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Stuttgart 21: Wer konkrete Kosten nennt, der flunkert

Es gibt wahrlich genug Meinungen und Kommentare zu „Stuttgart 21„, dem Bahnprojekt Stuttgart-Ulm. Da nennt mal der eine eine Zahl, dann der andere und keine will so recht zur anderen passen. Kann auch gar nicht sein, denn bei Projektkosten gibt es nicht einen festen Wert, den man garantiert erreichen wird. Vielmehr jongliert man mit Wahrscheinlichkeiten. Das gilt für die Projektkosten ebenso wie für Arbeitsaufwand und Dauer. Und was für Stuttgart 21 gilt, gilt für alle anderen Projekte in gleicher Weise.

Um Projektkosten beziffern zu können, ist es zum einen wichtig, den Umfang des Projektes genau zu definieren. Ein Projekt wird logischerweise umso teurer, je mehr Bausteine dem Projekt zugerechnet werden. Der Umbau des Stuttgarter Bahnhofs kostet eben weniger als Bahnhofsumbau und die schnelle Anbindung in Richtung Flughafen und Ulm gemeinsam. Wer also Kosten nennt, sollte immer genau sagen, von welchem Projektumfang er ausgeht. Erst dann werden die Zahlen vergleichbar.

Hat man sich auf einen Projektumfang geeinigt, kann man sich auf Basis der Projektstruktur an die Kostenschätzung machen. Die Bedeutung liegt dabei auf dem zweiten Teil des Wortes: es handelt sich um eine Schätzung. Die kann über Vergangenheits- und Branchenwerte oder mathematische Verfahren abgesichert sein, es bleibt trotzdem eine Schätzung basierend auf bestimmten Annahmen. Je konkreter ein Projekt wird, desto konkreter ist logischerweise die Grundlage für diese Schätzungen. Mit Voranschreiten eines Projekts wird sich eine Kalkulation immer ändern: an der einen Stelle hat man etwas übersehen, auf der anderen eine Einsparmöglichkeit gefunden. Mal lag man mit einer Schätzung zu hoch, mal zu niedrig. Das ist ein normaler Vorgang. Wäre es nicht so, würde man zugeben, dass man über die gesamte Bearbeitungszeit keinen Erkenntniszugewinn hatte, sprich: nichts gelernt.

Schätzungen haben immer mit Wahrscheinlichkeiten zu tun.

Will man nun Schätzwerte zu einem definierten Zeitpunkt haben, muss man mit Wahrscheinlichkeiten operieren. Unter den zum Zeitpunkt der Schätzung vorliegenden Erkenntnissen, Entscheidungen und Annahmen gibt es einen besten und einen schlechtesten Fall. Schaut man sich den besten Fall im Extrem an, legt also die niedrigsten vorstellbaren Kosten an, kann man von einer relativen Wahrscheinlichkeit nahe Null ausgehen, mit diesem Betrag auszukommen. Dasselbe gilt, ins Extrem gedacht, bei der pessimistischen Annahme: dass wirklich Alles und Jedes schief geht, ist ebenso unwahrscheinlich. Was nicht bedeutet, dass der Fall niemals eintreten wird. Im Guten wie im Bösen.

Wer fixe Projektkosten nennt, der flunkert immer dann, wenn er keine Wahrscheinlichkeiten dazu angibt. (Vereinfachte Darstellung)

Zwischen bestem und schlechtestem Fall wird die Wahrheit irgendwo liegen. Jeder Wert dazwischen hat eine relative Wahrscheinlichkeit größer als Null. Verbindet man diese Punkte, zeigt sich, dass jeder Kostenschätzung die Gaußsche Normalverteilung zugrunde liegt – im Grundsatz zumindest. Welchen Wert soll man nun also angeben, wenn jemand fragt, was das Projekt kosten wird? Gegner tendieren eher zum pessimistischen Wert, Befürworter zum optimistischen. Beide haben Recht und Unrecht zugleich.

Betrachtet man die absolute Wahrscheinlichkeit der jeweiligen Schätzwerte, muss man feststellen, dass der optimistische Wert mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu Null Prozent gehalten werden kann. Der pessimistische Wert kann mit einer absoluten Wahrscheinlichkeit von nahezu 100 Prozent gehalten werden (Achtung: vereinfachte Betrachtung, in der Realität wird der 100-Prozent-Wert niemals erreicht). Die Wahrheit liegt eben – wie bereits erwähnt – irgendwo zwischen diesen beiden Werten. Deshalb muss jemand, der einen festen Wert als Kostenschätzung angibt, eigentlich immer eine absolute Wahrscheinlichkeit mit angeben, mit der dieser Wert gehalten werden kann.

Projektpläne sind Sprache.

Diese modellhaften Gedanken könnten helfen, die Diskussion um Kosten und Alternativkosten in einen konstruktiven Dialog zu verwandeln. Denn alle Instrumente der Projektplanung sind gleichzeitig immer auch Kommunikationsinstrumente. Wer versteht, wie Kostenschätzung funktioniert, kann überdies beurteilen, wie gegensätzliche Aussagen entstehen und beide trotzdem irgendwie logisch klingen. Hat man das verinnerlicht, kann man nach guten Lösungen suchen: welche Bestandteile eines Projekts braucht man wirklich, wie kann man deren Kosten-Nutzen-Verhältnis verbessern und welche Risiken kann man wie minimieren? Mit diesen Fragen sollte es möglich sein, gemeinsam einen weiteren Weg zu entwickeln. Projektpläne sind immer auch Sprache.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch.


Quellen:

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