesehen davon, dass sich die täglichen Wegstrecken ändern werden, wenn man nicht mehr regelmäßig an der Tankstelle vorbeifahren muss. Dann werden wohl neue Schilder und Verkehrsregelungen nötig sowie Verkehrsberuhigungen möglich, wo man sie heute nicht mal denken mag.
- Hersteller von Lärmschutz: Die Anforderungen an den Lärmschutz haben in den vergangenen Jahren eher zugenommen. Elektroautos sind so leise, dass sich Entwickler damit beschäftigen, welches der optimale künstlich erzeugte Klang ist für derartige Fahrzeuge. Sonst hört man sie nicht, was nicht nur für Menschen mit Sehschwäche zum Problem werden könnte. Bisher sind Autos immer auch über ihren Geräuschpegel präsent. Man kann also unterstellen, dass der Markt in diesem Bereich ein anderer sein wird. In welchen werden dann die dortigen Spieler eintreten?
- Heutige und morgige Automobilisten: auf „sechs Hersteller“, so das Fazit einer oft zitierten Prognose, soll der Markt der Automobilhersteller sich langfristig einpendeln. Das gilt aus heutiger Sicht wohl eher für das, was wir heute als „Auto“ bezeichnen. Wer derzeit dort zuliefert, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass in Zukunft neue Spieler auf dem Markt sein werden, die die Geschicke der Elektrofahrzeuge lenken. „Die werden von den heute großen Automobilherstellern aufgekauft!“ lautet dazu gleich das Gegenargument. Für die Hersteller selbst mag das gelten, nicht jedoch gleichzeitig auch für deren Zulieferer. Das könnten andere Unternehmen als heute sein, wenn die bisherigen Lieferanten nicht rechtzeitig die Fühler ausstrecken.
Das sind lediglich ein paar, sicherlich nicht zu Ende gedachte Ideen. Ausbaufähigkeit nicht ausgeschlossen. Allein schon der Punkt „Car-Sharing“ bietet so viele Ansätze, dass sich ein eigener Beitrag dazu lohnen könnte. Als Stichworte habe ich mir schon mal notiert: „Drei Fahrzeuge im Wohngebiet, mit Chipkarte verfügbar, Sauberkeit und Funktionstüchtigkeit sind wichtig, Ladestationen machbar, Standorte via GPS auffindbar (etwa falls in direkter Nähe keins verfügbar), Wartung im Austausch der Fahrzeuge, Sauberkeit über Videoerkennung („Sie müssen das Fahrzeug noch reinigen. Sollen wir das für Sie übernehmen?“): Chipkarte einführen, Betrag wird abgebucht“. Die Kette lässt sich verlängern: wenn also Car-Sharing attraktiver wird, wird sich das allgemeine Mobilitätsverhalten ändern. Außerdem die Art, wie wir uns dem Nachbarn „vermarkten“: bisher ist das Auto ein wichtiges Statussymbol. Was werden wir dann nutzen, um unseren Status kund zu tun? Mal sehen was daraus noch alles wird.
Ich wünsche Ihnen jetzt schon viel Spaß beim Weiterentwickeln! Schön, dass es so viele Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle gibt, oder?
Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch
Ebenfalls spannend zu lesen:
- 2020 20 Prozent Elektroautos, Studie, Focus Online
- Das Auto am Stecker – Gedanken zur zukünftigen Mobilität, Giroplus-Webblog
- „Deutsche Autobauer fahren mit Vollgas gegen die Wand„, Financial Times Online zum Buch „Crashtest“ (Das ist nicht zwingend eine Empfehlung: Ich habe das Werk noch nicht gelesen)
- „Deutsche Autoindustrie ist in ihrer eigenen Welt gefangen“, Better-Place-Boss Shai Agassi auf handelsblatt.com, 12. Mai 2010