Gesucht: Herausragende Projektleiter

Zu wenige Stühle sind besetzt: Unternehmen fehlen herausragende Projektleiter, die Zukunft gestalten, auch wenn es schwierig und ungewiss wird.

Es gibt zu wenig herausragende Projektleiter für die anstehenden Aufgaben, zu wenige Menschen, die ad hoc Kooperationen organisieren können, um Innovationen zu schaffen. Es gibt zu wenige Menschen, die Teams organisieren können, die unter anderem die Digitalisierung vorantreiben und neue Geschäftsmodelle etablieren. Das macht mir Sorgen. Große Sorgen. Vor allem, da in Sachen Projektmanagement immer noch danach gefragt wird, was eingespart werden kann. Es geht nicht mehr um Einsparungen, es geht darum, etwas überhaupt auf die Reihe zu bekommen. Dazu ist gute Projektführung nötig, die Fähigkeit, unterschiedliche Experten an einen Tisch zu bekommen und daraus etwas Neues entstehen zu lassen. 

Was gutes Projektmanagement an Einsparung bringt, ist schnell berechnet. Denken Sie einfach darüber nach, was geschehen würde, wenn ein guter Projektleiter seinen Teams jede Woche eine Stunde Meeting erspart. Die Ergebnisse dieser Rechnung sind eindeutig. Ganz abgesehen davon, dass man eher davon ausgehen kann, dass gute Projektführung eher ganze Manntage spart, etwa wenn Projektteams geschickter zusammengestellt werden.

Das Problem an dieser Rechnung: sie adressiert nicht das Problem, das es aktuell zu bewältigen gilt. Die Herausforderungen sind ganz andere. In vielen Branchen sind neue Geschäftsmodelle gefragt, die Digitalisierung zwingt zu radikalem Umdenken in Technologie, Prozessen und Marktpräsenz. Auf einmal tauchen Wettbewerber auf, die in Sachen Hardware Mittelmaß sind, jedoch mittels Software anpassungsfähige Maschinen konkurrenzlos günstig anbieten. Wer sind die Personen, die in der Lage sind, dann neue Geschäftsmodelle zu etablieren? Wer sind die Personen, die tatsächlich das Neue wagen und auf unsicherem Terrain Projektteams führen können? Ohne hierarchische Macht, unter anderem weil Kooperationen mit anderen Unternehmen und wissenschaftlichen Instituten immer wichtiger werden. Wie viele dieser Menschen haben Sie in Ihrem Unternehmen?

Nichts für ungut. „Agil“ auf das Türschild zu schreiben und ein Team darauf anzusetzen, gleicht eher einer Lotterieteilnahme, als einem gestalterischen Vorgehen. In solchen Situationen braucht es Könner, die die Situation gedanklich durchdringen können und in der Lage sind, unter Ungewissheit, Mehrdeutigkeit und angesichts des Nicht-Wissens um die Lösung, Strukturen zu schaffen, die zu einer möglichst reibungsfreien und kreativen Zusammenarbeit „cross-funktionaler Teams“ führen.

„Ungewissheit und Unsicherheit gehören aber zur Veränderung wie Schnupfen und Husten zur Erkältung. Gewissheiten sind Placebos.“ schreibt Wolf Lotter in der brandeins 03/2018. Treffender kann man kaum beschreiben, was ansteht. Gefragt sind dafür Menschen, die den Teams zu Orientierung verhelfen ohne selbst Wissende zu sein und denen es gelingt, mit ihrem Team ein System der Zusammenarbeit zu etablieren, in dem Lernen und Anpassungsfähigkeit Normalität sind, ohne dass dabei der Fokus, die Vision, der Nutzen aus dem Blickfeld wandern. Und ohne dabei bereits alle Schritte auf dem Weg vorwegnehmen zu können. „Gewissheit führt zu zweierlei: Sie verhindert, Risiken realistisch einzuschätzen, und sie verstellt den Blick auf Chancen.“

Im Moment wird dieser Bedarf, so mein Eindruck, noch gar nicht wahrgenommen. Man wurschtelt sich durch, schickt Projektleiter auf ein Zertifizierungsseminar, lehrt Projektmanagement-Prozesse. Ein Irrsinn. Das regt mich auf, das macht mich sauer. Diese Weiterbildungsprogramme setzen auf so viel Methodik, wo doch ganz andere Fähigkeiten gefragt sind. Anschließend werden Projektmanagement-Standards etabliert, die die Zusammenarbeit a lá Taylor und Ford (siehe dazu auch „Wer von Abteilungen redet, denkt nicht in Projekt„) auf Aufgabenstellungen mit unbekanntem Ausgang übertragen wollen. Das geht nicht gut. Prüfen Sie einfach mal, wie viele Ihrer (echten) Projekte tatsächlich mit einem nützlichen Ergebnis abgeschlossen wurden.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin ein Fan von Projektmanagement-Methodik. Und von Standards. Aber bitte als Hilfsmittel. Solide Methodik hilft mir, hilft uns jeden Tag, Dinge auf die Beine zu stellen, Neues zu etablieren, etwas möglich zu machen. Sie ist allerdings nur ein kleiner Teil dessen, was ein herausragender Projektleiter braucht. Als wir uns aufgemacht haben, die Projektmensch-Masterclass zu entwickeln, haben wir uns intensiv damit auseinandergesetzt, welche Fähigkeiten dazu führen, dass die wirklich schwierigen, komplexen Projekte zum Erfolg geführt werden. Keine zehn Prozent davon haben mit dem zu tun, was übliche Weiterbildungsprogramme zum Inhalt haben:

  • Projektmanagement-Methodik: die Logik der Projektführung von Einzelprojekt bis Multi-Projekt-Management
  • Integration und Adaption verschiedener Vorgehensmodelle von agil bis Wasserfall, von Gantt über Kanban bis Scrum
  • Projektmanagement als Gestalten eines sozialen Systems: Projekte werden von Menschen gemacht
  • Projektführung: Führen ohne Macht
  • Umgang mit Unsicherheit, Ungewissheit und Nicht-Wissen
  • Ressourcen- und Kapazitätsmanagement
  • Schwierige Gespräche, Konflikte klären und die Bedeutung von Sprache
  • Kreativität, Innovation und Unternehmertum in Projekten
  • Gesprächsführung und Kommunikation im Projekt
  • Moderation von Projektbesprechungen und Workshops
  • Teamentwicklung und Onboarding neuer Mitstreiter im Projektverlauf
  • Kultur und Kulturen in Projekt und Umfeld
  • Selbstführende Teams
  • The Minimum Viable Organisation (MVO) und die Zukunft der Zusammenarbeit
  • Digitale Werkzeuge und Software im Projekteinsatz
  • Selbst- und Zeitmanagement für Projektleiter
  • Projektführung für Auftraggeber und Führungskräfte
  • Projektarten, Projektanalyse und Bewertung
  • Projektmanagement in Unternehmen entwickeln: Veränderung gestalten, Organisationsdesign und Organisationsentwicklung
  • Organisatorische Verankerung von Projektmanagement im Unternehmen und Aufbau eines PMO sowie von Projekt-Standards
  • Train-the-Trainer für Projektmanagement-Weiterbildung
  • Strategieumsetzung: Von der Unternehmensstrategie zum Projekt und zurück
  • Haltung und Einstellung des Projektleiters

Eine lange Liste. Umgang mit Ungewissheit ist nicht einfach, braucht ein solides Fundament. Wobei vermutlich das, was zwischen den Zeilen steht, das Wichtigste ist: die Haltung, die Einstellung, mit der jemand an eine neue Sache herangeht. Ich werbe darum, Menschen mit diesen Fähigkeiten aufzubauen und dafür zu sorgen, dass diese in Ihrem Unternehmen bleiben. Diese Menschen brauchen wir, wenn wir den Erfolg der vergangenen Jahre wenigstens erhalten oder noch besser: ausbauen wollen. Ich sehe zu wenige davon, jedoch viele, die bereit sind zu lernen und sich zu entwickeln. Fehlt nur noch jemand, der den Bedarf erkennt und dafür sorgt, dass gehandelt wird. Damit die Digitalisierung für neue Arbeit sorgt und nicht nur Arbeit wegfällt.

„Das Sicherheitspaket für eine bessere Zukunft ist nicht mehr alleine Teilhabe, sondern auch Teilnahme, ein selbstsicheres Gestalten.“ (Lotter) Gute Projektleiter verstehen sich als diejenigen, die einen großen Anteil daran haben, diese Zukunft zu gestalten.

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch

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Ein Kommentar bei „Gesucht: Herausragende Projektleiter“

  1. Danke für diesen Artikel, Holger.

    Ich leide unter den beschriebenen Phänomenen seit etwa zwanzig Jahren.
    Im Laufe der Zeit habe ich ein Vorgehen für mich erarbeitet.
    Um klar zu machen, wie ich vorgehe und was ich zu welchem Zeitpunkt tue, habe ich das Vorgehen beschrieben und up2U-Protokoll genannt.

    Im Kern geht es darum, GEMEINSAM mit allen Beteiligten, Wissens- und Erfahrungsträgern, den Kern dessen zu identifizieren, an dem man ansetzen sollte.
    Die Umsetzung erfolgt dann mit gewohnten Mitteln und lässt sich mit „Management“ begleiten.

    Auf dem blauen Pfad wird der Nutzen gestiftet und auf dem roten Pfad die Grundlage dafür gelegt.
    Das kann sich in wenigen Minuten vollziehen oder über längere Zeiträume hinziehen – je nach Aufgabe.

    Jeder ist willkommen, dieses Vorgehen für sich zu übernehmen und mit den verfügbaren, eigenen Mitteln zum Leben zu erwecken.
    Allerdings nur, um unbekannte, vorher nie dagewesene Herausforderungen mithilfe der Betroffenen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu führen.

    Wer das Problem und das Beklagen benötigt, um die eigene Untätigkeit zu rechtfertigen, sollte einen Bogen um dieses Vorgehen machen.
    Wer lieber durchregiert als auf andere Sichtweisen einzugehen, sollte ebenfalls Abstand halten.

    https://up2u.blog/

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