Noch ein Projekt? Muss das sein?

Nicht alles, was einem als Projekt verkauft wird, hat diesen Titel auch verdient. Der Unterschied zur Routine ist wichtig.

Ich kann es nicht mehr hören: „Wir machen da ein Projekt!“ Und im nächsten Satz wird von „Zuständigkeiten“ und „Abteilungen“ gesprochen. Da möchte ich laut zwischenrufen: „Haltet ein, so wird das nichts!“ Mein Zwischenruf kommt von Innen, von tief drin. Denn viele Dinge, die als Projekt bezeichnet werden, sind keins, und viele Projekte, die welche sind, werden nicht als Projekte geführt. Was wiederum nirgendwo hin führt, außer leider oft ins Chaos.

Wer ein Projekt macht, ein echtes, beginnt gedanklich auf der grünen Wiese. Er hat eine Aufgabe bekommen und muss diese Aufgabe lösen, das Problem beiseite schaffen. Gäbe es dafür eine Routine, einen verlässlichen Ablauf, wäre kein Projekt nötig. Ganz abgesehen davon, dass dann die Aufgabe wohl gar nicht existierte. Ein Projekt hat einen Zustand heute – die Ausgangslage – und einen Zustand morgen – das Ziel des Vorhabens. Der Weg dazwischen ist nicht definiert, nicht beschrieben, nicht organisiert. Deshalb ist es ein Projekt. In keiner Abteilung gibt es eine Aufgabenbeschreibung, die dem Projekt gerecht wird. Ganz abgesehen davon, dass es beim Projekt meist um den Zwischenraum oder die Mauer geht, die zwischen den Abteilungen steht. Die ist ebenso unnötig wie gleichzeitig im Weg.

Im Unterschied zur Routine, zum Routineprozess, muss der Weg von Ausgangslage zum Ziel organisiert werden, wenn es sich um ein echtes Projekt handelt. Im Umkehrschluss gilt: wo diese Organisationsleistung nicht nötig ist, weil alles bereits organisiert ist, haben wir kein Projekt. Aber nehmen wir an, wir hätten eines. Dann muss ich den Weg entwickeln, weil ihn noch keiner kennt. Den Weg vom Anfang zum Ende. Wobei „ich“ nicht korrekt trifft: vielmehr ist Projektmanagement eine Methode des „Wir“. Alleine komme ich meist nirgendwo hin. Ich brauche die anderen. Deshalb ist das Entwickeln des Wegs auch immer ein gemeinsames Lernen, ein Verhandeln, ein Verstehen, ein Abstimmen, ein Vereinbaren. Was vereinbart wird, wird vernünftigerweise aufgeschrieben. Wobei sich die bekannten Instrumente wie etwa Projektstrukturplan und Gantt-Diagramm dafür bestens eignen. Sie sind jedoch keinesfalls Ziel an sich, vielmehr ein einfaches, schlichtes Hilfsmittel, um komplizierte Gedanken geschickt auf ein Blatt Papier zu bringen.

Bleiben wir beim „Wir“: denn dieses „Wir“ ist beim echten Projekt, und nur von diesem schreibe ich, nicht definiert. Nur weil jemand in einer Marketing-Abteilung sitzt, ist er nicht automatisch für alle Marketing-Arbeitspakete in meinem Projekt verantwortlich sein. Vor allem möchte ich „automatisch“ aus dem Wortschatz der Projekte streichen, denn dieses Wort gehört in die Welt der Routine. Im Projekt gibt es schlicht kein „automatisch“, ebensowenig wie ein „zuständig“, das auf dem Stellenplan basiert. Projekte sind auch nicht effizient. Routine kann auf Effizienz getrimmt werden. Im Projekt geht es darum, dass die ‚Pioniere‘ überhaupt einen Weg finden, das Ziel zu erreichen. Wer in niedrigsten Kosten denkt, hat meist sogleich ein Problem (was nicht bedeuten soll, dass Geld zum Fenster hinaus befördert werden soll und darf.)

Ich muss mit der oben genannten Dame aus dem Marketing sprechen: Welche Aufgaben stehen an? Welche Ergebnisse werden erwartet? Was bedeutet das an Aufwand? Wie wollen wir uns vereinbaren, was die Übernahme der Aufgaben betrifft? Und ich muss mit Ihrer Vorgesetzten reden, denn die hat vermutlich jede Menge Routine, die ebenfalls erledigt sein will. Wobei ich auch jeden x-beliebigen anderen Marketing-Experten einsetzen kann, denn auch „selbstverständlich“ ist ein Wort, das Projekten nicht gut steht.

Die Projektteams sind von echter Projektarbeit oft so weit weg, wie unsereins vom Mars. Da wird von Projekten gesprochen und keiner will sich die Arbeit machen, die damit verbunden ist. Wer echte Projekte macht, macht etwas, was so noch nie gemacht wurde. Dafür gibt es keinen Automatismus. Dazu braucht es Menschen, die sich zusammensetzen und zusammenraufen. Die übereinkommen, wie vorzugehen ist und dabei Wege gehen, die so bisher niemand definiert hat. Aber jetzt – nach der ‚Planung‚ – sind sie definiert, weil sich Menschen gemeinsam Gedanken gemacht haben über die spezielle Organisation in diesem einen Fall. So kommt etwas Vernünftiges bei raus.

Die Frage ist ernst gemeint: Noch ein Projekt? Muss das sein? Und falls die Antwort „Ja!“ lauten sollte, dann setzen Sie sich mit dem potenziellen Projektteam bitte hin, streichen Sie „automatisch“ aus Ihrem Wortschatz und entwickeln Sie eine Vereinbarung, die beschreibt, wie sie zusammenarbeiten wollen und wohin das führen soll. Das macht so Manches leichter. Versprochen. Danke!

Ihr
Holger Zimmermann
Projektmensch.

(Visited 993 times, 1 visits today)

Kommentar verfassen