Muster brechen? Es denkt nicht. Doch.

Es gibt nicht mehr dazu zu sagen.

Ich lese also „Muster brechen“ und denke: „Ja und?“ Üblicherweise kenne ich das von mir anders. Man liefert ein Stichwort und die Gedanken schießen. Es ist meist als würden die Synapsen einen irre schnellen Jive tanzen. Nicht nur Tango. Und diesmal? Nichts. Gar nichts. Einfach nur: „Ja und?“Ich frage mich ernsthaft, ob ich vielleicht überarbeitet bin? Schaue in Stuttgart aus den Caféfenstern auf den Schlossplatz. Sehe die Menschen, die irre unsortiert vorbei flanieren. Die Wolken, immer mal wieder von Sonnenstrahlen unterbrochen. Sehe Einkaufstaschen, mein leeres Glas mit den Resten der Latte macchiato. Meinen Notizblock. Das Orgateam des PM Camps in Dornbirn hat zur Blogparade geladen und mir fehlen die Gedanken.

Kurz flackert dieser eine Satz über Strategie auf: „Kern einer Strategie ist es, die Geschäftstätigkeit anders auszuführen als der Wettbewerb.“ Ich meine mich zu erinnern, dass er von Porter stammt. Bin mir jedoch nicht sicher. Meine Gedanken beißen sich an dem Wort „anders“ fest. „Nicht ‚besser’, nicht ‚schneller’, nicht ‚billiger’, einfach nur ‚anders’“, denkt es in meinem Kopf. Schon komisch, dass dieser Satz nicht bekannter ist.

Sonnenstrahlen sind zwischen den Wolken inzwischen keine mehr zu sehen. Gefühlt sind es trotzdem mehr Fußgänger auf Stuttgarts Hauptflaniermeile geworden. Die Anzahl der unterschiedlichen Tragetaschenvarianten ist scheinbar limitiert. Irgendwie sind sie doch alle gleich und werden allesamt als Werbeträger eingesetzt. „Anders!“, denkt es wieder irgendwo.

„Ob das der Grund ist, warum wir in Diskussionen unter Kollegen manchmal nicht verstanden werden?“, denkt es weiter. Wir verwenden dieselben Worte und meinen doch etwas Verschiedenes. Für die Idee eines agilen Gantt-Charts wurden wir schon mehrfach und laut verspottet. „Wie kann man so etwas überhaupt denken?“, kam zumindest bei mir als Botschaft an.

Vielleicht sollten wir vielmehr darüber lachen, dass es Menschen gibt, die in der Annahme leben, es hätte Kommando-und-Kontrolle-Projektmanagement jemals gegeben? Darüber lachen, dass es Menschen gibt, die allen Ernstes behaupten, der Sinn eines Plans sei einmal gewesen, diesen einzuhalten? Ein Irrtum der Geschichte, eine gute Show der Konzerne. Allenfalls Menschen, die alles getan haben, um die Illusion von „unter Kontrolle“ aufrecht zu halten, deren Existenz kann wohl als bewiesen gelten. Aber wir lachen nicht über andere, denn wir wissen, dass wir nicht wissen.

Wer sich mit der grundlegenden Methode ernsthaft auseinandersetzt, kann nicht zu dem Schluss kommen, dass es jemals Sinn war, ein vermeintlich starres Gantt-Chart nur noch zu exekutieren. Laien verstehen das schneller. Selbst das oft unbeliebte Softwareprogramm aus Redmont verfügt über die Möglichkeit, einen Plan, als eine Annahme über die Zukunft im Konjunktiv, der Realität gegenüber zu stellen. Das Delta ist das Spannende, denn daraus kann ich Schlüsse ziehen, während des Projekts lernen, was ich ändern muss, um den vereinbarten Nutzen zu liefern. Wer erst mit den Lessons Learned lernt, lernt zu spät.

„Was solls?“ Vielleicht liegt ein wenig Resignation in diesem Gedanken, dem gleich der nächste folgt. „Lassen wir die Welt das einfach als agil bezeichnen und für etwas Neues halten. Das fördert wenigstens die Diskussion darüber und macht deutlich, dass das Einhaltenwollen von Plänen purer Nonsens ist.“ Ich meine, wer kennt schon den Ursprung von „Skunk Works“ oder die Entwicklungsgeschichte der Lockheed P-80? Das war noch während des zweiten Weltkriegs, ist schon lange her und war wohl einfach gute Organisation. Hörensagen. Ich war nicht dabei.

In kaum einer Diskussion unter Kollegen ist es uns je gelungen damit durchzudringen, dass ein Gantt-Chart für uns lediglich eine Visualisierung von gemeinsamen Gedanken ist. Dass ein Plan lediglich beschreibt, wie es gelingen könnte, das vereinbarte Ergebnis zu erreichen. Und dass diese Visualisierung gleichzeitig eine Vereinbarung der Beteiligten ist, wie sie vorgehen wollen. Wo es eine Abweichung gibt, wird neu verhandelt und vereinbart. Keine Raketenwissenschaft. Einfach nur gemeinsames Verständnis schaffend, eine Grundlage für gute Gespräche. Ein schwer zugängliches Verständnis, wenn beim Begriff „Gantt-Diagramm“ nur ein Bild im Kopf entsteht, das eine Abweichung der Realität gegenüber einem Plan nicht vorsieht.

„Irgendwie denkt es doch“, denke ich mir. Es wird Zeit die Rechnung zu begleichen und zum Zug zu gehen. Meine Tasche hänge ich mir um. Sie hat schon ein paar Tage auf dem Buckel. Ob sie immer noch im Handel ist? Ich reihe mich ein in den Strom der Flanierenden. Der Herr, der mich linkerhand im Eiltempo überholt, hat jedenfalls ein ähnliches Modell. „Anders!“ Irgendwo im Hinterstübchen hat sich dieser Gedanke scheinbar fest verankert.

Damit es sich besser anlässt mit dem Denken und dem Brechen von Mustern, beschließe ich einen der bisherigen Beiträge zu lesen. Conny Dethloffs Artikel auf seiner „Reise des Verstehens“ spricht mich an und ich bin dankbar: Projekte sind per se dazu da, etwas Neues zu schaffen. „Jawoll!“, denkt es und: „Anders!“

Die Überschrift hat es mir angetan: „Musterbrechen heißt Widersprüche lieben“. Ein bisschen denkt es jetzt doch. Hatten wir es nicht erst kürzlich davon und von Komplexität? Da kann die Logik schon mal ausfallen und der Widerspruch den Raum besetzen. „Und da hilft es uns vielleicht, andere Begrifflichkeiten für altbekannte Dinge zu verwenden?“ Auch so ein Gedanke. Denn wer bei Projektmanagement denkt, dass das mit der Erfüllung von Plänen zu tun hat, dem tut vielleicht gut von Projektführung zu reden. Da danke ich Conny für die Erinnerung an diesen Artikel. „Das Delta ist das Spannende.“ Es fordert gerade zu die Weiterentwicklung. Der Widerspruch reizt, fördert die Kreativität. Wie auch der Widerstand.

Das Gantt-Chart nenne ich nun übrigens ein Agile-Product-Roadmap-Backlog-Task-Visualization-Discussion-Diagram, kurz „APRBTV2xD“. Wer das am schnellsten fehlerfrei aussprechen kann, der hat gewonnen.

Was das alles mit „Muster brechen“ zu tun hat? Ehrlich, ich habe keine Ahnung. Aber „brechen“ hört sich für mich nach reichlich Gewalt an. Da bin ich mir noch nicht sicher, ob ich das wirklich will. Ich les’ jetzt mal weiter.

Holger Zimmermann
Projektmensch
(von Herzen)

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Ein Kommentar bei „Muster brechen? Es denkt nicht. Doch.“

  1. Dr. Andreas Zeuch sagt:

    Lieber Holger –

    ein beinahe poetischer Blogpost, Hut ab. Und das „Es“ denkt, anstelle eines kontrollierten „Ich“ gefällt mir überaus gut, dem kann ich mich nur anschließen. Und natürlich, dass wir – wenn wir ehrlich sind – wissen, dass wir in erster Linie nichts wissen… Was natürlich sofort eine starke Auswirkung auf das ganze leidige Thema „Planung“ hat…

    LG vom Unternehmensdemokraten
    Andreas

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