Raus aus dem Schneckenhaus: Unternehmenskrisen besteht man am Markt.

Manchmal sieht etwas hinterher ganz anders aus, als man es zuvor gedacht hat. Wohin werden Sie Ihr Unternehmen entwickeln?

„Kosten runter! Kosten runter!“ Ja, und dann? Mal ehrlich: So viel Kosten können Sie gar nicht senken, dass Sie mit Ihrem Unternehmen dadurch die Krise meistern. Denn reduzierte Kosten bringen noch lange keine Einnahmen. Und Einnahmen sind nicht nur in Krisenzeiten überlebensnotwendig.

Was tun, wenn die Einnahmen wegbrechen? Ja, die Antwort ist trivial: Dann braucht Ihr Unternehmen andere Einnahmequellen. „Der hat leicht reden“, mögen Sie nun denken, schließlich schreibe ich ja nur diesen Text hier. Bitte, wagen Sie den Blick in den Spiegel: es ist viel leichter, Kosten zu senken, denn das ist herrlich konkret, greifbar und vor allen Dingen unter Kollegen anerkannt. Kosten senken, darüber schreibt ein Großteil der Publizisten. Kosten senken, das tut jeder, das kann jeder. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Kosten zu senken halte auch ich für elementar wichtig. Es genügt nur nicht, um die Dellen in der Umsatzkurve zu füllen.

Krisen meistern die, die auf der Einnahmenseite Erfolge verbuchen. Das haben mich über 20 Jahre als Unternehmer gelehrt, in denen ich in verschiedensten Krisensituationen engagiert worden bin, um einen Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten. Auf der Marktseite spielt die Musik, nur dort können Umsatzeinbrüche kompensiert werden.

Auf der Marktseite Erfolge zu sammeln ist allerdings sehr abstrakte Arbeit, eine kreative und gleichzeitig doch systematische Suche. Die Entwicklung von Marktchancen fängt mit einer schlichten Aufgabe an: beobachten Sie, was tatsächlich geschieht. Es gilt Veränderungen zu erkennen, Zusammenhänge zu verstehen und daraus Bedarfe abzuleiten, die man dann bedienen kann. Sprechen Sie mit Ihren Kunden, mit potenziellen Kunden, mit Lieferanten, mit Geschäftspartnern. Hören Sie zu, schreiben Sie auf, visualisieren Sie. 

Es gilt Veränderungen zu erkennen, Zusammenhänge zu verstehen und daraus Bedarfe abzuleiten, die man dann bedienen kann.

Ich möchte nochmal betonen: Kosten zu senken ist wichtig, es genügt lediglich nicht. Immer wieder sehe ich jedoch, dass auf der Kostensenkung der ganze Fokus des Krisenmanagement liegt. Wenn ich aktuell schaue, wer etwas zum Thema veröffentlicht, dann dreht sich der Großteil darum, Kosten zu senken und Liquidität zu schaffen. Ich halte das für zu kurz gedacht. 

Wer sein Krisenmanagement-Team gut aufstellt, der sorgt dafür, dass sich unterschiedliche Teile des Teams um die verschiedenen Anliegen kümmern: das eine Teil-Team sorgt dafür, dass die Kosten sinken und Liquidität gewonnen wird, das andere macht sich auf, um systematisch Marktchancen zu erschließen. Eine nach der anderen. Erst die kurzfristig wirksamen, dann die, die auf längere Sicht für Einnahmen sorgen. Zwischen den beiden Teams sorgt ein weiteres dafür, dass die bestehenden Aufträge abgesichert werden, um das Abschmelzen des Auftragsbestands zu verhindern. 


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Der Schlüssel dazu, dass das alles gelingt, ist eine belastbare Organisation der Mitstreiter. Nur wer gute Zusammenarbeit schafft, ist schlagkräftig genug, um die verschiedenen Facetten des Krisen-Meisterns zu bedienen. 

Wo sich Bedarfe ändern, entstehen immer auch neue

Sich in Krisenzeiten über Marktchancen, oder gar Markterfolge zu unterhalten, scheint gedanklich weit weg zu sein. So zumindest nehme ich die Reaktion mancher Gesprächspartner wahr. „Da kann man bei uns nichts machen!“ Schade, dann haben Sie leider bereits jetzt verloren. Wer mit dieser Einstellung ans Werk geht, dem helfen die offensichtlichsten Chancen nichts.

Dabei gibt es Unternehmer, die immer wieder das Gegenteil beweisen. Nehmen wir aktuell Trigema, die in der Coronakrise damit begonnen haben, Atemschutzmasken zu produzieren. Völlig unabhängig davon, ob Trigema das nötig hatte, sie haben die Chance genutzt und – das ist das schönste daran – der Gesellschaft Gutes getan. Und genau in Letzterem liegt nicht selten der Schlüssel zu Chancen: 

  • Wo ist ein neuer Bedarf entstanden oder hat sich ein Bedarf stark erhöht? 
  • Wo gibt es einen Mangel? 
  • Oder anders formuliert: Wo kann ich den Menschen, der Gesellschaft Gutes tun?

Wolfgang Grupp und sein Team bei Trigema haben offensichtlich genau das getan: sie haben einen Mangel aufgegriffen, den sie mit den eigenen Fähigkeiten, den Mitarbeitern und Ressourcen kurzfristig beheben können. Andere Textilhersteller sind inzwischen auf den Zug aufgesprungen und helfen mit, den sprunghaft angestiegenen Bedarf an Atemmasken und Schutzanzügen zu decken. Der Hemden- und Blusenhersteller Eterna etwa, der damit den Standort in der Slowakei und mit ihm 550 Mitarbeiter in Lohn und Brot hält. 

Diese Unternehmen liefern zu unser aller Wohl und sichern damit gleichzeitig eigenen Fortbestands. Eine echte Win-Win-Angelegenheit.

Doch auch kleine Unternehmen beweisen unternehmerische Kreativität. Ich persönlich mag das Beispiel unseres Blumenhändlers hier in Horb am Neckar. Der Bedarf an Blumen ist aktuell gesunken und damit auch die Umsätze. Da Blumengeschäfte nicht systemrelevant sind, drohte die Zwangsschließung. Nicht beim Blumenhaus Robert Müller: dort gibt es nun Obst und Gemüse zu kaufen. Damit hilft er den Menschen, an zentraler Stelle an frische Waren zu kommen, sowie sich und seinen Mitarbeitern, indem er Umsätze schafft. 

Weitere Beispiele gefällig? Ein Segelbauer in Norddeutschland baut durchsichtige Schutzwände für Kassierer:innen in Supermärkten, der Ladeneinrichter Knoblauch produziert nachrüstbaren Tröpfchenschutz für Schreibtische, Volkswagen nutzt seine über hundert industriellen 3D-Drucker, um medizinisches Zubehör für Beatmungsgeräte zu liefern. 

Alle Ansätze haben eine Gemeinsamkeit und die ist wesentlich: sie bedienen einen Bedarf. In diesem Fall Bedarfe, die sich kurzfristig entwickelt haben, die zuvor so noch nicht vorhanden waren.

Bedarfe erkennt man durch Beobachten, Sammeln und Denken

Welche Veränderungen sind zu sehen? Diese Frage ist der Ausgangspunkt für Marktchancen. Dabei gilt es den Horizont weit zu machen. Es geht um alle Veränderungen, die zu erkennen sind. Alle. Überall.

Wer den Fokus nur auf seinen bestehenden Markt legt, macht den Blick zu eng. Vermutlich wird er eher die Probleme wahrnehmen, die das eigene Unternehmen bereits betreffen, und sich damit im Kreis drehen. Besser ist es, sich verschiedene Quellen anzuschauen, auch aktuelle Zeitungen und Magazine zu besorgen und aufmerksam zu lesen. 

  • Was schreiben Sie Journalisten über das tägliche Leben, über die Probleme der Menschen, der staatlichen Einrichtungen, der Politik, des Sozialwesens?
  • Was machen die Menschen nun anders?
  • Welche Organisationen, welche Branchen, welche Themen entwickeln sich in welche Richtung?
  • Was sagen die Menschen?
  • Worüber wird in den Sozialen Netzwerken gesprochen?
  • Welche Wünsche werden artikuliert?
  • Was sind die kleinen Themen, die aufgrund der Krise nur wenig Aufmerksamkeit bekommen?

Nach und nach entsteht so eine Sammlung von Themen. Das Blöde daran: das sind noch keine Marktchancen. Die verstecken sich zwischen den Zeilen und in den Zusammenhängen, sie sind nur selten direkt in der Tageszeitung formuliert. Marktchancen entstehen durch Nachdenken und Schlussfolgerungen ziehen. Deshalb kommt nach dem Sammeln das Denken.  

Die Leistung liegt darin, diese Chancen als Chancen zu erkennen und dann auch noch zu handeln.

Wobei in Krisenzeiten viele Ansätze doch sehr nahe liegen, wie etwa, wenn Atemschutzmasken fehlen und man eine eigene Näherei hat. Die Leistung liegt darin, diese Chancen als Chancen zu erkennen und dann auch noch zu handeln. Ich bin mir sehr sicher, dass einige den Schritt, Schutzmasken zu produzieren, sofort abgetan hätten, noch bevor sie auch nur ein klitzekleines echtes Feedback sammeln konnten. „Geht nicht, wir haben keine Zulassung!“ Klar, ohne Anstrengung gibt es die neuen Einnahmequellen nicht. Sie müssen schon ein paar Probleme lösen, damit aus einem Ansatz tatsächlich Einnahmen werden. 

Deshalb eine eindringliche Bitte: machen Sie einen separaten Stapel für „Verworfene Ansätze“ und gehen sie den am nächsten und am übernächsten Tag nochmal durch. Vielleicht steckt mehr drin, als Sie im ersten Moment dachten. Und vielleicht reicht der Bedarf auch für zwei oder drei Anbieter. Nur weil einer schon an der Umsetzung ist, muss das nicht bedeuten, dass der Bedarf nicht groß genug ist, um auch Ihrem Unternehmen zu helfen.

Beobachten, Sammeln und Denken sollten sich in dieser Phase abwechseln. Eine große Wand und ein paar Haftnotizen sind dabei wirklich hilfreich. Verbindungen können mit einem Bindfaden und Klebeband sichtbar gemacht werden. Symbole helfen ebenso, Dinge gedanklich zusammenzubringen. Eine einfache Nummerierung sorgt dafür, dass man weitere Gedanken zu einzelnen Überschriften auf separaten Blättern oder in einem (schicken Projektmensch-)Notizbuch sammeln kann. 

Für echte kreative Leistung sorgen

Zugegeben: dieses Vorgehen widerspricht allem, was man in Krisensituationen eigentlich tun möchte. Die meisten von uns sind auf Aktion programmiert: „Aktion! Handeln! Sofort! Keine Panik!“ Und nun sollen Sie beobachten und sammeln? Gefühlt also nichts tun? So irrational das klingen mag, genau das ist das Fundament, das Sie nun brauchen.

Jetzt brauchen Sie eher Geduld und die Ruhe, verschiedene Quellen zu studieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mühe lohnt: wer Einnahmequellen erschließt, der sorgt für den Fortbestand seines Unternehmens.

Ein wirklich gutes Buch, das hilft, den Prozess des kreativen Schaffens zu durchdringen, stammt von Mihály Csíkszentmihályi. Er hat das Flow-Erleben erforscht und beschrieben. In seinem Buch „Kreativität“ geht er darauf ein, wie herausragende kreative Leistungen entstehen. Ich kann dieses Buch allen wärmstens empfehlen, die kreative Leistung erbringen wollen. Und damit meine ich nicht die Kreativität, die wir im Kunstunterricht an der Schule lernen, sondern die Kreativität, die Unternehmertum auszeichnet.

Dazu noch möchte ich Ihnen an dieser Stelle den Blog-Beitrag zu Disruption ans Herz legen. Wo sich Bedarfe verändern, sind neue Käuferschichten erst einmal mit einfachen Lösungen zufrieden. Das Prinzip der Disruption lässt sich mit etwas Phantasie auf diese Situationen übertragen. Es macht bewusst, wie die Leistung oder das Produkt gestaltet sein sollten, um einen Markt zu erschließen und dann das Geschäft nach und nach zu erweitern. 

Dann handeln: Auswahl, Fokus und schnelles Feedback durch echte Markttests

Wer zu viele Teller jonglieren will, sorgt für Keramikbruch. Das soll zwar auch Glück bringen, ist als Strategie hier allerdings völlig ungeeignet. Wer die Strategie „Eins nach dem Anderen“ verfolgt, wird schneller zu Ergebnissen kommen. Auch das ist irrational, trifft jedoch zu. Multitasking ist schädlich ist, da es langsam macht.

Deshalb ist es wichtig, eine eindeutige Auswahl zu treffen, damit den Fokus zu setzen und Energie zu richten. Das erfordert unternehmerischen Mut. Folgende vier Kriterien helfen Ihnen, eine Entscheidung zu finden:

  • Leichtigkeit der Umsetzung
  • Kurzfristigkeit der Wirkung
  • Erfolgswahrscheinlichkeit
  • Höhe des Nutzens
Bewertung der Marktchancen nach Leichtigkeit der Umsetzung und Kurzfristigkeit der Wirkung.

Auch hierbei sind Haftnotizen nützliche Helfer bei der Visualisierung. Eine Haftnotiz pro Thema an einer Wand, eine Achse für die Leichtigkeit der Umsetzung, eine für die Kurzfristigkeit der Wirkung, also wie schnell es möglich erscheint, eine Wirkung zu erzielen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit und die Höhe des Nutzens als Symbole auf den einzelnen Haftnotizen. Mit der Marktchance, die rechts oben steht und gleichzeitig eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit sowie einen hohen Nutzen hat, mit der schicken Sie Ihr Anti-Krisen-Team in die Umsetzung.

„Umsetzung“ bedeutet in diesem Fall, möglichst schnell ein echtes Feedback aus dem Markt zu bekommen. „Echtes Feedback“ ist deshalb wichtig, weil das, was Menschen etwa in Umfragen sagen, sich nicht zwingend mit deren Handeln deckt. Ob der vermutete Bedarf auch tatsächlich ein echter, ehrlicher Bedarf ist, das lässt sich nur durch einen echten Testlauf in der Praxis herausfinden. Also: Akquirieren Sie einen echten Auftrag oder fordern Sie via Web zu Vorbestellungen auf. 

„Echtes Feedback“ ist deshalb wichtig, weil das, was Menschen etwa in Umfragen sagen, sich nicht zwingend mit deren Handeln deckt.

Damit das nicht unseriös ist, halte ich es für angebracht, vorher die grundsätzliche Machbarkeit zu prüfen. Diese fünf Schritte zeigen schnell, ob ein Vorhaben für Ihr Unternehmen realistisch ist:

  1. Ausgangslage bewusst machen: Was genau haben wir bereits, um das Thema anzugehen? Wo sind wir stark aufgestellt, wo gibt es noch Handlungsbedarf? Wo liegen die Risiken? Wie steht es um unsere Ressourcen und wie um unsere Kapazität?
  2. Zielsetzung klarstellen: Worauf arbeiten wir konkret hin und welchen Nutzen versprechen wir uns konkret davon? Was ist das erste Zwischenziel auf diesem Weg?
  3. Aufgabenpakete strukturieren: Um welche Themen müssen wir uns kümmern, um die Ziele zu erreichen? Welche Aufgabenpakete gilt es konkret umzusetzen und mit welchem Ergebnis?
  4. Technische Lösung skizzieren: Wie sieht unsere technische Lösung grundsätzlich aus?
  5. Ressourcen und Kapazität klären: Welche Ressourcen brauchen wir auf dem Weg? Wo könnten Einsparmöglichkeiten liegen und wann stehen den Auszahlungen erste Einzahlungen gegenüber?

Auf Basis dieser fünf Schritte lässt sich fürs Erste gut einschätzen, wie die Erfolgsaussichten der gewählten Marktchance sind, zumindest was die Leistungsfähigkeit Ihres Unternehmens betrifft. Wobei ich betonen will, dass Sie damit erst einmal nur in einen Markttest investieren, der nicht teuer sein muss. Im Gegenteil. 

Erst wenn der Markttest erfolgversprechend ausfällt, wird auf das nächste Ziel hin gearbeitet, das dann im Idealfall ein „Minimum Viable Product (MVP)“ ist. Dieses MVP erfüllt die wesentlichen Anforderungen des Marktes und nur die. Damit können Sie bereits erste Einnahmen generieren. Rosa Schleifchen kommen erst später an das Produkt oder die Leistung dran. Sofern die dann überhaupt noch nötig sind. 

Und schon sind Sie raus aus dem Schneckenhaus und sorgen dafür, dass Sie neue Einnahmequellen erschließen. Kosten senken können alle, bei den Einnahmen spielt die Musik. Wenn Sie jetzt noch darauf achten, dass Sie sowohl kurzfristig wie auch auf längere Sicht Eisen im Feuer haben, stehen Ihre Karten gut, auch diese Krise zu meistern. 

Ich wünsche Ihnen und uns allen gutes Gelingen! Und schreiben Sie mir doch bitte, was daraus geworden ist: hz@projektmensch.com. Danke im Voraus.

Ihr
Holger Zimmermann
Inhaber & Geschäftsführer Projektmensch

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