Nie wieder keine Kapazität

"Wir haben doch gar keine Zeit!" Vorwand oder Einwand? Wer das Gewinnen von Kapazität(en) als Verhandlung sieht, hat schon gewonnen.

„Keine Zeit!“ dürfte der meistgenannte Satz in Projekten sein. Wer einen Projektauftrag bekommt und Mitstreiter braucht, steht dann alleine im Regen. Man wurschtelt sich so durch, hier mal ein Häppchen, hier mal eine Bitte, hier mal ein Freundschaftsdienst. Man ärgert sich. Dabei ist es viel leichter, als man denkt, Klarheit über Kapazität zu schaffen. Wenn man ein paar Grundbedingungen erfüllt.

Logisch: Man muss den Bedarf kennen

Genau genommen ist das Gewinnen von Kapazität Verhandlungssache. Ich benötige jemand aus der Fachabteilung, um bestimmte Aufgaben im Projekt zu übernehmen und damit bestimmte Ergebnisse beizusteuern. Manche dieser Aufgaben muss diese Person machen, da sie die einzige ist, die sie erledigen kann, bei anderen wiederum gibt es ein gewisses Maß an Flexibilität. Jede dieser Aufgaben erfordert einen bestimmten Zeitaufwand zur Erledigung. Womit alle Zutaten benannt sind, um eine Bedarfsabschätzung zu machen: ich benötige eine Sicht auf das, was zu tun ist, und darauf, welcher Zeitbedarf damit einher geht und an welchen Stellen ich wie flexibel sein kann.

Wozu? Um die Fragen beantworten zu können, die der Boss der Fachabteilung hat: „Wen brauchen Sie? Für was? In welchem Umfang? In welchem Zeitraum? Mit welchem Spielraum?“ Wären Sie der Boss der Fachabteilung, würden Sie das auch wissen wollen. Wie sollten Sie sonst sicherstellen, dass die übrige Arbeit gemacht werden kann, die für Sie und Ihre Kollegen auf dem Tisch liegt. Was zu einem interessanten Fakt führt: acht von zehn Projektleitern haben auf diese Fragen keine Antwort. So meine persönliche Beobachtung. Dass es dann nichts wird mit der Kapazität, ist – mit Verlaub – irgendwie nachvollziehbar. Aber dann hören Sie bitte auf mit Jammern! Andersherum: ein Projektplan oder ein Backlog bewirken Wunder.

Das Ziel ist Ressourcen- und Kapazitätsklarheit

Ist die Voraussetzung für die Anfrage an den Fachbereich gemacht, bedeutet das noch lange nicht, dass der Bedarf auch gedeckt werden kann. Dann ist die Gefahr groß, dass ein Ping-Pong-Spiel der Macht entsteht: „Wenn ich die Kapazität nicht bekomme, dann renne ich zum Chef!“ Eine auf Dauer aussichtslose Strategie, wie die Erfahrung zeigt. Wer auf Kooperation und das Fragewort „Wie?“ setzt, hat bessere Karten.

Das setzt allerdings voraus, den Bedarf als das zu sehen, was er ist: Bedarf. Es gibt keinen Zwang, dass dieser Bedarf exakt erfüllt wird. Vielmehr geht es darum, Klarheit darüber zu schaffen, wann welche Kapazität zu Verfügung steht, wo Engpässe sind und wie diese beseitigt werden können. Das ist anstrengende Arbeit, bei der es hilft, immer wieder die Frage zu stellen: „Wie können wir vorgehen, um den verschiedenen Anforderungen in Summe möglichst gut gerecht zu werden?“ Damit sind die Anforderungen an Kapazität aus Sicht des eigenen Projekts, anderer Projekte und der Fachabteilung gemeint.

Das Ergebnis der Verhandlungen ist eine Vereinbarung, die Verlässlichkeit schafft

Auf diese Weise sorgt der Projektleiter Schritt für Schritt dafür, dass der Kapazitätsbedarf gedeckt wird. Wo es Schwierigkeiten gibt, wird nach Lösungen gesucht. Dabei hilft es, wenn die Projekte einen eindeutigen Rang haben, der eine Art Vorfahrtsregelung darstellt und damit Projektteams in die Lage versetzt, Engpässe selbstständig zu entzerren.
Ebenso hilft es, wenn es zentrale Tools gibt, die ein Bild von Auslastung und freien Kapazitäten geben, da sie den Aufwand reduzieren, die Informationsgrundlage zu schaffen. Wobei die zentralen Tools nicht zwingend nötig sind, im Zweifel genügen auch die persönlichen Kalender der Mitarbeiter, die eingespannt werden sollen. Vorausgesetzt, sie werden konsequent geführt und enthalten auch die zeitlichen Zusagen, die man etwa an Projekte gemacht hat.

Die Vereinbarung zwischen Projektleiter, Leiter des Fachbereichs und Mitarbeiter bildet damit die Basis für die Zusammenarbeit.

Am Ende der Verhandlungen wird in diesem Kalender die Vereinbarung festgehalten, wie auch in einem – wie auch immer gearteten – Projektplan. Die Vereinbarung zwischen Projektleiter, Leiter des Fachbereichs und Mitarbeiter bildet damit die Basis für die Zusammenarbeit. Mit ihr werden gleichzeitig die Spielregeln oder Prinzipien festgehalten, nach denen zusammengearbeitet wird: „Frau Wiedemann kann 20 Prozent Ihrer Zeit für das Projekt verwenden. Sie setzt dafür idealerweise den Freitag ein, da dies der ruhigste Tag aus Sicht des Tagesgeschäfts ist. Sobald absehbar ist, dass mehr oder weniger Kapazitätsbedarf ist (+/- ein halber Tag), stimmen wir uns erneut ab.“ Das schafft Verlässlichkeit auf allen Seiten und reduziert die Transaktionskosten für das immer erneute Abstimmen.

Konfliktfähigkeit ist gefragt

Die Logik des Vorgehens ist bestechend einfach. Viel schwieriger ist es, mit den dahinter verborgenen Konflikten klar zu kommen. Da scheint es, dass „Keine Zeit!“ und „Mir hat niemand Kapazität gegeben!“ eher Vorwand denn echter Einwand sind. Nichts für ungut: ein guter Projektleiter weiß, dass er ein Projekt nicht ohne Kapazität stemmen kann. Weshalb er das ansprechen wird, dafür sorgen wird, dass er Klarheit darüber hat, mit welchen Mitteln und Kapazitäten er arbeiten kann. Dazu braucht er nicht zwingend einen Chef, wobei es unbestritten ist, dass das Mithelfen „der Hierarchie“ das Verhandeln durchaus beschleunigen kann. Kompetente Auftraggeber werden an dieser Stelle von sich aus unterstützen.

Sie wissen, wie wichtig die Wahl der passenden Worte ist, um Konflikte klären zu können.

Diese Projektleiter bringen eine wichtige Fähigkeit mit oder haben sich diese antrainiert: Konfliktfähigkeit. Sie wissen, wie wichtig die Wahl der passenden Worte ist, um Konflikte klären zu können. Sie kennen die Systematik der Gesprächsführung, die hilft, lösungsorientiert zu diskutieren. Sie sind sich im Klaren, dass am Ende einer Konfliktklärung eine Friedensvereinbarung steht, keine Liebeserklärung. Und sie wissen darum, dass Konflikte nur bedingt mit der Sache zu tun haben. Wobei ich Konflikte als Situationen verstehe, in denen zwei unterschiedliche Erwartungen aufeinandertreffen. Dann gilt es die Situation zu klären.

Das Sichtbarmachen des Bedarfs und das Verstehen dessen, was danach kommt, als Verhandlung, sind schon zwei Schritte, die geeignet sind, um den Konflikt nicht eskalieren zu lassen. Es ist die normalste Sache der Welt, dass man nicht alles machen kann. Also gilt es herauszufinden, was im Sinne des Unternehmens wann am sinnvollsten erledigt wird. Das ist es letztlich, was Kapazitätsklärung bedeutet. Ohne den Projektleiter, der den Konflikt sicht- und damit verhandelbar macht, wird es keine Kapazität geben. Dann wird weitergewurschtelt.

Wo keine Kapazität vorhanden ist, ist es klüger, ein Projekt nicht weiterzuführen.

Dabei soll nicht unter den Tisch fallen, dass trotz Konfliktfähigkeit und definiertem Rang nicht alle Konflikte vom Projektleiter geklärt werden können. Wo sich Projekt und Fachabteilung nicht einigen können, etwa weil der Vorrang zwischen Tagesgeschäft und Projekt nicht eindeutig ist, muss der Auftraggeber mit ins Boot, um Klarheit zu schaffen. Wobei es nicht Sinn und Zweck sein kann, Projekte um jeden Preis durchzuziehen. Wo keine Kapazität vorhanden ist, ist es klüger, ein Projekt nicht weiterzuführen.

Mitarbeiter ans Projekt ausleihen, nicht Arbeit an die Fachabteilung delegieren

Bei all dem ist eine Unterscheidung zwischen Organisationsformen durchaus nützlich: wo im Routinebetrieb in Prozessen gearbeitet wird, ganz wie es Taylor gedacht hat, wird Arbeit an eine Fachabteilung delegiert. Der Abteilungsleiter entscheidet über die Arbeitsverteilung in seinem Team. Im Projekt dagegen wird ein Mitarbeiter in definiertem Umfang an das Projekt ausgeliehen. Die Arbeitsverteilung für das Projektteam wird vom Projektleiter und seinem Projektteam organisiert, obwohl der Projektleiter nicht „Vorgesetzter“ des Mitarbeiters ist. Spätestens jetzt wird deutlich, wie wichtig die zwischen den Beteiligten vereinbarten Spielregeln sind, damit der Abstimmungsaufwand nicht ins Unermessliche steigt.
Der Abstimmungsaufwand ist übrigens dann am geringsten, wenn man einen Mitarbeiter komplett für ein Thema zur Verfügung stellt, wie es etwa bei Scrum-Teams üblich ist. Das beschleunigt die Umsetzung und spart am Ende Aufwand. Die gedankliche Hürde zu dieser Vorgehensweise ist in vielen Unternehmen noch sehr hoch. Als Denkmodell im Sinne einer Utopie kann es sich allerdings lohnen darüber nachzudenken, wo man dieser Form der Projektumsetzung heute schon näher kommen kann.

Kapazitäten klären ist leichter, als man denkt. Man muss es nur tun. Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: hz@projektmensch.com

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

P.S: Ein Buchtipp in Sachen Konflikte ist „Das können wir klären“ (Affiliate Link) von Marshal B. Rosenberg

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