Wichtiger als richtig machen: Die richtigen Projekte machen.

Projekt-Portfolio-Steuerung

Machen Sie die richtigen Projekte? Was für eine Frage. Da steckt so viel Musik drin. Die Beantwortung dieser Frage wird für Unternehmen zur Mega-Aufgabe der kommenden Jahre. Allein deshalb, weil die Möglichkeiten immer vielfältiger werden und „das Personal“ immer knapper. Wer die Nase vorne haben will im Wettbewerb, muss konsequent „die richtigen“ Projekte machen. Und die anderen bleiben lassen. Hier eine einfache Vorgehensweise, wie das gelingt.

Die Verlockung: (Fast) jedes Projekt macht für sich Sinn.

Jedes Projekt für sich betrachtet, macht Sinn. Meistens jedenfalls. Erst im Vergleich wird deutlich, dass manche Projekte mehr Sinn machen als andere. Wer einfach Projekte in die Organisation kippt, sorgt deshalb oft dafür, dass er sinnvollere Projekte mit weniger sinnvollen blockiert. Das ist dusselig. Und teuer. Und führt zu Ärger. Und Frust. Also raus aus dem Dilemma. Spätestens wenn die Ressourcen knapp werden (und wo sind sie das nicht) ist Handlungsbedarf.

Multi-Projekt-Management oder Projekt-Portfolio-Management: Das sind die sperrigen Begriffe für die Disziplin, die sich darum kümmert, dass Ihr Unternehmen die richtigen Projekte macht. Vielleicht liegt es an diesen Begriffen, dass sich so wenige Unternehmen darum kümmern, die Sonderaufgaben konsequent an der Unternehmensstrategie auszurichten. Dieses „Alignment“ nämlich sorgt dafür, dass ein Unternehmen „die richtigen“ Projekte macht. Die richtigen Projekte sind vornehmlich die, die auf die Strategie einzahlen und das Unternehmen auf dem Weg zu den langfristigen Zielen nach vorne bringen.

Fokus macht schnell und wirkungsvoll

Mal angenommen, zwei Unternehmen, Wettbewerber, wollen die Digitalisierung in ihrem Unternehmen voranbringen, um mittel- bis langfristig mit neuen Geschäftsmodellen eine einzigartige Position im Wettbewerb zu erreichen. Beide verankern das in Vision und Strategie. Alle Mitarbeiter wissen darüber Bescheid. Das eine Unternehmen legt sofort los, jeder startet Projekte. „Da geht was!“ denkt sich der Beobachter. Das andere Unternehmen zögert kurz, hängt die Maßnahmen, die Projektideen erst einmal auf Haftnotizen an die Wand. Welche passen besonders gut zu den strategischen Zielen? Welche haben eine große Hebelwirkung? Welche trauen wir uns zu, sind für uns leicht umzusetzen?

Am Ende dieses kurzen Innehaltens stehen vielleicht zehn Projekte auf der Liste des zweiten Unternehmens. Projektleiter und Teams werden sorgfältig zusammengestellt, so dass möglichst wenig Überschneidungen stattfinden. Das geschieht gemeinsam mit den möglichen Mitstreitern in gut moderierten Projektstart-Workshops, so dass ein gemeinsames Verständnis besteht, worum es geht, was erreicht werden soll und wie Zusammenarbeit sowie Vorgehen gestaltet werden.

Welches der beiden Unternehmen wird mehr Wirkung entfalten?

Ich setze auf das zweite Unternehmen. Allerdings unter einer Bedingung: Wenn dieser Prozess des Auswählens als Einschätzung und Abwägung verstanden wird und jedem bewusst ist, dass man falsch liegen kann, dass es Änderungen geben wird, neue Erkenntnisse, die zu Anpassungen führen, dann hat das zweite Unternehmen die Nase vorn. Wobei ich unterstellt habe, dass dieses Lostreten der ersten Charge an Projekten ein Auftakt ist für die Strategieumsetzung und keine einmalige Aktion. Weitere Projekte werden folgen. Die gleiche Systematik wird dafür genutzt.

Gutes Multi-Projekt-Management sorgt dafür, dass die Projekte gemacht werden, die besonders gut zur Strategie und den eigenen Fähigkeiten passen. Und es ist darauf vorbereitet, dass Anpassungen gemacht werden, dass Lernen stattfindet und sich in Anpassungen widerspiegelt. Wie es auch unterjährige Projektstarts leicht möglich macht, wie auch das Beenden von Vorhaben, die offensichtlich keinen Sinn mehr machen.

Dadurch erreicht ein Unternehmen Fokus auf die bedeutenden Themen. Die verfügbare Energie, die Kapazität, die Ressourcen werden darauf ausgerichtet. Das bringt Geschwindigkeit mit sich und konzentrierte Wirkung. Wo zu viele Projekte (vermeintlich) parallel laufen, fehlt dieser Fokus, die Energie springt hin und her, für Abstimmung und Synchronisation wird zusätzlich viel Aufwand benötigt wie auch fürs ständige Eindenken ins andere Thema. Zu viele Projekte und wildes Multi-Tasking machen krank. (siehe dazu auch „Für die, die (zu) viele Projekte haben: die Projekt-Pipeline – (1) Grundlagen„)

Doch nochmal: Wichtig ist bei all dem, dass das Innehalten nicht zur Lähmung führt. Es ist ein Moment des Bewusstmachens, des Einschätzens, der Abwägung. Wo ein bürokratischer Prozess daraus wird, gehen die Vorteile verloren. Agilität ist gefragt, Anpassungsfähigkeit, Lernfähigkeit. Das ist weder planlos noch ein formelbasierter Prozess. Die Auswahl der Projekte ist unternehmerisches Entscheiden, keine mathematisch begründete Wahl. Zur Auswahl gehören bewusste Experimente ebenso, wie Projekte, die eine sichere Bank sind. Zum Projekt-Portfolio gehören Vorhaben, die wirklich Neues wagen und Vorhaben, die evolutionäre Entwicklungen mit sich bringen.

Wie viele Wochen Sie dafür rechnen müssen? Eine. Mal angenommen, Sie haben just Ihre Strategieklausur abgeschlossen. Vision, Unternehmensziele, Schwerpunkte sind vereinbart. Wenn Sie sich und Ihren Mitstreitern dafür vorab Zeit reservieren, jeden Arbeitstag sechs Stunden, so dass wichtige Mails und Telefonate noch möglich sind, und für eine gute Moderation sorgen, steht Ihr Projekt-Portfolio am Ende einer Arbeitswoche. Umsetzungsbereit. Das genügt für größere mittelständische Unternehmen mit ein paar tausend Mitarbeitern und kleinere Konzerne. Diese Woche holen Sie allein durch weniger Reibung, weniger Abstimmungsaufwand und weniger Rüstaufwand locker wieder rein.

Das Richtige erkennen

Welche sind die „richtigen“ Projekte? Stellen Sie sich vor, Sie sind Unternehmenslenkerin. Sie haben Ihr Backlog an Projekten zusammengestellt. Alle Projektideen hängen an der Wand vor Ihnen. Jedes Vorhaben auf einer Haftnotiz.

Da wird es ein paar Kandidaten geben, die für sich zwar spannend sind, jedoch wenig zu Ihren strategischen Zielen und Ihrer Vision beitragen. Die hängen Sie am besten gleich ab. Das tun sie selbst dann, wenn der Wettbewerber die ein oder andere der Aktionen durchführt. Bei der Auswahl geht es um Ihre Strategie. Sie wollen vermutlich keine Kopie Ihres Konkurrenten werden.

Die übrigen Ideen sortieren Sie. Ganz oben kommen diejenigen hin, die eine große Wirkung haben hinsichtlich Ihrer strategischen Ziele, die einen großen Beitrag zu Ihrer unternehmerischen Vision leisten. Im Zweifel vergleichen Sie immer zwei Projekte miteinander. Welchem Sie die größere Wirkung unterstellen, das kommt nach oben, das andere darunter. Durch diesen paarweisen Vergleich entsteht automatisch eine Reihenfolge hinsichtlich der strategischen Bedeutung.

Diese Sortierung gibt Ihre Einschätzung wieder. Insofern trifft das Wort „richtig“ nicht ganz, denn niemand von uns kann die Zukunft vorhersagen. Die Zuschreibung der Wirkung hinsichtlich der Ziele ist eine sehr unternehmerische Aufgabe. Dabei lohnt es sich, die Einschätzungen gemeinsam mit Vertretern aus Management-Team, Führungskräften und Projektleitern sowie einem eventuell vorhandenen Project Management Office (PMO) zu diskutieren. Oder zumindest um deren Einschätzung zu bitten. So fließen die verschiedenen Perspektiven mit ein. Bisher habe ich es immer erlebt, dass dabei kluge Gedanken zutage kamen, die den Gesamtblick verändert haben.

Sind die Projekte hinsichtlich der Strategie sortiert, gilt es die zu finden, die in Ihrem Unternehmen vermutlich leicht von der Hand gehen werden. Die, die Sie sich, Ihren Kolleginnen und Kollegen am ehesten zutrauen, kommen ganz nach rechts. Die, die für sie schwierig umzusetzen sind, kommen nach links. Dabei behalten Sie die Höhe bei, um weiter die Sortierung hinsichtlich der strategischen Bedeutung erkennen zu können. Wieder hilft Ihnen der paarweise Vergleich, um eine Reihenfolge benennen zu können.

Am Ende sehen Sie, was vermutlich die „richtigen“ Projekte sein werden. Was oben rechts auf Ihrer Wand hängt, diese Vorhaben trauen Sie sich am ehesten zu und Sie unterstellen eine starke strategische Wirkung. Es liegt nahe, dass Sie diese Projekte in die Umsetzung bringen sollten.

Projekt-Portfolio-Steuerung

Das, was unten links hängt, das streichen Sie am besten gleich von der Liste. Wenig strategischer Beitrag und schwierig umzusetzen: Warum sollten Sie Energie auf diese Themen verwenden? Was dann noch übrig bleibt, ist Ihre Entscheidungsgrundlage.

Erkennen und Entscheiden sind zwei unterschiedliche Aufgabenstellungen

Sie haben richtig gelesen: Was Sie bisher erstellt haben, war lediglich eine Entscheidungsgrundlage. Jetzt braucht es den Unternehmer in Ihnen: Die Liste war keine Entscheidung, sondern nur eine Visualisierung Ihrer Gedanken. Jetzt erst entscheiden Sie, welche Projekte tatsächlich in die Umsetzung gehen.

Bei dieser Entscheidung gilt es nun das Portfolio als Ganzes zu betrachten. Am Ende sollte die Zusammensetzung der Projekte, in die Sie investieren, schlüssig sein. Betreffen etwa drei Projekte das gleiche Marktsegment, kann es sinnvoll sein, nur eines davon zu wählen und ein zweites ins Portfolio zu nehmen, das weiter links und weiter unten steht, jedoch in einem anderen Marktsegment wirkt.

Außerdem ist nun der Moment gekommen, das erste Mal die personellen Ressourcen in Betracht zu ziehen. Wenn Sie am Ende ein Team mit einem Thema betrauen, wird das diese Teams schneller machen. Wo Teams mehrere Aufgabenstellungen “parallel“ bearbeiten müssen, macht das langsam. Davon hatte ich es weiter oben schon. Wenn ein Team an einer Sache dranbleiben kann, wird es die höchstmögliche Geschwindigkeit haben.
Wenn Sie im Lauf dieser Schritte die Gedanken und Diskussionspunkte zu den gewählten Projekten in einem kleinen Protokoll festhalten, entsteht nebenbei ein belastbares Projektmandat. Das wiederum sorgt für weniger Klärungsbedarf beim Projektstart, denn Sie können die zukünftige Projektleiterin, den zukünftigen Projektleiter viel gezielter ins Bild setzen.

Im Fokus der Diskussion stehen üblicherweise die Projekte, die in die Umsetzung gehen. In den bald 25 Jahren als Unternehmer und Projekt-Guide habe ich allerdings eine Sache begriffen: mindestens genau so wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, sind die Dinge, die wir nicht machen. Auf welche Projekte verzichten wir? Wenn Sie in diesem Punkt standhaft bleiben, was nicht mit stur und starr gleichzusetzen ist, dann haben Sie die Königsdisziplin für sich erobert.

Portfolio-Steuerung braucht ein Ritual

Lassen Sie die Haftnotizen am besten gleich an der Wand hängen. Nach einer Strategieklausur braucht das Portfolio zusätzliche Aufmerksamkeit. Eine Woche hatte ich weiter oben als Messlatte formuliert. Während des Jahres ergeben sich nun weitere Erkenntnisse, neue Projektideen. Außerdem kommen vielleicht laufende Projekte nicht voran, wie angenommen, oder erfüllen die Erwartungen nicht. Damit besteht immer Anpassungsbedarf.

Damit Sie möglichst elegant damit umgehen können und dauerhaft ein gut eingestelltes Projekt-Portfolio haben, brauchen Sie ein regelmäßiges Ritual. So könnten Sie eine monatliche Management-Konferenz nutzen, um sich im selben Muster wie nach der Strategieklausur kurz über neue Projektideen und zu stoppende Projekte zu verständigen.

Dabei hilft es, wenn jedes Vorhaben einen eindeutig benannten Auftraggeber oder Paten aus dem Management-Team hat. Wenn diese Person in regelmäßigem Austausch mit den operativ Projektverantwortlichen ist, gelingt diese Verständigung leicht und mit wenig Aufwand.

Auf diese Weise entsteht gleichzeitig, was auf Dauer unabdingbar ist: Organisationen der Zukunft brauchen Bewusstsein für Auswahl bei jeder Führungskraft und jedem Projektleiter. Jedem im Unternehmen muss klar sein, dass die Überforderung eines Unternehmens mit Projekten daher kommt, dass jeder unreflektiert Projekte startet. Diese Überforderung lässt sich durch die kleine Schleife über die Portfolio-Diskussion vermeiden.

Wo Projekte an der Strategie und den Fähigkeiten orientiert ins Rennen geschickt werden, winken große Fortschritte und gleichzeitig ein angenehmes Arbeiten als Belohnung. Das ist nachhaltiges, auf dauerhafte Wirkung angelegtes Employer Branding. Wer will denn nicht in einer Firma arbeiten, in der die Menschen so richtig was auf die Beine stellen und dabei gleichzeitig mit Ihren Ressourcen gut haushalten?

Ihr
Holger Zimmermann
Inhaber & Geschäftsführer Projektmensch


P.S: In Kooperation mit dem Projektmagazin bieten wir von Projektmensch im Herbst 2021 eine PMO-Weiterbildung an, in der die praktische Umsetzung der Portfolio-Steuerung ebenfalls Thema sein wird.

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