lang="de-DE"> Was ist Arbeit - Arbeitsformen der Zukunft - Wissensarbeiter | Projektmensch-Blog
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Was ist ‚Arbeit‘?

Sven ist von Haus aus Mathematiker. Allerdings hat sein heutiger Job – so betitelt er seine Arbeit – nur noch wenig mit seiner Ausbildung zu tun. Seit mehr als fünf Jahren arbeitet er als Projektleiter im Maschinenbau. Sämtliche Vorhaben, die aus der Reihe tanzen, landen früher oder später auf seinem Tisch. Mal geht es um eine neue Steuerungssoftware für alle Baureihen, mal um eine besondere Maschine nach Kundenwunsch, die in deren Abläufe integriert werden muss. Tagsüber hechtet Sven Lieferungen und Aufgaben nach. Er hängt viel am Telefon, liest Mails und hat mehr Besprechungen als sein Boss gerne sieht. Seine Projekte laufen sehr gut, weshalb immer mehr davon bei ihm ankommen. Seine Kollegen bezeichnen ihn insgeheim als Organisationswunder. Für das Unternehmen wird er als DER strategische Kopf bezeichnet. Viele bewundern ihn für die Arbeitsmenge, die er tagsüber stemmt.

Was die Kollegen jedoch nicht sehen, sind die Dinge, die in Svens Kopf geschehen, wenn er nach Hause fährt und abends auf der Terrasse sitzt. Dann sortiert er und strukturiert. Seine Nachbarn bezeichnen das als Freizeit. Allerdings schafft Sven jetzt genau das, warum er als Organisationstalent gesehen wird. Jetzt entsteht der eigentliche Wert, die eigentliche Leistung. Würde er tagsüber auf der Terrasse sitzen, wären sich Boss und Kollegen einig, dass Sven ein fauler Hund sein muss.

In der Physik ist Arbeit eindeutig definiert. Und auch gesellschaftlich haben wir Normen, die wir – bewusst oder unbewusst – als Messlatte anlegen. Üblicherweise wird als Arbeit bezeichnet, was nach Arbeit ausschaut. Die wenigsten würden auf die Idee kommen und den auf der Terrasse sitzenden Sven als „arbeitend“ einzustufen. Was zum Schluss führt, dass wir in manchen Jobs kein Arbeitsverhältnis mehr eingehen und keinen Arbeitsvertrag mehr schließen sollten. Denn Arbeit ist dort nicht mehr gefragt. An vielen Stellen brauchen wir nicht mehr das, was wir heute noch als ‚Arbeit‘ bezeichnen. Wir brauchen vielmehr das, was den Gedanken entspringt. Auch wenn genau das beim Sonnenbad entsteht. Wie also sollten wir diese Beziehung einer Person zum Unternehmen benennen? Mit dieser Frage beginnt das Dilemma. Wir haben kein Wort für das, was irgendwie nicht wie Arbeit aussieht aber doch Arbeit ist.

Unser kulturelles Verständnis von Arbeit gründet immer noch auf dem Bild von Landwirtschaft und Industrie. Körperlich hart schuftende Kerle. Diesem Bild wird Projektleiter Sven kaum mehr gerecht. Was jeder selbst testen kann: strukturieren Sie doch mal ein Projekt tagsüber bei sich auf der Terrasse. Es wird nicht lange dauern bis der erste Nachbar fragt: „Urlaub, was?“ Sie können den Versuch jetzt gerne weiter treiben. Antworten Sie einfach mal: „Nein, ich arbeite!“ Wohl dem, der nun keinen Lacher erntet.

Das alles wäre an sich nicht weiter schlimm, hätte es nicht einen hahnebüchenen Effekt auf unser aller Verhalten: wir sind tagsüber nunmehr bemüht zu arbeiten. Sprich, wir versuchen dem Bild gerecht zu werden, das unsere Gesellschaft von Arbeit hat, die Norm zu erfüllen. Wir sitzen vor dem PC anstatt in die Luft zu starren und unser Projekt zu durchdenken. Wir schreiben dicke Wälzer anstatt im Kopf das Wesentliche herauszufiltern. Kurz: wir inszenieren Arbeit. Um nicht arbeitslos zu werden, weil einer nicht wusste, was Arbeit gestern und heute unterscheidet.

Die Vorstellung von Arbeit ist gleichsam auch eine Vorstellung von Wert. Was ist etwas wert und was nicht? Da wird das Greifbare schnell viel und das Unsichtbare wenig wert. Ein aus Stein gemauertes Haus kann ich anfassen. Der Wert ist fassbar, greifbar. Was ist etwa ein Projektstrukturplan oder eine Verantwortungsmatrix wert? Und wie kann ich den Wert dieser Werkzeuge greifbar machen? Nutzer führen etwa beim Strukturplan ins Feld, dass solche Werkzeuge die Kommunikation leichter machen, dass weniger vergessen wird, dass jeder weiß, wo er anpacken muss, dass die Dimensionen sichtbar werden. Alles Dinge, die zweifellos etwas wert sind und sich gar in Geld ausdrücken lassen, wenn man unbedingt will. Greifbar und sichtbar wird der Wert deshalb jedoch noch lange nicht. Auch wenn die, die mit ihrer Methode arbeiten, selten an deren Wert zweifeln.

Wer schon einmal große und knifflige Projekte geleitet hat, der weiß, wie anstrengend es sein kann, alleine die Projektmanagement-Strategie zu entwickeln. Obwohl diese Anstrengung für den spürbar ist, der teilnimmt, wird ein Außenstehender nicht unterscheiden können, welchen Wert die Besprechung im Moment gerade generiert. Nicht nur, weil er zum Teil im Zwischenmenschlichen und dessen Vereinfachung resultiert. Würden zwei Landwirte zur gleichen Zeit ein Feld bestellen, würde selbst ein Laie erkennen können, wer mehr leistet. „Die Leistung als physikalische Größe bezeichnet die in einer Zeitspanne umgesetzte Energie bezogen auf diese Zeitspanne.“ schreibt die Wikipedia. Oder eben Arbeit pro Zeit. Ist die Arbeit gleich Null, ist die Zeit (fast) egal. Es kommt keine Leistung dabei heraus. Wobei bezweifelt werden kann, dass die Menge an Schweiss etwas über die Leistung eines Projektteams aussagt. Manche behaupten gar das Gegenteil und liegen mit Bestimmtheit nicht in jedem Punkt daneben.

Arbeit kennen wir alle. Nach getaner Arbeit ist ein verschwitztes T-Shirt Zeugnis. So zumindest galt es im vergangenen Jahrhundert. Heute auch? / Foto: Holger Zimmermann

Bleibt nur, die Arbeit oder eben die Leistung sichtbar zu machen. Was schlicht bedeutet, sie den Beteiligten bewusst zu machen. Ein Unterfangen, das auf Meinungen basiert. „Wie hilfreich ist dieses Instrument für uns?“ könnte eine Frage lauten. Subjektiv wird die Antwort sein. Allerdings wird die Frage anregen darüber nachzudenken, was etwas wert ist und was nicht. Das wird im Laufe eines einzelnen Projekts nicht viel bewirken. Allerdings wird Sven in zehn oder 20 Jahren – also viele Projekte später – wohl respektiert für das, was abends auf der Terrasse geschieht. Und vielleicht werden noch mehr Unternehmen als heute Terrassen bauen. Vorausgesetzt, er erzählt auch Geschichten darüber, wie die wirkungsvollen Instrumente entstanden sind. Und wo.

Deshalb, liebe Projektleiter, macht mit, macht Eure Leistung sichtbar! Erzählt die Geschichten darüber, was Ihr tut und was es bringt.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch


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